„Nach dem Tod bestimmt nicht mehr der Geist die Richtung seiner Liebe, sondern die Liebe die Richtung ihres Geistes.“

 

 

Ewige Verdammnis?

 

Thomas Noack

 

 

1. Einleitung

2. Standpunkte

3. Glaube und Verstehen

4. Die Macht der Lebensliebe

5. Die jenseitige Weiterentwicklung

6. Die Situation des Erdenlebens

7. Die Umbildung durch Belehrung und die Trennung des Verstandes vom Willen

8. Die geistige Seite der Umbildung

9. Die Bedeutung der natürlichen Lebensgrundlage

10. Exkurs: Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen

11. Was ist Ewigkeit?

12. Erlösung aus dem höllischen Wahnsinn?

 


1. Einleitung

 

Bekanntlich bestehen zwischen den Lehren Emanuel Swedenborgs und Jakob Lorbers zahlreiche Gemeinsamkeiten, aber in der Frage der ewigen Verdammnis scheinen sie sich widersprochen zu haben. Jedenfalls ist das die gängige Meinung. Stellvertretend für viele Lorberfreunde hat Johann Gottfried Dittrich behauptet, "E. Swedenborg" "schrieb" "aus der Weisheit Gottes" "und J. Lorber aus der göttlichen Liebe"1). Diese These hat zugegebenermaßen vieles für sich, aber - und das missfällt mir - sie wird gerne verwendet, um Swedenborg zu diskreditieren und um der Lorberoffenbarung einen höheren Rang zuzusprechen, denn die Liebe - so meint man - ist mehr wert als die Weisheit. Dabei übersieht man zwar, dass Gott die Liebe und die Weisheit ist und ein halber Gott so gut wie gar kein Gott ist, aber (Vor)liebe (für eine Offenbarung) macht eben blind. Man folgert dann aus dieser These, dass Swedenborg das harte Gesetz der Ordnung verkündet hat, wonach die Hölle das letzte Wort Gottes gegenüber den Verdammten ist, und Lorber das sanfte Aber der Liebe eingefügt hat und die in den Swedenborgschriften "verankerte 'ewige Verdammnis' abmildert und zur Erlösungsfähigkeit wandelt!"2) Das klingt gut, ist aber leider falsch.

1) Geistiges Leben: Zeitschrift für Freunde der Neuoffenbarung Jesu durch Jakob Lorber. 1 (1987) 33

2) a.a.O. 34

 

Swedenborg und Lorber wussten beide um den einmaligen Wert dieses Erdenleben und haben beide gerungen um die Frage nach dem Endschicksal der Verdammten. Ihre Antworten sind keineswegs so eindeutig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die folgende Aneinanderreihung der verschiedenen Standpunkte soll die Widersprüchlichkeit der Aussagen verdeutlichen. Ohne Schwierigkeiten kann man alle vier denkbaren Positionen belegen: 1.) Swedenborg hat sich für eine ewige Verdammnis ausgesprochen; 2.) Lorber dagegen. 3.) Lorber hat sich für eine ewige Verdammnis ausgesprochen; 4.) Swedenborg dagegen. Erst nach dieser - hoffentlich verwirrenden - Übersicht will ich versuchen, Licht in das Dunkel zu bringen, wenngleich wohl kein Sterblicher einen letztgültigen Blick in dieses Geheimnis werfen kann. Deswegen ist die folgende Studie mehr eine Materialsammlung als eine Lösung des Problems.

 

 

2. Standpunkte

 

Nach allgemeiner kirchlicher Auffassung dauert die Höllenstrafe in alle Ewigkeit, denn die Bibel spricht von einem "ewigen Feuer" (Mt 18.8), einer "ewigen Strafe" (Mt 25.46) und einem "ewigen Verderben" (2.Thess 1.9). Swedenborg scheint sich dieser Auffassung angeschlossen zu haben, denn er schreibt: "Die in die Hölle kommen, bleiben dort in Ewigkeit (ibi maneant in aeternum)." (NJ 239, vgl. auch HG 10749). Aussagen dieser Art und Schärfe sind bei Swedenborg so häufig, dass man sie nicht als gelegentliche Übertreibungen oder Zuspitzungen ansehen kann; dagegen spricht auch der durchweg nüchterne Stil des großen Sehers. Noch zwei Belege: "Die in die Hölle geworfen werden … bleiben dort in Ewigkeit (in inferno manent in aeternum) und können nicht mehr herausgeholt werden." (HG 7541). "Nach dem Tode kann das Leben eines Menschen nicht mehr umgewandelt (oder umgeschaffen: mutari) werden, und ein böses Leben kann nicht mehr in ein gutes, oder ein höllischen in ein engelhaftes übertragen (wörtlich umgeschrieben: transcribi) werden." (HH 527). Lorber scheint dagegen eine ganz andere Auffassung zu vertreten: Auf die Frage eines jenseitigen Geistes: "Gibt es eine solche [ewige Strafe], oder gibt es keine?" (RB II.226.6), antwortet der Herr3): "Da ich selbst das ewigste Leben bin, so kann ich ja doch nie Wesen für den ewigen Tod erschaffen haben! - Eine sogenannte Strafe, wo sie auch immer vorkommen mag, kann daher [stets] nur ein Mittel zur Erreichung des einen Grund- und Hauptzweckes, ewig nie aber eines gleichsam feindseligsten Gegenhauptzweckes sein! Daher denn auch von einer ewige Strafe nie die Rede sein kann!" (RB II.226.7). Auf die weiterführende Frage des Geistes, warum dann aber in der Schrift "von einem ewigen Feuer, das nimmer erlischt, und einem Wurme, der nimmer stirbt [Mk 9.48]" die Rede sein kann, antwortet der Herr: "Es muss also der Geschaffenen wegen wohl ein ewiges Gericht, ein ewiges Feuer und einen ewigen Tod geben. Aber darin liegt nicht die Folge, dass ein im Gericht gefangener Geist so lange gefangen verbleiben muss, als dieses Gericht an und für sich dauern kann - … Ist denn nicht 'Gefängnis' und 'Gefangenschaft' für jedermann ersichtlich - zweierlei?! Das Gefängnis ist und bleibt freilich ewig und das Feuer meines Eifers darf nimmer erlöschen; aber die Gefangenen bleiben nur so lange im Gefängnisse, bis sie sich bekehrt und gebessert haben. Übrigens steht in der ganzen Schrift auch nicht eine Silbe irgendwo von einer ewigen Verwerfung oder Verdammnis eines Geistes, sondern nur von einer ewigen Verdammnis der Nichtordnung gegenüber meiner ewigen Ordnung, die notwendig ist, weil sonst nichts bestehen könnte. Das Laster als Unordnung oder Widerordnung ist wahrlich ewig verdammt, aber der Lasterhafte nur solange, als er sich im Laster befindet! Also gibt es auch in aller Wahrheit eine ewige Hölle, aber keinen Geist, der seiner Laster wegen ewig zur Hölle verdammt wäre, sondern nur bis zu seiner Besserung!" (RB II.226.9-12 in Auszügen). Halten wir fest: Nach dieser Analyse ist für Swedenborg der Aufenthalt in der Hölle von ewiger Dauer, während für Lorber lediglich die Hölle von ewiger Dauer ist, nicht aber der Aufenthalt daselbst.

3) Die Stimme, die durch Lorber spricht, gibt sich als Stimme des Herrn aus. Ich hinterfrage diesen Anspruch hier nicht. Entscheidend ist ohnehin nicht, wer durch Lorber sprach, sondern ob das, was er sagte, wahr oder falsch ist. Am Wahrheitsgehalt entscheidet sich der Wert oder Unwert der Lorberschriften und letztlich auch die Frage nach dem Urheber.

 

So eindeutig, wie es die bisherige Übersicht zeigt, sind die Zuordnungen jedoch durchaus nicht. Swedenborg predigt keineswegs nur die ewige Verdammnis und Lorber keineswegs nur die Erlösung aller. Das bisherige Bild lässt sich auch umkehren. Beginnen wir bei Lorber: Die folgenden Stellen sind aus dem Lorbertext "Die wilde Jagd" entnommen, darin wird "der Fürst der Finsternis" oder "Satan" einem Jäger verglichen, der Jagd auf sein Wild macht: "da soll dann das Seinige [das, was dem großen Fürst des Todes zu eigen geworden ist] ewig sein und das Meinige ewig Mein verbleiben - und zwar das Seine in des Gerichtes und aller Verdammnis Feuerqual mit und bei und in ihm, wie das Meinige in des Lebens höchster Seligkeit und Wonne mit, bei und in Mir!" (Hg I.278.13). "Wahrlich, sage ich euch [ihr Gehetzten], ihr werdet nicht hineingelassen werden auf eurer Flucht in mein Gebiet! Denn dessen Name einmal eingetragen wurde ins Buch des Todes, für den werde Ich nimmerdar streiten und widerrechten!" (Hg I.279.15). "Wehe aber den Gehetzten, wahrlich sage Ich, des Beute sie geworden sind, des sollen sie auch bleiben!" (Hg I.277.6). "Alle diese sollen nie zu Meinem Eigentume werden" (Hg I.279.16). Außerdem wird "die kurze irdische Lebenszeit" als "rechte Zeit der Freilassung" bezeichnet (Hg I.279.14). Für das rechte Verständnis dieser harten Worte ist allerdings auch die einleitende Bemerkung zu beachten: "Doch so Ich dir hier für die Menschheit Schauerliches im Vollmaße verkünden werde, so denke, dass Ich es bin, dem alle Dinge möglich sind!" (Hg I.276.1; vgl. auch RB II.227.4). Festzuhalten bleibt jedoch, dass auch Lorber die harte Sprache sprechen kann.

 

An einer anderen Stelle, in der "Haushaltung Gottes", sagt der hohe Abedam, eine Personifikation des Herrn, zu Eva: "Wahrlich, wahrlich, in dem allerdichtesten Zornfeuer Meines Grimmes wird der Drache Cahins mit allen seinen Gefangenen seine große Bosheit ewig büßen müssen, und es wird da ihrer endlos großen Schmerzen ewig nimmer ein Ende sein, und des [Drachens mit allen seinen Gefangenen?] großes Angst-, Jammer- und Schmerzgeschrei wird von niemandem mehr gehört werden; sie werden in die vollste Vergessenheit übergehen, das da von niemandem mehr je ihrer gedacht werden soll. Ich aber werde ewig gegen sie Meine Ohren verstopfen, Meine Augen gänzlich abwenden von ihnen und sie gänzlich aus Meinem Herzen vertilgen. Damit auch ich ihrer gänzlich vergessen werde können, so sollen ihre Namen auch ganz aus Meiner Liebe Erinnerung vertilgt werden und sollen allein aus Meinem höchsten lebendigen Feuerzorne ein ewig allerschrecklichstes Leben haben, das ohne Ende sein wird wie das Meiner Liebe und aller Meiner Kinder in der allerhöchsten Wonne und Überseligkeit!" (HG II.5.18-20). Man beachte, dass hier nicht nur "der Drache Cahins", sondern auch "alle seine Gefangenen" betroffen sind. Auch die Hölleninsassen haben demnach "ein ewig allerschrecklichstes Leben" zu erwarten, "das ohne Ende sein wird".

 

In einer weiteren Szene, diesmal aus dem Jenseitswerk "Die geistige Sonne", liest ein Bewohner einer Zentralsonnenwelt aus der Flamme des auf einem Altar brennenden Opferholzes die Bedingung, durch welche er auf dem Planeten Erde zu einem Kinde Gottes werden kann. U.a. heißt es: "Wehe dir aber, wenn du die Prüfung [des Erdenlebens] nicht be-standen hast; da wirst du für die Eitelkeit dieser deiner Bestrebung ewig im Zornfeuer der Gottheit büßen müssen, und es wird mit dir nimmer besser, sondern stets ärger und qualvoller dein ewiger Zustand!" (GS II.16.16) "und wirst du davon nicht abstehen, so wird eine ewige Verdammnis ins ewige Zornfeuer Gottes dein Los sein!" (GS II.16.18). Der Weg zur Kindschaft Gottes ist schwer (vgl. Mt 7.13-14), allerdings, wie sich herausstellt, nur für den, der ihn nicht im Herzen (in der Liebe zu Gott) zu gehen weiß. Im Verständnis des Herzens ist der schwere Weg überaus leicht zu gehen (vgl. Mt 11.30). "Wer sich einmal in dem Herzen befindet", "kann" "ewig" "nie verlorengehen". Dagegen wird aus "dem großen Gericht" (die Hölle) "schwerlich je ein Ausweg zu finden sein". (vgl. GS II.17.8ff).

 

Und schließlich ist es nicht Swedenborg, sondern Lorber, der uns die grauenhafte Aussicht des "ewigen Todes" präsentiert. Der Herr persönlich sagt im Jenseitswerk "Robert Blum": "Für viele Millionen folget ihrem Scheinleben [auf der Erde] ewig kein weiteres Leben mehr. Denn so gut es ein ewiges Leben gibt, ebensogut gibt es auch einen ewigen Tod." (RB II.293.10). Es folgt ein Baumgleichnis. Die Früchte darin bezeichnen die Menschenseelen, die entweder reif oder unreif vom Baum des irdischen Lebens abfallen: "Für die Wiederbelebung solcher unreif herabgefallener Früchte ist sehr wenig heilsames Kraut gewachsen … Früchte, die bald nach der Blüte wegen Mangel an Nahrung [der göttliche Einfluss im Sinne Swedenborgs] von den Zweigen gefallen sind, für die gibt es kein Heilmittel mehr." (RB II.293.10). Das ist "der für jede Wiederbelebung unfähige Tod" (RB II.293.11). Nach einem Töpfergleichnis, das an Jer 18.1-17 erinnert (vgl. auch Jer 19.11 und Röm 9.21), wobei der Topf aus Lehm die Seele (Aufnahmegefäß) aus der Naturseelenentwicklung ist, erläutert der Herr: "Und so geht zwar wohl der Stoff nicht und unmöglich je verloren; aber die eigentümliche Individualität des zuerst begonnenen Werkes ist für ewig vollkommen dahin und tot. Kurz, das erste Ich ist völlig dahin, und das ist im eigentlichsten Sinne der ewige Tod, den keine Liebe und keine Erinnerung ans Ursein wiederbeleben kann. Wo aber dies nimmer geschehen kann, da kann auch ewig an keine vollkommene endliche Vollendung mehr gedacht werden. An der Beibehaltung der Urindividualität aber liegt gar unaussprechlich viel, denn ohne sie kann die Kindschaft Gottes nie erreicht werden. Denn eine Zweitzeugung wird ewig keine Erstzeugung mehr." (RB II.293.13). Lorber kennt den Tod der (Ur)individualität. Zwar bleibt der Stoff aus dem das Leben ist, die reine Seelensubstanz, erhalten, aber die Ichidentität geht verloren, wodurch das unverwechselbare Einzelwesen aufhört zu sein. Dieser ewige Tod ereignet sich im dritten Grad der Hölle; dort sterben Seelen. Dazu der Herr: "Wer als das, was er uranfänglich war, wegen Verkehrtheit seiner Liebe in einen ersten oder zweiten Grade der Hölle sich befindet, der kann nach vielen allerbittersten Erfahrungen wieder das werden, was er uranfänglich war. Sein Bewusstsein wird ihm belassen und seine Erinnerung bleibt ihm, und er kann zur Vollendung gelangen. Aber so der Mensch durch die Mir allerunerträglichste Lauheit [Offb 3.16] weder kalt noch warm ist … der ist dem eigentlichen ewigen Tode verfallen und befindet sich so ganz eigentlich in der alleruntersten Hölle, aus der in ein und derselben Urwesenheit kein Herauskommen mehr denkbar ist. Der Grund solch eines Zustandes ist der allerkonzentrierteste Hochmut, der … sich in solch hochgradiger Verdichtung gewisserart selbst erdrückt und so um das Urleben des Geistes gebracht hat. Und eben darin besteht der eigentliche ewige Tod, welcher das Schlimmste alles Schlimmen ist, weil da das eigentliche Sein ein völliges Ende nimmt." (RB II.294.4-6). Der "ewige Tod" ist die "Wegnahme des göttlichen Lebensgeistes" (RB I.99.10), d.h. des Geist(funkens), wobei man wissen muss, dass Lorber den Trichotomismus vertritt, wonach der Mensch aus drei Wesensbestandteilen - Leib, Seele und Geist - zusammengesetzt ist. Der Geist ist in dieser Sicht das Urprinzip des Lebens (vgl. Ev VI.85.4: "Urheber alles Lebens"). Der "ewige Tod" ist sonach die Trennung der Seele als einem bloßen Aufnahmegefäß vom Geist als dem eigentlichen Leben.4) Von denen, die den ewigen Tod gestorben sind, heißt es im Lorberwerk "Erde und Mond": Diejenigen, "deren Hartnäckigkeit … so groß ist, dass sie auch das Vollmaß des Zornfeuers nicht zur Umkehr bringen kann, diese werden sich denn einst auch gefallen lassen müssen, mit ihrem Zentrum [Satan?] nach Hinwegnahme ihres Geistes die euch bekannte Reise des ewigen Verderbens zu machen" (EM 58.18). An einer anderen Stelle desselben Werkes heißt es: "Ich sage euch: Aus dieser Klasse Menschen werden viele in das …loch des Satans gelangen, was soviel heißt - als in jenen letzten Unrat der Materie, welcher als Umfassung mit seinem Zentrum die euch schon bekannt gegebene letzte Reise machen wird." (EM 60.21).

4) Swedenborg kennt die Vorstellung eines Geistfunkens in der Seele nicht, stattdessen hat er die Lehre von einem göttlichen Einfluss. Diese Lehre fehlt wiederum bei Lorber fast vollständig, weil sie durch die Idee des Geistfunkens ersetzt ist.

 

Im übrigen darf angemerkt werden, dass Lorber wahrlich kein Freund von schnellen Jenseitsfortschritten ist. Mit "Milliarden von Erdjahren" geht er recht großzügig um: Die Hölle "ist ein wahrer zweiter Tod der Seele", schreibt er, "aus dem dann höchst schwer wieder herauszukommen ist … es kann das so manche erzböse Seele wohl Milliarden von Erdjahren Zeit kosten, bis sie … zu einiger Besserung aus sich heraus kommen wird." (Ev VI.65.6). Ferner lesen wir: "Doch im großen Jenseits geht das [der Läuterungsprozess] schwerer und mühsamer als auf dieser Welt, und es wird bei gar vielen zu tief wider Meine Ordnung gesunkenen Seelen wohl einer für dich undenkbar langen Zeitenfolge [also eine Ewigkeit] benötigen, bis sie in sich den Weg in Meine ewige und unwandelbare Ordnung werden gefunden haben." (Ev X.113.2). Dabei ist hier wahrscheinlich - trotz der "undenkbar langen Zeitenfolge" - noch nicht einmal von Teufeln die Rede. Und schließlich noch zwei Fundstellen: "Eine verkehrte Liebe [eines Geistes] … ist … nicht so leicht und so bald …  in eine rechte und wahre umzugestalten [= reformare?]." (Ev IX.170.19). "Mit der wahren Besserung einer entarteten Seele" "geht es" "jenseits wahrlich sehr langsam vor sich." (Ev VII.119.16).

 

Nun zu Swedenborg. In seinem "Geistigen Tagebuch" findet man Aussagen, die der "offiziellen" swedenborg'schen Lehre geradezu zu widersprechen scheinen und sich erstaunlicherweise mit dem decken, was ich oben aus dem Lorberwerk "Robert Blum" (RB II.226) angeführt habe. Swedenborg schreibt: "Einst unterhielt man sich im Himmel über die Hölle und die in ihr stattfindenden mannigfachen Strafen und Abödungen. Da sprach jemand die Vermutung aus, die er als eine Gewissheit hinstellte, es seien die Höllenstrafen von ewiger Dauer und ohne Ende … Ihm wurde aber geantwortet es werde im anderen Leben keine Strafe als zu dem Zweck verhängt, dass durch Leiden und Qualen der Schuldige gebessert und einer guten Gesellschaft zugeteilt werden möge … Gewisse Dämonen waren in der Verzweiflung, da sie wähnten, ihre Qual würde ewig dauern, doch wurde mir gegeben, sie zu trösten." (Dia. II,2826f; zit. in OT 4/1962 S.123). Die Höllenstrafe ist demnach kein Selbstzweck, sondern nur ein Mittel zum Zweck, welcher in der Erreichung des ewigen Lebens besteht. Ferner schreibt Swedenborg: "Ich durfte ihnen [den Höllenbewohnern] Hoffnung geben und sie ermahnen, dass sie nicht ganz verzweifeln sollten; denn sie meinten, diese Qual dauere in Ewigkeit fort. Ich sagte ihnen, Gott Messias sei barmherzig, und in Seinem Worte steht geschrieben, die Gebundenen in der Grube sollten erlöst werden, und unter der Grube sei die Hölle zu verstehen … Aber auch folgendes sollt ihr [wer ist angesprochen?] glauben, denn es ist wahr und ich weiß es, weil ich selbst wahrgenommen habe, dass Mehrere von ihnen aus der Hölle und Pein in den Himmel erhoben wurden, wo sie jetzt leben … später wurde noch viele aus der Hölle befreit und in den Himmel erhoben" (GT 228).

 

Aber auch die von Swedenborg selbst veröffentlichten Werke enthalten, wenn auch in homöopathischen Dosen, einiges, was geeignet ist, die schroffe Lehre von der ewigen Verdammnis zumindest zu relativieren. So ließe sich z.B. der Satz "ibi maneant in aeternum" (NJ 239) statt mit "sie bleiben dort ewig" auch folgendermaßen übersetzen: "In der Ewigkeit verharren sie dort [nämlich in ihrer herrschenden Liebe]." Diese Übersetzung erscheint gerechtfertigt, weil a) die Ewigkeit keine unendliche Zeit, sondern ein unendlicher Zustand ist (HH 167) und weil b) "manere" nicht nur "bleiben", sondern auch "in etwas verharren" bedeuten kann. Die sprachliche Wurzel von "manere" bedeutet "warten", auch "zögern" und "stillstehen". Was ist damit gewonnen? Während "sie bleiben dort ewig" wie ein von außen verordnetes, unerbittliches Gesetz klingt, spiegelt sich in der alternativen Übersetzung eher eine psychologische Wirklichkeit wieder, die sich ganz von selbst aus der Beharrungstendenz der vorherrschenden Liebesneigung ergibt. Auch eine Bemerkung aus der "Wahren Christlichen Religion" könnte Licht auf Swedenborgs tieferes Denken über das Endschicksal der Verdammten werfen: "Ich zweifle nicht daran, dass letztlich allen Zweigen und Schösslingen jedes Baumes derselbe Trieb und dasselbe Streben [nämlich der Heliotrophismus5)] innewohnt und nur deshalb nicht zur Ausführung kommt, weil es ihnen an der nötigen Elastizität für die entsprechenden Biegungen und Umwendungen fehlt." (WCR 767c). Der Baum kann als Bild für den Menschen gelten mit seinem "weitverzweigten" Neigungen und Interesse. Die Sonne steht für das Göttliche. Jedem Menschen, ja jedem menschlichen Wesen ob nun im Diesseits oder im Jenseits, wohnt demnach der Drang oder das innerste Bestreben inne, sich dem göttlichen Lebensquell zuzuwenden. Lediglich die Versteifungen (confirmationes) des äußeren Menschen hindern dieses innerste Streben daran, sich durchzusetzen. Gleichwohl ist es gegenwärtig und wirksam. Kann ein Teufel ewig gegen sein innerstes Leben ankämpfen? Ich weiß es nicht. Ich kann mir aber vorstellen, dass die höllische Qual auch darin besteht, dass ein Teufel innerlich zerrissen ist, denn der Starrsinn seiner vorherrschenden Persönlichkeit muss den Einfluss aus den Himmeln, der ja auch ihn belebt, ewig unterdrücken. Werden die geschöpflichen Kräfte ausreichen, diesen sinnlosen Kampf ewig zu führen?

5) Eigenschaft von Pflanzen und Tieren, Wachstum und Bewegung nach dem Licht auszurichten.

 

Aufschlussreich sind schließlich auch die Gespräche Sundar Singh's, des 1929 verschollenen indisch-christlichen Sadhu's, mit Emanuel Swedenborg im Jenseits. Ich entnehme die wesentlichen Bemerkungen einem Briefwechsel, den Sundar Singh vom 26. Dezember 1927 bis zum 26. März 1929 mit dem emeritierten Pfarrer der Kirche vom Neuen Jerusalem, Rev. John Goddard, führte (siehe OT 5 (1983) 195-200). Sundar Singh schreibt: "Ja, ich sprach mit dem verehrten Swedenborg und einigen anderen Heiligen und Engeln über die Hölle, doch bin ich unfähig, hinreichend zu erklären, was alles sie mir sagten. Es ist ungefähr folgendes: Kein Geist kann ewig existieren, wenn er von Gott durch Sünde oder Böses getrennt ist. Er muss entweder aufhören zu existieren oder zu Gott zurückkehren, der die Quelle des Lebens ist. Es gibt keinen Geist, der je aufhört zu existieren; darum muss jeder Geist schließlich zu Gott zurückkehren, selbst wenn es nach Ewigkeiten von Ewigkeiten wäre." (Brief vom 12. November 1928). Und in einem anderen Brief schreibt Sundar Singh: "Ich hatte mehrere Gespräche mit Swedenborg und einigen anderen Heiligen und Engeln. Sie sagten, dass die Höllen ewig sind in dem Sinne, dass ungezählte Seelen von vielen Erden des Universums, ihrem Zustand entsprechend, dauernd in sie eingehen werden, solange die Erschaffung menschlicher Geschöpfe andauert; nicht aber in dem Sinne, dass diese bösen Geister ewig in den Höllen bleiben werden. Wenn dem so wäre, dann hätte Gottes Liebe und Weisheit solche Geschöpfe nicht erschaffen, und Er, der die Liebe ist, kann seine Geschöpfe nicht immer und ewig in Höllen leiden sehen, wie böse sie auch sein mögen; die Zeit wird kommen, da nichts bestehen wird, was Missklang und gegen Gottes Willen ist. Wenn selbst die Höllen ihren Zweck erfüllt haben, dann endlich und ewiglich wird Gott alles in allem sein." (Brief vom 2. Januar 1928). Die Schriftleitung der Zeitschrift "Offene Tore" merkt noch an, dass es "um die Jahrhundertwende eine spannende Kontroverse über diese Frage [der ewigen Verdammnis] in der Neuen Kirche gegeben" "hat" (200), was sicherlich nicht der Fall gewesen wäre, wenn die Äußerungen Swedenborgs eindeutig wären.

 

 

3. Glaube und Verstehen

 

Soweit die Standpunkte. Absichtlich habe ich Swedenborg und Lorber einmal für und einmal gegen die ewige Verdammnis reden lassen, um zu zeigen, dass das bloße Insistieren auf Lehrsätzen zu nichts führt. Außerdem zeigt sich bei dieser Darstellungsweise, dass der Widerspruch in der Frage der ewigen Verdammnis nicht nur ein externer, also ein zwischen Swedenborg und Lorber bestehender, sondern auch ein interner, also ein innerhalb der Schriften der beiden Propheten bestehender, ist. Wenn die Dogmenreiterei in ein Dickicht von Widersprüchen führt, dann muss wohl oder übel der Weg des Verstehens gewählt werden. Wie kamen Swedenborg und Lorber überhaupt zu den oben zitierten Ansichten? Worin besteht die innere, logische Struktur ihrer Standpunkte?

 

 

4. Die Macht der Lebensliebe

 

Swedenborgs Denken über das Endschicksal eines Menschen ist ohne seine Vorstellung von der Lebensliebe und der Macht, die sie über einen Menschen ausübt, unverständlich. Sein wahrhaft engelhaftes Werk "Die Weisheit der Engel bezüglich der Göttlichen Liebe und Weisheit" beginnt mit den Worten: "Die Liebe ist das Leben des Menschen." Das hat auch Lorber so gesehen: "Die Liebe", schreibt er, "ist das eigenste Leben in euch [Menschen]" (HGt I.4.36)). Daher kommt es, dass auf Dauer - also im Jenseits - niemand dem Sog seiner Lebensliebe widerstehen kann. Diese Unwiderstehlichkeit der Lebensliebe fasst Lorber in die Worte: "Die Liebe ist stets des Menschen Meister …, weil sie so ganz eigentlich sein Leben selbst ist." (GS II.50.5).

6) Vgl. auch HGt I.43.25; GS I.34.18, I.51.1 und II.105.12

 

Lediglich die besonderen Bedingungen des Erdenlebens, von denen später die Rede sein soll, ermöglichen es uns, dem Zug unserer Liebe eine neue Richtung zu geben; ein Vorgang, der wie eine neue Geburt erlebt wird - denn die Liebe ist ja das Leben des Menschen - und daher Wiedergeburt genannt wird. Nach dem Tod bestimmt nicht mehr der Geist die Richtung seiner Liebe, sondern die Liebe die Richtung ihres Geistes. Swedenborg spricht in diesem Zusammenhang gerne von der "herrschenden Liebe", worunter er die vorherrschende Ausrichtung unseres Lebens versteht: "Die herrschende (regnans) Liebe erwartet den Menschen nach dem Tode und wird in Ewigkeit niemals verändert." (HH 477). "Der Mensch bleibt nach dem Tode in Ewigkeit so, wie er hinsichtlich seines Willens oder seiner herrschenden Liebe beschaffen ist." (HH 480). "Jedem Menschen bleibt nach dem Tode seine herrschende (dominans) Neigung oder Liebe. Sie wird in Ewigkeit nicht ausgerottet, weil nämlich der Geist eines Menschen ganz so ist wie seine Liebe … Der Mensch bleibt in Ewigkeit so, wie seine vorherrschende (praedominans) Neigung oder Liebe beschaffen ist." (HH 363; vgl. auch 393). Der vorherrschende Zug unseres Lebens setzt sich also spätestens im Jenseits uneingeschränkt durch. Auch Lorber hat die Dynamik gesehen, die in der "Hauptleidenschaft" liegt, welche "die Seele [im Jenseits] stets mehr und mehr" "beherrscht": "Nur ist zwischen einer abgeschiedenen und einer noch im Leibe lebenden Seele der Unterschied: Die Seele im noch lebenden Leibe kann eine Menge Leidenschaften durchwandern [vgl. Swedenborg: das Versetzen in unterschiedliche Geistervereine], und so ist der Mensch fast jeden Tag ein anderer … Aber bei der abgeschiedenen Seele ist es anders: Bei dieser tritt gewöhnlich nur eine Hauptleidenschaft auf, beherrscht die Seele stets mehr und mehr und zieht nach und nach alle Intelligenzpartikel [aus denen nach Lorber die Seele zusammengesetzt ist] in ihr [sic!] Bereich; darum auch ein Paulus [? Koh 11.3] spricht: 'Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen', - was eben nicht sagen will, dass eine abgeschiedene Seele gewisserart unverbesserlich ist, sondern nur, dass sie in einer ihrer Hauptleidenschaften gefangenbleibt, bis diese alle anderen Spezifikalintelligenzpartikel gewisserart aufgezehrt hat, was dann eine große Armut der Seele bewirkt, und diese dann in einen Zustand des Abödens [vgl. Swedenborg!] übergeht, wo sie sich wie völlig nackt und in Nacht und Nebel befindet. In dieser Abödung kann dann erst der Geist frei werden und seine Seele zu durchdringen anfangen …" (EM 30). Halten wir fest: Die Liebe ist das ureigenste Leben eines jeden menschlichen Geistes. "Einem Menschen … seine Liebe hinwegnehmen … hieße soviel, als den ganzen Menschen völlig töten und vernichten" (Ev X.111.1). Selbst wenn die Liebe noch so verkehrt und gegen die Ordnung ist, der Geist muss seine Liebe (aus)leben dürfen, da sie sein Leben und somit er selbst ist. Deswegen hat der Mensch nach dem Verlust des irdischen Scheinlebens nichts mehr, womit er dem inneren Antrieb seines Lebens widerstehen kann. Unweigerlich gerät er in den Sog seiner Liebe, denn nicht der Geist formt sich seine Liebe, sondern die Liebe ihren Geist.

 

 

5. Die jenseitige Weiterentwicklung

 

In gewissen Kreisen macht man Swedenborg den Vorwurf, er schließe - da der Geist in seiner herrschenden Liebe verharrt - dessen jenseitige Weiterentwicklung aus. Aber das stimmt nicht. Deswegen möchte ich kurz auf diesen Einwand antworten. Abgeschlossen ist mit dem Erdenleben lediglich das äußere Wachstum, was ja auch verständlich ist, lebt doch der Geist nach dem Tode nicht mehr im Äußeren. Fortgesetzt wird im Jenseits jedoch die Aufschließung und Entfaltung des inneren Reichtums, der in jeder einzelnen Liebestat und -neigung verborgen war. Ja, dieser Prozess setzt erst im Jenseits so richtig ein, denn dort fallen alle äußeren Beschränkungen und Hemmnisse fort. Swedenborg sagt ausdrücklich: "Die Engel werden fortwährend an Liebe und Weisheit vervollkommnet, haben sie doch ebenso wie die Menschen Verstand und Willen, und ist doch der Verstand so beschaffen, dass er immerfort vervollkommnet werden kann, und in gleicher Weise auch der Wille." (HH 221). Dass die Engel in Ewigkeit vervollkommnet werden, hat Swedenborg auch andernorts deutlich gesagt: Man vergleiche die Verweise in HH 469, sowie HG 4803 und 6648. Ebenso werden sich auch die Teufel in ihrer Bosheit und Falschheit weiterentwickeln. An einer jenseitigen Weiterentwicklung kann also kein Zweifel bestehen. Zweifelhaft ist lediglich, ob aus Teufeln Engel werden können.

 

Lorberfreunde verweisen gerne auf die Jenseitswerke ihres Meisters, in denen jenseitige Führungen abgeschiedener Seelen dargestellt werden. Es hat den Anschein als könne man "Von der Hölle bis zum Himmel"7) gelangen. Dabei vergisst man jedoch, dass die Jenseitswerke Jakob Lorbers lediglich Führungen in der Geisterwelt beschreiben, also in jenem mittleren Zustand zwischen Himmel und Hölle (HH 421). Auch Lorber kennt diesen Zustand und bezeichnet ihn als ein "Mittelreich", das er mit der katholischen Vorstellung vom "Fegfeuer" (purgatorium = Reinigungsstätte) vergleicht (GS II.120.2). Im Mittelreich werden nach Lorber "die Seelen von den schon vollendeten Geistern geleitet und zuallermeist dem bessern Pole zugeführt" (Ev V.232.1). Das hat auch Swedenborg so gesehen. Als genialer Analytiker hat er diesen Zustand der Schwebe in drei Zustände aufgeteilt, deren letzter der Zustand der Unterweisung und somit der Vorbereitung auf den Himmel ist (HH 512 und 491). Außerdem hat Swedenborg darauf aufmerksam gemacht, dass es entgegen der allgemeinen Meinung gar nicht so schwer ist, so zu leben, dass man in den Himmel kommt (HH 528-535). Demnach werden wohl auch nach Swedenborg die Geister im Zwischenreich "zuallermeist dem bessern Pole zugeführt". Ferner liest man bei Swedenborg: "Der Herr sorgt dafür, dass alle, die gut gelebt und den Herrn anerkannt haben, nach dem Tode von Engeln unterrichtet werden. Und dann nehmen jene, die in der Welt in diesen zwei wesentlichen Erfordernissen der Religion waren, das Wahre der Kirche auf und erkennen den Herrn als Gott des Himmels und der Kirche an … Jedem Menschen wird nach dem Tode Gelegenheit gegeben, sein Leben zu verbessern8), wenn es möglich ist." (GV 328). Die Geisterwelt ist also der Ort der Läuterung; ein "Purgatorium" im besten Sinne des Wortes.

7) Heutiger Titel des Lorberwerkes „Robert Blum“

8) „copia emendanti vitam“: das Verb „emendare“ bedeutet wörtlich „von Fehlern befreien“

 

Zweifelhaft ist nach Swedenborg lediglich, ob ein "Gradsprung" möglich ist, wenn man einmal seine Gesellschaft gefunden hat, und ob aus Teufeln Engel werden können. Zur Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines "Gradsprunges" beachte man die folgenden Stellen, die ich nicht weiter kommentieren möchte, da sie nicht zum Thema der ewigen Verdammnis gehören. Nur soviel sei gesagt, dass hier mit den Graden wohl die gesonderten und nicht die stetig fortlaufenden gemeint sind: "Jeder Engel wird an Weisheit in Ewigkeit fort vervollkommnet, jeder aber gemäß dem Grade der Neigung zum Guten und Wahren, in welchem er bei seinem Hinscheiden aus der Welt war. Dieser Grad ist es, welcher in Ewigkeit fort vervollkommnet wird; was über diesen Grad hinausgeht, ist außerhalb des Engels und nicht innerhalb desselben, und was außer ihm liegt, kann nicht innerhalb seiner vervollkommnet werden." (GV 334).9)

9) Man vergleiche auch HH 349 und 469

 

Unsere eigentliche Frage lautet jedoch, ob aus Teufeln Engel werden können. Swedenborg hat diese Frage allem Anschein nach mit nein beantwortet. Um seine Antwort verstehen zu können, müssen wir uns mit den Unterschieden zwischen Diesseits und Jenseits beschäftigen. Ernst Benz als Swedenborgforscher betont einerseits die schier unendliche Entwicklungsfähigkeit des Menschen, sieht andererseits aber auch, dass der Weiterentwicklung im Jenseits bestimmte Grenzen gesetzt sind. Er schreibt: "die Entwicklung des Menschen ist mit diesem irdischen Leben nicht abgeschlossen, sondern geht im Jenseits weiter … Allerdings sind dieser Weiterentwicklung des persönlichen Lebens dort bestimmte Grenzen gesetzt. Erstens entwickelt sich der Mensch nach dem Tode in der jenseitigen Welt nur in der Grundrichtung der Liebe, die sein Leben in dieser Welt beherrschte. Zweitens aber bildet er sich nur weiter in dem Maß der Übereinstimmung, die bei seinem Tod zwischen seinem äußeren und inneren Menschen bestand."10) Diese beiden Einschränkungen sind wichtig und müssen daher einer eingehenden Betrachtung unterzogen werden.

10) Ernst Benz. Emanuel Swedenborg: Naturforscher und Seher. Zweite, verbesserte Aufl. (Zürich: Swedenborg Verlag, 1969) 406 und 411

 

 

6. Die Situation des Erdenlebens

 

Die eigentliche Stätte der Wiedergeburt ist das Erdenleben. Darüber darf kein Zweifel bestehen! Swedenborg, respektive seine Engel begründen dies mit den Unterschieden, die zwischen dem diesseitigen und dem jenseitigen Leben bestehen: "Engel erklärten, das Leben der herrschenden Liebe werde in Ewigkeit niemals verändert, weil jeder mit seiner Liebe identisch ist. Würde diese bei einem Geiste verändert, bedeutete das, ihn seines Lebens zu berauben oder ihn zu vernichten. Sie nannten auch die Ursache, dass nämlich der Mensch nach dem Tode nicht mehr durch Belehrung umgebildet werden (reformari) kann, wie in der Welt, weil dann die unterste Ganzheit (ultimum plenum: das letzte Volle), die aus den natürlichen Erkenntnissen und Neigungen besteht, zur Ruhe gekommen ist und nicht mehr zugänglich gemacht werden kann, da sie nicht geistig ist." (HH 480). Zwei Besonderheiten zeichnen demzufolge das Erdenleben aus und machen es zum bevorzugten Ort der Wiedergeburt: a) die Umbildung durch Belehrung, deren Voraussetzung die relative Selbständigkeit des Verstandes gegenüber dem Willen ist; und b) das Wirken im natürlichen Grad; hinter dem "ultimum plenum" dürfte sich nämlich der natürliche Lebensgrad verbergen, der, wie jeder Grad, in sich vollständig ist und daher ein "plenum" genannt werden kann. Was bedeutet das nun im einzelnen?

 

 

7. Die Umbildung durch Belehrung

und die Trennung des Verstandes vom Willen

 

Der Umbildung (reformatio) hat Swedenborg in der "Wahren Christlichen Religion" zusammen mit der Wiedergeburt (regeneratio) ein ganzes Kapitel gewidmet. Beide Vorgänge in einem einzigen Kapitel vereint deutet bereits an, dass die Unterscheidung lediglich theoretischer Natur ist; im tatsächlichen Wiedergeburtsgeschehen gehen sie ineinander über und bedingen sich gegenseitig. Dennoch ist die bewusste Umgestaltung des Geistes (reformatio) die logische Voraussetzung für den eigentlichen Wiedergeburtsprozess. Im Jenseits kann die Neugeburt des Geistes (regeneratio) nicht erreicht werden, wenn die Umbildung des Geistes in diesem Leben nicht begonnen hat: "Wer in der Welt den ersten Zustand [Umbildung] begonnen hat, kann nach dem Tod in den zweiten [Wiedergeburt] eingeführt werden, wer hingegen diese Voraussetzung nicht erfüllt, kann nach dem Tode nicht in den zweiten Zustand eingeführt, folglich nicht wiedergeboren werden." (WCR 571). Das ist auch verständlich, wenn man das Wesen der bewussten Neugestaltung (reformatio) begriffen hat. Entsprechend dem Dualismus von Liebe und Weisheit, Gutem und Wahrem, Wille und Verstand ist auch die Neuschöpfung des Geistes ein wechselseitiger Vorgang. Dabei betrifft die Umbildung den Verstand und erst im weiteren Verlauf den Willen, der in diesem Zusammenhang jedoch nicht "voluntas" (Wille), sondern "conscientia" (Gewissen oder Bewusstsein) genannt wird (vgl. HG 987; WCR 666). Die eigentliche Wiedergeburt von innen heraus betrifft dagegen den Willen. Bei Swedenborg liest sich das so: "Der erste Abschnitt der neuen Geburt betrifft den Verstand und heißt Umbildung, der zweite Abschnitt den Willen und von hieraus (noch einmal) den Verstand und heißt Wiedergeburt." (WCR 587-590; vgl. auch 302). "Im Zustand der Umbildung spielt der Verstand die erste und der Wille die zweite Rolle, im Zustand der Wiedergeburt hingegen ist es gerade umgekehrt: der Wille spielt die erste und der Verstand die zweite Rolle." (WCR 105). Damit ist die Umbildung als ein Verstandes- und somit als ein Vorgang erkannt, der ein hohes Maß an Bewusstsein und Reflektionsvermögen voraussetzt. Die theologische Voraussetzung dieses Prozesses ist das Wort Gottes; die anthropologische die Trennung von Wille und Verstand während des Erdenlebens. Mit letzterer müssen wir uns jetzt beschäftigen, weil sie die besondere Situation des Erdenlebens kennzeichnet und verständlich macht, wieso nach dem Tode eine Umbildung durch Belehrung nicht mehr möglich ist. Der Mensch ist im Sinne der christlichen Theologie - und Swedenborg macht da keine Ausnahme - zunächst wesentlich böse. Das macht ihn ja auch überhaupt erst erlösungsbedürftig. Das Einfallstor Gottes in die Welt des menschlichen Geistes ist daher nicht der Wille, sondern der Verstand. Nur über die Bereitschaft, dem Worte Gottes zuzuhören, ist der Mensch für Gott erreichbar. Angesichts des unerlösten Zustandes unserer Willenswelt muss dem Verstand für eine gewisse Zeit die Möglichkeit gegeben und erhalten werden, mit seinem unerlösten Willen uneins zu werden. Dem Vermögen zu verstehen muss also gegenüber dem Wollen eine relative Selbständigkeit eingeräumt werden. Tatsächlich sieht Swedenborg darin die besondere Situation des Menschseins: "Der Verstand ist es, der den natürlichen Menschen von den Tieren unterscheidet, und dieser kann über die Begierden seines Willens hinausgehoben werden und sie nicht nur sehen, sondern auch in Schranken halten." (WCR 574; vgl. auch 507.f). Dennoch ist die Trennung von Wollen und Denken auch schon während des Erdenlebens nur relativer Natur und kann als Gnade angesehen werden. Der Wille ist der eigentliche Mensch und lenkt den Verstand nur allzu leicht nach seinem Belieben (WCR 255, 347c, 507f, 658). Es erfordert tatsächlich ein hohes Maß an Reflektionsfähigkeit und die Bereitschaft, sich immer wieder zu hinterfragen, um die Gnade der relativen Selbständigkeit des Verstandes gegenüber dem Willen zu nutzen. Swedenborg warnt daher auch vor Begründungen (confirmationes), weil sie die Beweglichkeit des Vermögens zu verstehen einschränken, ja sogar völlig aufheben können, was bei ideologisch Verblendeten, Dogmatikern und Fanatikern der Fall ist. Die Herrschaft des Willens, die sich in diesem Leben schon unterschwellig ankündigt, wird im anderen Leben zur uneingeschränkten Wirklichkeit: "Der Mensch besteht nach dem Tode aus seiner Liebe, weil dann alles entfernt und ihm gleichsam genommen wird, was nicht mit seiner herrschenden Liebe übereinstimmt. Wenn jemand gut ist, so wird alles von ihm abgerückt und gleichsam weggenommen, was nicht damit übereinstimmt oder abweicht, und so wird er ganz und gar in seine Liebe versetzt. Dasselbe geschieht dem, der böse ist, nur mit dem Unterschied, dass ihm die Wahrheiten weggenommen werden, dem Guten hingegen das Falsche - bis zu dem Punkt, dass schließlich jeder nur noch aus seiner Liebe besteht." (HH 479). "In der geistigen Welt kann niemand etwas gegen seinen eigenen Willen tun" (WCR 56). "Damit der Mensch nicht mit dem Verstand im Himmel und mit dem Willen in der Hölle ist und somit nicht ein geteiltes Gemüt hat, darum wird nach dem Tode alles im Verstand entfernt, was über seine eigene Liebe hinausgeht. Daher kommt es, dass Wille und Verstand bei allen schließlich als Einheit tätig sind." (GLW 397; vgl. auch HH 422). Deswegen ist eine bewusste, verstandesgesteuerte Umgestaltung des Geistes, d.h. eine Umbildung durch Belehrung, im anderen Leben nicht mehr möglich. Der Verstand ist ein treuer Diener (oder Sklave) seines Willens geworden.

 

Wenn die relative Selbständigkeit des Denkens gegenüber dem Wollen das besondere Geschenk des Erdenlebens ist, dann sollte man damit auch umzugehen lernen. Swedenborg hat vor geistigen Versteifungen (confirmationes) eindringlich gewarnt; er meint sogar: "Das begründete (confirmatum) Böse und Falsche kann nach dem Tod nicht ausgerottet werden." (GLW 262). Deswegen sollte sich der Mensch in seinem Denken nicht allzu bald von den Vorlieben seiner Vitalität und Emotionalität festlegen lassen. Ein bisschen uneins sollte man immer mit sich sein, denn die Spannung zwischen Denken und Wollen ist die Schubkraft, die zum Himmel führt. Gerade das, was wir aus unserer natürlichen, d.h. unwiedergeborenen, Vitalität zurückweisen und verachten, kann sich als entscheidende Entwicklungshilfe entpuppen. Daher kann man jedem Menschen nur den dringenden Rat geben, die Fähigkeit, sich zu hinterfragen - sein Reflektionsvermögen  - auszubauen. Das irdische Leben ist doch nur eine Andeutung des wahren Lebens, und wer kennt schon die Wege, die Gott mit ihm gehen will, - und die er nicht gehen kann, wenn Versteifungen und Starrsinn die Elastizität des natürlichen Menschen zerstören.

 

 

8. Die geistige Seite der Umbildung

 

Als "Geisterseher" war Swedenborg selbstverständlich auch mit der geistigen Seite der Umbildung und Wiedergeburt vertraut. Was der Mensch als psychische Wandlung erlebt, erleben die Engel und Geister, die beim Menschen sind, als Wanderung durch die geistige Welt. Aber auch in diesem Zusammenhang wird betont, dass sich der Mensch, nur solange er auf Erden lebt, im Zustand der Umbildung befindet: "Ein Mensch befindet sich in einer Gesellschaft der geistigen Welt nicht in gleicher Weise wie ein Geist, der seiner Gesellschaft gleichsam eingeschrieben ist. Ein Mensch befindet sich nämlich ununterbrochen im Zustand der Umbildung. Deswegen wird er gemäß seinem Leben und dessen Wandlungen vom Herrn von einer höllischen in eine andere höllische Gesellschaft versetzt, wenn er böse ist. Lässt er sich aber umbilden, dann wird er aus der Hölle heraus- und in den Himmel eingeführt und auch dort von der einen in die andere Gesellschaft versetzt und das bis zum Tod. Danach wird er nicht mehr von Gesellschaft zu Gesellschaft gebracht, weil er sich dann nicht mehr im Zustand der Umbildung befindet, sondern in dem (Zustand) bleibt, in dem er seinem Leben gemäß ist. Deswegen ist der Mensch nach dem Tode seinem (geistigen) Ort eingeschrieben." (GV 307). Wir sahen, dass die anthropologische Voraussetzung der Umgestaltung der Geistesstruktur die relative Selbständigkeit des Denkens gegenüber dem Wollen ist. Die spirituelle Voraussetzung ist jedoch die Gegenwart von Geistern und Engeln bei jedem Menschen, auch dem bösen. "Auch die bösen Menschen", sagt Swedenborg ausdrücklich, "haben Engel bei sich, damit sie sich - wenn sie wollen - zum Himmel wenden, den Einfluss von daher aufnehmen und umgebildet werden können." (HG 7295.2). Die Engel sind auch nach dem Tod noch gegenwärtig und wollen dem neuen Jenseitsbürger helfen, aber sehr bald macht sich das Gesetz der herrschenden Liebe bemerkbar und der neue Geist sehnt sich nach der Gesellschaft, die zu ihm passt (vgl. HH 450). Der Zustand der Schwebe zwischen Wollen (Hölle) und Denken (Himmel) als Voraussetzung der Umbildung ist geistig betrachtet gleichbedeutend mit der Gegenwart von (bösen) Geistern (Hölle) und Engeln (Himmel) beim Menschen (vgl. HG 986). Deswegen sollte der irdische Mensch die große Chance des Erdenlebens wahrnehmen und die sanfte himmlische Beeinflussung bewusst in sich aufnehmen und realisieren. Im Jenseits ist der innerlich böse Mensch buchstäblich "von allen guten Geistern verlassen"!

 

 

9. Die Bedeutung der natürlichen Lebensgrundlage

 

In der oben zitierten Stelle aus HH 480 begründeten die Engel ihre Ansicht, dass der Mensch nach dem Tode nicht mehr durch Belehrung umgebildet werden kann, damit, dass dann die natürliche Grundlage des Lebens zur Ruhe gekommen und nicht mehr zugänglich ist. Zwar ist der Tod "eine Fortsetzung des Lebens" (GV 277), aber er ist auch ein gravierender Einschnitt in die Biographie eines Geistes, denn der gesamte natürliche Bereich unserer Geistexistenz ist nach dem Todesereignis der Bearbeitung nicht mehr zugänglich. Das bedeutet: Man muss sich wohl oder übel mit dem abfinden, was man als Erbe aus dem natürlichen Leben mit in die andere Welt hinübernimmt. Deswegen heißt es in der Heiligen Schrift: "Ihre Werke folgen ihnen nach." (Offb 14.13). Man vergleiche Swedenborgs Ausführungen darüber in HH 471. Auch für Lorber steht fest, "dass ein jeder Mensch durch die Art seiner Liebe der Schöpfer seiner eigenen inneren Welt wird, und dass er nie in irgendeinen Himmel oder in irgendeine Hölle kommen kann, sondern nur in das Werk seiner Liebe. Darum heißt es auch: 'Und eure Werke folgen euch.'" (GS II.119.13).

 

Die natürliche Grundlage, die unwandelbar ist und das Kapital für die Entwicklung des Geistes im Jenseits darstellt, besteht objektiv gesehen aus den Werken und subjektiv gesehen aus den "natürlichen Erkenntnissen und Neigungen" (HH 480; vgl. auch HH 472), die sich in den Werken realisiert haben. So ist im Laufe eines Lebens ein Charakter (Gepräge) entstanden, der nach dem Tode nicht mehr wandel- wohl aber entwickelbar ist. Vielleicht darf man diesen Prozess mit der Kristallisation, einem Verfahren der Chemie, das Kristalle entstehen lässt, vergleichen. Der Kristallisationsvorgang setzt Lösungen (oder Dämpfe) voraus; ohne Lösung keine Kristallisation. Die Lösung stellt die Sinnenwelt dar, in der potentialiter (der Möglichkeit nach) unendlich viele Charakterbildungen gleichsam in gelöster Form enthalten sind. Aus der Sinnenwelt entnimmt sich der werdende Geist das ihm Zusagende. Der Kristall ist der gewordene Charakter als Ergebnis eines Lebens; er kann ohne die Lösung weiterbestehen, wie auch der Mensch ohne die Sinnenwelt weiterexistieren kann. Aber als unwandelbares Erbe aus der Sinnenwelt behält der Kristall seine Struktur; diese ist im wesentlichen unwandelbar. Sie kann zwar noch geschliffen werden, so dass einige Ecken und Kanten wegfallen, und selbstverständlich wird der Kristall erst jetzt, im Lichte der geistigen Sonne, seine ganze Herrlichkeit entfalten können, aber Grundform und Struktur liegen nach dem Austritt aus der natürlichen Welt unwandelbar fest.

 

Swedenborg hat mehrfach darauf hingewiesen, dass das Ende des irdischen Lebens zugleich das Ende der irdischen Entwicklung ist (so formuliert klingt es fast banal): "Der Tod ist die Fortsetzung des Lebens, jedoch mit einem Unterschied: Der Mensch kann dann nicht mehr umgebildet werden. Die gesamte Umbildung geschieht nämlich im Zustand der Vollständigkeit (in pleno), d.h. im Ersten und zugleich im Letzten. Und das Letzte wird in der Welt in Übereinstimmung mit dem Ersten umgebildet und kann später nicht mehr umgebildet werden, weil das Letzte des Lebens, das der Mensch nach dem Tod bei sich hat, ruht und mit seinem Innern einmütig zusammenwirkt, d.h. als Einheit tätig ist." (GV 277). Das "Letzte" kann also später nicht mehr umgebildet werden, weil es ruht. Offensichtlich kann das Natürliche nur im Natürlichen gebildet werden. Merkwürdigerweise hat Swedenborg sogar die Menschwerdung des Allgegenwärtigen mit dem notwendigen vor-Ort-sein begründet: "Die Erlösung ohne das Menschliche zu bewirken, war Gott ebenso unmöglich, wie es dem Menschen unmöglich gewesen wäre, Indien zu unterwerfen, ohne zuvor Soldaten dahin überschifft zu haben." (WCR 84). Wenn selbst der Allgegenwärtige in den natürlichen Grad eintauchen musste, um hier Entscheidendes zu bewirken, um wieviel mehr gilt das für den schwachen Menschen?! In seiner "Kurzen Darstellung der Lehre der Neuen Kirche" schreibt Swedenborg: "Ich hörte von den Engeln, dass bei keinem das Leben nach dem Tode geändert werden könne, weil es je nach seiner Liebe und seinem Glauben und somit nach den Werken organisiert ist … Ferner [hörte ich] dass die Veränderung der Organisation einzig im materiellen Körper statthaben kann, und dass sie durchaus nicht statthaben kann in dem geistigen Leib, nachdem der vorige abgelegt worden ist." (KD 110). Die Organisation der Geistesstruktur kann also nur im materiellen Körper verändert werden. Das Körperleben scheint unserer Geistexistenz zudem die notwendige Festigkeit zu geben, um ewig im Angesichte Gottes als selbständiges Wesen bestehen zu können. Diesen ungewöhnlichen Schluss kann man aus den folgenden Andeutungen Swedenborgs ziehen: "Der Mensch kann für den Himmel nur durch die Welt gebildet werden, denn dort liegen die letzten (Aus)wirkungen vor, in denen die Neigung eines jeden begrenzt werden muss (terminanda est)." (HH 360). Warum muss die Neigung eines jeden begrenzt werden? Um das individuelle Sein eines Geistes gegenüber dem allgemeinen und unendlichen göttlichen Sein zu sichern? Deutlicher kommt der Gedankengang Swedenborgs in folgender Stelle zum Ausdruck: "Die materielle (menschliche Körper)form ist (der Geistpersönlichkeit) hinzugefügt und übergezogen worden, damit der Mensch … etwas Bleibendes (aliquod fixum) als Behälter (oder Zusammenhalt) des Geistigen aus den reineren Substanzen der Welt mit sich bringen, und so sein Leben (ohne Unterbrechung) fortsetzen und immerwährend fortdauern lassen kann." (GLW 388). Dieses "fixum aus den reineren Substanzen der Welt" erinnert an Swedenborgs Theorie vom Limbus, die insbesondere Henry Geymüller11) sichtbar gemacht hat. Das substantielle Mitbringsel aus der natürlichen Welt kann als Auferstehung des Fleisches angesehen werden. An sich hält Swedenborg ja die Verherrlichung und Himmelfahrt des Christusleibes für eine Ausnahme, aber die Tatsache, dass auch der Mensch die reineren Substanzen seiner Körperwelt mit ins ewige Leben nimmt, kann als Quasi-Auferstehung des Leibes betrachtet werden. Diese natürliche Grundstruktur der Geistpersönlichkeit kann offensichtlich nicht mehr verändert werden, sonst würde Swedenborg sie nicht ein "fixum" nennen. Zugleich sichert sie die immerwährende Fortdauer des Lebens, denn das Leben braucht einen Zusammenhalt (Behälter), um sich nicht zu verflüchtigen.

11) H. de Geymüller. Swedenborg und die übersinnliche Welt. Faksimile Nachdruck der Ausgabe von 1936 (Zürich: Swedenborg Verlag, o.J.) 133-179

 

Abschließend sei noch ein längerer Abschnitt aus dem "Geistigen Tagebuch" zitiert: "Solange der Mensch [in der Welt] lebt, ist er im Letzten der Ordnung und hat ein körperliches Gedächtnis, welches zunimmt, und in welchem die Dinge, welche zu seinem inneren Gedächtnisse gehören, Wurzel fassen müssen. Je mehr daher mit Gutem und Wahrem Übereinstimmendes und Entsprechendes in ihnen und zwischen ihnen ist, desto mehr Leben hat er vom Herrn, und desto mehr kann er im anderen Leben vervollkommnet werden. Das äußere oder körperliche Gedächtnis jedoch ist dasjenige, worin das Innere wurzelt. Nach dem Tode hat der Mensch zwar auch sein ganzes äußeres oder körperliches Gedächtnis, oder alles und jedes, was dazu gehört, aber es kann nicht mehr zunehmen, und wenn dies nicht der Fall ist, können neue Übereinstimmungen und Entsprechungen nicht gebildet werden, und daher sind alle Dinge seines inneren Gedächtnisses daselbst, und laufen aus in seinem äußeren Gedächtnis, obgleich er dieses jetzt nicht benützen darf. Aus diesem kann erhellen, was das heißt: 'Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen'. Nicht dass der Gute nicht mehr vervollkommnet werden könne, er wird in hohem Maße vervollkommnet, bis zur Weisheit der Engel, - aber gemäß der Übereinstimmung und Entsprechung, die zwischen seinem Inneren und Äußeren war, während er in der Welt lebte. Nach dem Leben des Körpers empfängt Keiner äußere, sondern nur innere und innerste Dinge. Was die Lehre betrifft, dass der Baum liegen bleibe, wo er falle, so ist sie nicht so zu verstehen, wie sie gewöhnlich erklärt wird, sondern wie folgt: Die Übereinstimmung des inneren oder geistigen Menschen mit dem äußeren oder natürlichen Menschen ist es, die bleibt, wie sie fällt. Der Mensch hat im anderen Leben beide bei sich. Das Innere oder Geistige läuft aus in seinem Äußeren oder Natürlichen, als in seinem Letzten. Der innere oder geistige Mensch wird im anderen Leben vervollkommnet, jedoch nur insoweit, als er im äußeren oder natürlichen Übereinstimmung haben kann. Dieser aber, d.h. der Äußere oder Natürliche, kann im anderen Leben nicht vervollkommnet werden, sondern bleibt des Charakters, den er sich im Leben des Körpers angeeignet hatte. Und er wird in diesem Leben vervollkommnet durch die Beseitigung der Selbst- und Weltliebe, und so durch die Aufnahme des Guten, welches von der Liebtätigkeit, und des Wahren, welches aus dem Glauben vom Herrn ist. Daher ist es die Übereinstimmung oder die Nichtübereinstimmung, welche der Baum mit seiner Wurzel ist, die nach dem Tode bleibt, wo sie fällt." (D. Sp. Minus 4645 4646 in: Leh 550f).

 

Auch Lorber hat auf die Bedeutung eines "festen Bodens" hingewiesen, wie ihn die materielle Welt darstellt. Die Besserung im Jenseits ist deswegen so schwer, weil die bloße Seele ganz und gar auf ihr eigenes Bewusstseinsmaterial angewiesen ist. Demgegenüber stellt die "objektive" Welt einen sicheren Halt und Orientierungsrahmen dar, an dem sich der Geist, der die göttliche Ordnung noch nicht in sich gefunden hat, anlehnen kann: "Auf dieser Erde hat ein jeder Mensch einen festen Boden [Ev VI.65.4], hat vor sich eine Menge guter und schlechter Wege und hat um sich allerlei Ratgeber, Führer und Lehrer … aber im andern Leben hat des Menschen Seele nichts als nur sich selbst und ist die Schöpferin ihrer Welt, ähnlich wie in einem Traume. In solch einer Welt kann es denn auch keine andern Wege geben, als die sich eine Seele aus ihrer Liebe, aus ihrem Willen und aus ihrer Phantasie gebahnt hat." (Ev X.113.3f). "Jenseits aber gibt es Schulen in einer endlosen Menge, in denen die Seelen auf die allerpraktischste Weise unterwiesen werden könne. Aber freilich geht es drüben nicht so leicht wie hier, weil dort eine jede Seele keine andere Welt und Umgebung hat als nur die, die aus ihrem Denken, Fühlen und Wollen entsteht und der Seele alles das bietet, was sie liebt und will. Nun, da ist es dann offenbar schwerer, günstig auf eine Seele, die voll Irrwahnes ist, einzuwirken denn hier, wo sie auf einem fremden und festen Boden [Ev X.113.3] steht und eine große Masse von ebenfalls ganz fremden Umgebungen um sich zählt … so jenseits eine Seele in sich und also in ihrer Welt statt besser nur immer schlechter und böser wird, so wird natürlich im gleichen Maße auch ihre Scheinwelt und ihre Gesellschaft und Umgebung schlechter. So wie die Seele in sich wahrheitsloser und lichtloser wird, so wird desgleichen auch ihre Welt und ihre Umgebung, was sie sehr zu drücken und zu quälen beginnt. Mit der Steigerung der Qual steigt auch ihr Zorn und ihre Rachgier, und das ist dann schon der Eingang in die Hölle, und diese ist ein wahrer zweiter Tod der Seele, aus dem dann höchst schwer wieder herauszukommen ist … es kann das so manche erzböse Seele wohl Milliarden von Erdjahren Zeit kosten, bis sie durch solche qualvollen Mittel zu einiger Besserung aus sich heraus kommen wird. Darum ist hier ein Tag mehr wert denn jenseits hundert Jahre, nach der Erdenzeit gerechnet." (Ev VI.65.3-6).

 

 

10. Exkurs: Wie der Baum fällt, so bleibt er liegen

 

Die Sentenz im Buch Kohelet "Wenn der Baum fällt - er falle nach Süden oder Norden zu -, wohin er fällt, da bleibt er liegen" (Koh 11.3) deuten Swedenborg und Lorber als Hinweis auf das Jenseitsschicksal des Menschen. Deswegen kurz einige Worte dazu. Swedenborg zufolge bedeutet der Ausspruch: "Wie das Leben des Menschen beschaffen war, als er starb, so bleibt es." (GV 277). Das ist jedoch nicht im Sinne einer absoluten Unwandelbarkeit zu verstehen. An anderer Stelle präzisiert Swedenborg seine Meinung: "Die Übereinstimmung des inneren oder geistigen Menschen mit dem äußeren oder natürlichen Menschen ist es, die bleibt, wie sie fällt." Daher kann "der innere oder geistige Mensch im andern Leben" zwar "vervollkommnet" werden, "jedoch nur insoweit, als er im äußeren oder natürlichen Übereinstimmungen haben kann". (D. Sp. Minus 4646 (?) in: Leh 551). Diese Aussage hatte wohl Ernst Benz vor Augen, als er seine oben zitierte Einschätzung niederschrieb. Lorber zufolge bedeutet der Ausspruch: "Wie du glaubst, so wird es dir werden!" Der Baum bezeichnet den "Glauben" (vgl. GS I.51.1), wobei der Glaube hier die Begründungen im Sinne Swedenborgs sind.

 

 

11. Was ist Ewigkeit?

 

Da von einer ewigen Verdammnis gesprochen wird, stellt sich die Frage: Was ist Ewigkeit? In Anlehnung an Lorber könnte man eine Ewigkeit an sich und eine Ewigkeit in sich unterscheiden. Erstere wäre als "eine unendliche Zeitenfolge" zu betrachten; letztere ist "weder eine Vergangenheit, noch eine Zukunft, sondern eine fortwährende Gegenwart all des schon vor undenklichen Zeiten Geschehenen und des nach undenklichen Zeiten noch zu Geschehenden" (GS II.46.3). An anderer Stelle warnt Lorber, "das Wort 'ewig' nicht als eine endlos fortdauernde Zeit" zu betrachten, denn: "Die Ewigkeit entspricht wohl der Zeitendauer in den materiellen Welten; aber jenseits im Geiste ist sie das, was hier die Zeit ist … So Ich denn von der Ewigkeit und Unendlichkeit rede, so müsst ihr das auch in dem rechten Sinne verstehen, - nicht aber, wie es euch euer kurzsichtiger Weltverstand eingibt." Aus der Tatsache, dass die Ewigkeit mit der Zeitendauer in den materiellen Welten korrespondiert, folgt - wie Lorber ausdrücklich vermerkt - nicht, "dass in ihr keine Veränderung statthaben sollte, sondern nur das ist damit angezeigt, dass die Wahrheit und das Leben ewig und unveränderlich gleich ist, und das Falsche und Unwahre bleibt denn als Gegensatz zu dem ewigen Wahrheitslichte und Leben demnach auch ewig, ohne dass ein Wesen dadurch gezwungen wäre, ewig in diesem Widersatze zu verbleiben" (aus Ev X.155.1, 2 und 5). Auch Swedenborg sah die Probleme, die sich aus dem Begriff der Ewigkeit ergeben, wenn man ihn als Mensch in der Zeitlichkeit verwendet: "Menschen haben eine Vorstellung des Ewigen mit Zeit, Engel aber ohne Zeit" (Anmerkungen zu HH 167: HG 1382, 3404, 8325). "Die Engel verstehen unter Ewigkeit einen unendlichen Zustand, aber nicht eine unendliche Zeit." (HH 167).

 

 

12. Erlösung aus dem höllischen Wahnsinn?

 

Gibt es nun eine Erlösung aus dem höllischen Wahnsinn oder nicht? Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht. Wir haben zwar einige Einsichten in die Unterschiede zwischen dem Leben hier im Diesseits und dort im Jenseits gewonnen, und uns ist der einmalige und unschätzbare Wert eines Erdenlebens bewusster geworden, aber die eigentliche Frage nach der ewigen Verdammnis bleibt unbeantwortbar. Swedenborg hat auf vielen Feldern der Theologie wieder den Gott der Liebe sichtbar gemacht, aber das Endschicksal der Verdammten blieb auch seinem Seherblick verborgen. Immerhin wissen wir soviel, dass Gott am Elend der Verdammten unschuldig ist. Nicht er straft die Teufel, sondern sie strafen sich selber. Für sie gilt die alte Spruchweisheit: "Volenti non fit iniuria." (Dem Wollenden geschieht kein Unrecht).

 

Dennoch fragt der unausrottbare Glaube an den unauslöschlichen Heilswillen der ewigen Liebe nach den Mitteln und Wegen, die zu einer Erlösung aus dem höllischen Wahnsinn führen können. Eine gewisse Befreiung aus ihren höllischen Zuständen könnte sich für die Teufel aus den Qualen ergeben, die sie sich gegenseitig zufügen. Wenn Swedenborg feststellt, dass die Bösen "nicht mehr auf dem Wege des Denkens und Verstehens des Wahren (per viam cogitationis seu intellectus veri) gebessert und verwandelt werden" können (HH 508), dann kann dieser Satz positiv gewendet auch bedeuten, dass eine Verbesserung des Zustandes auf anderen Wegen vielleicht doch noch möglich ist. Diese anderen Wege können, soweit ich sehe, nur die der Strafe sein, wobei wir uns darüber im klaren sind, dass nicht Gott der Strafende ist. In seinem "Geistigen Tagebuch" hatte Swedenborg gesagt: "Im anderen Leben wird eine Strafe nur zu dem Zweck verhängt, dass durch Leiden und Qualen der Schuldige gebessert werden möge." Und Lorber formulierte: "Eine sogenannte Strafe … kann daher nur ein Mittel zur Erreichung des einen Grund- und Hauptzweckes sein [, der in der Erreichung des ewigen Lebens besteht]!" Demnach wäre nach dem Sprichwort "Wer nicht hören will, muss fühlen" doch noch ein Ausweg aus der Hölle denkbar. Die gegenseitigen Peinigungen, die sich die Höllenbewohner zufügen, können zu einer Ermattung ihrer höllischen Lebenslust führen. Das ist dann eine Besserung "von außen", denn aus eigenem Antrieb kann sich kein Teufel aus den Schlingen seiner höllischen Liebe befreien, weil er ganz und gar höllisch und somit keiner Reue fähig ist. Könnte er seinen Zustand bereuen, dann befände er sich schon nicht mehr in ihm. Das stellt Lorber unmissverständlich klar: "wenn der Teufel von innen heraus einer guten Reue fähig wäre, so wäre er kein Teufel und befände sich nicht in der Hölle. Es kann darum ein Teufel von innen, also aus sich heraus, ewig nie gebessert werden, wohl aber ist das noch nach undenkbar langen Zeitläufen durch fremde Einwirkung von außen her [d.h. durch die Höllenstrafen] möglich" (Ev VII.93.6). "Arme Teufel" gibt es so gesehen nicht. Dass ein Teufel "von innen, also aus sich heraus, ewig nie gebessert werden" kann, kommt auch in der folgenden Stelle zum Ausdruck: Auf die Frage eines Römers "Solche Geister sind demnach ihres inneren bösesten Zustandes wegen aus sich selbst nie fähig, wahre Bewohner des Himmels zu werden?" antwortet der Herr bestätigend: "Ganz sicher; wenn sie tausend Ewigkeiten also belassen werden, so werden sie aus sich, statt je einmal besser, nur ewig immer schlechter!" (Ev VI.238.1, 2 und 6). Die Zeit der Gnade, d.h. der Trennung von Wollen und Denken während des Erdenlebens, ist für einen solchen Teufel eben vorbei. Nun ist er ein Opfer seines Hasses, seines Hochmuts, seiner Herrschsucht. Aus eigener Kraft kann er sich nicht mehr aus dem höllischen Pfuhl ziehen, denn seine eigene Kraft ist ja durch und durch höllischer Natur. Ein Teufel kann seine Rettung bestenfalls erleiden, aktiv mitgestalten kann er sie nicht mehr. Swedenborg sah, dass die Höllenqualen allmählich zu einer Eindämmung der höllischen Lebenslust führen, was die Hölle erträglicher macht, aber keineswegs in einen Himmel wandelt: Die Höllenbewohner "haben … immer ärgere Übel zu erdulden, und zwar, bis sie es nicht mehr wagen, jemanden Böses zuzufügen, und hernach bleiben sie in der Hölle in Ewigkeit. Aus dieser können sie nicht mehr herausgeholt werden, weil ihnen kein Wohlwollen gegen jemand gegeben werden kann, sondern nur, dass sie niemand Böses tun aus Furcht vor Strafe, während die Begierde dazu immer bleibt." (HG 7541).

 

Die Frage, wie man seinem eigenen, bösesten Leben entkommen kann, wenn man ihm erst einmal gänzlich ausgeliefert ist, bleibt ein ungelöstes Rätsel. Daher diene als Schlusswort eine Bemerkung Lorbers: "Was dereinst mit den 'Verdammten' nach der 'Wiederbringung aller Dinge'12) geschehen wird, ist niemandem zu wissen gestattet. Solches weiß auch kein Engel - selbst der höchste fürs Licht geschaffene Geist nicht. Nur die Gottheit des Ewigen Vaters in Ihrer Heiligkeit sieht vorher die Schicksale aller Kreatur durch alle Ewigkeiten der Ewigkeiten; und jeder nach dem heiligen Willen Gottes in dieser übergeheimnisvollen Sache Erleuchtete aber erst in künftigen Zeiten.“13)

12) Diese Formulierung (gr. apokatastasis pantwn) spielt in der Theologie des

Origenes eine wichtige Rolle, mit der Lorbers Entwurf auch sonst manche

Gemeinsamkeiten hat.

13) Dieses Wort findet man mit der Datumsangabe „Am 12. Januar 1842“ in: Jakob Lorber. Jenseits der Schwelle: Sterbeszenen. 7. Aufl. (Bietigheim: Lorber Verlag, 1990) 128


(Mit Genehmigung des Verfassers, 8/2020)

 

Siehe auch linke Randspalte unter Kommentare / Dokumentationen: Wilfried Schlätz, „Gibt es eine ewige Verdammnis“ u.a.