„Die größten Einwürfe, die er mit seinem Verstandesleben gegen diese Gnaden-Mitteilungen (Neuoffenbarung) macht, sind vorerst, dass selbe nicht überall mit der Bibel übereinstimmen…“


 

"Bibel-, Geistes-, Gotteswort"

Zum Alten und Neuen Testament

 

1. „Bibel-, Geistes-, Gottes-Wort“

2. Steht die Neuoffenbarung über der Bibel?

 

 

1. "Bibel-, Geistes-, Gotteswort"

 

Jesus: „Wenn es deinem Bruder nicht so ernst wäre mit seinem Ich und mit seinem geistigen Fortschritte, so würde Ich auf seine Zweifel nicht antworten, weil Ich, stets den freien Willen des Menschen respektiere, ihm die Wahl gelassen hätte, entweder den Eingebungen eines andern, auf Irrwegen gehenden Menschen oder Meinen Ratschlägen zu folgen.

 

Dein Bruder kann überzeugt sein, dass es Mir ganz gleichgültig ist, ob er glaubt, dass alle diese Mitteilungen (Neuoffenbarung), die er bis jetzt durch dich bekommen und gelesen hat, von Mir herrühren oder nicht; wenn er nur, was in diesen Mitteilungen euch allen gegeben ist, befolgen würde, so glaube Ich, es würde dann bald in seinem Gemüte so viel Licht werden, das er den rechten Geber schon herausfinden könnte.

 

Die größten Einwürfe, die er mit seinem Verstandesleben gegen diese Gnaden-Mitteilungen (Neuoffenbarung) macht, sind vorerst, dass selbe nicht überall mit der Bibel übereinstimmen. Gut, nun frage Ich aber: `Was ist denn eigentlich die Bibel?` Ist sie ein von Mir direkt und ohne fremde Einmischung gegebenes Werk, so nur Meine Worte enthalten sind, oder ist sie ein zusammengetragenes, teils wahr und teils falsches Menschenwerk, welches sich die Vertreter Meiner Lehre und Ausüber derselben (der Klerus nämlich) seit frühesten Zeiten nach ihren Interessen eingerichtet haben?`

 

Siehe nun, Mein lieber Sohn, hier muss Ich dir antworten: `Die Bibel ist nicht Mein, nicht Gottes-, sondern ein Menschenwerk` (d.h. kritisch, historisch und äußerlich betrachtet).

 

`Was ist das Alte Testament?`

 

Das Alte Testament ist, von der Schöpfungsgeschichte Mosis angefangen bis ans Ende, mit allen Propheten, vorerst ein Bild der geistigen und materiellen Schöpfung, welches die meisten Leser und Ausleger bis heute noch nicht im wahren Sinne entziffern und verstehen können.

 

`Die weiteren Mitteilungen, was sind sie?`

 

Die geschichtlichen Darstellungen der Kriege der Juden mit den angrenzenden Völkern und die Mahnworte der Propheten, die zwar durch Mich getrieben schreiben mussten, was Ich ihnen in die Feder diktierte, um dieses Judenvolk zu warnen und zu retten, dieses Volk, welches Ich zu so großer Mission erkoren hatte, was aber trotz alledem nicht möglich war zu erreichen, wie es die Geschichte bis auf den heutigen Tag klar beweist. Nur vereinzelt findest du da oder dort Mitteilungen von Mir, wo es heißt: `Und der Herr Gott Jehova Zebaoth sprach zu mir!`(Besonders häufig in Ezechiel)

 

Wo existiert eine so lange Folge von Lehren, Mahnungen und Aufklärungen, wie Ich selbe nun schon seit mehr als 50 Jahren (seit 1840) Selbst gegeben habe? Nirgends! Überall waren es Propheten, aber nur `Menschen`, die da schrieben, ja schreiben mussten, von Meinem Geist getrieben.

 

`Das Neue Testament,

 

was weist denn dieses auf, ist es Gottes- oder Menschen-Werk?` Die Antwort auf diese Frage ist wieder die nämliche: Ein Menschenwerk, verstümmelt, zugeschnitten und mit andern Dingen ergänzt, je nach dem Bedürfnisse des Zeitalters, wo es (ab-)geschrieben wurde und wie es der damaligen Geistlichkeit am besten anpasste.

 

Die Offenbarung Johannis ist das einzige von Meinem Apostel geschriebene Werk, das aber bis jetzt noch niemand versteht, so sehr sich viele die Mühe geben, selbe zu entziffern, und zwar vor der Zeit, als Ich es will.

 

Alles andere, was nun im Neuen Testament steht, was Meine Lebens- und Leidensgeschichte betrifft, ist zumeist nach den Aussagen Meiner Apostel und weniger von ihnen selber aufgezeichnet worden, daher kommen die verschiedenen Abweichungen in der Erzählung von einzelnen Begebenheiten Meines Lebens und Leidens.

 

Nicht einmal die Briefe Meiner Apostel an verschiedene Gemeinden sind unangetastet geblieben. Manches wurde verändert, vieles als apokryph erklärt, ausgemerzt oder auch falsch übersetzt.

 

`Das ist also die Bibel in ihrem jetzigen Zustande, die so manche fanatischen Eiferer als (ganz) Mein Werk, als Mein (reines) Wort betrachten wollen.` Diese Blinden (oder Geblendeten) maßen sich an, sich und andere führen zu wollen, und wenn ein Blinder den andern führt, so kannst du dir schon denken, was da herauskommt.

 

Doch wisse, dass `in der Bibel dasjenige, was Ich darin für die Menschheit als bleibendes Gut niederlegen wollte und derselben als ewige Richtschnur in Beziehung ihrer Bestimmung bleiben sollte, wohl im innern Sinne, trotz der vielen Veränderungen, unversehrt und rein geblieben ist.`

 

Aber es gehört zu dem Auffinden dieses Sinnes ein Geschlecht von geistigeren Menschen dazu, (geistig) Wiedergeborene*), welche die Schale vom Kern zu unterscheiden wissen, dann werden auch die vorhandenen Widersprüche in den Auslegungen und Übersetzungen nichts mehr in dieser Hinsicht beeinträchtigen.

*)  Siehe Themenregister unter „Wiedergeburt“

 

Du siehst also aus allem diesem, `dass die Bibel als Gotteswerk` nicht so gemeint ist, wie es die meisten Ausleger derselben wollen; weil dieses einzige Buch in einer Zeit geschrieben wurde, wo die Spitzfindigkeiten des Klerus noch nicht so weit gediehen waren als jetzt.

 

Dass Ich aber den eigentlichen Sinn dieses Buches bis auf weitere Zeiten verbergen musste, dazu war der Grund, weil, sobald wieder eine Zeitperiode in der Menschheitsgeschichte verlaufen sein würde, Ich wieder, wie einst Meine Propheten, dann Seher erweckete, welche den reiferen Menschen Meine Wahrheit unverhüllter vortragen sollten, wie es eben jetzt geschieht (Neuoffenbarung), und zwar nicht in einzelnen abgebrochenen Sätzen, sondern in größeren Mitteilungen, wovon du selbst die Beweise in Händen hast.

 

Dem weiteren Einwurf begegnend, nämlich als wären diese Eingebungen nicht von Mir, sondern zwar von einem höheren Geist, aber geschaffenen Wesen, den Ich zur Belehrung für euch bestimmt habe, so muss Ich dich nur fragen: Was glaubst du denn, dass Ich eigentlich bin? Glaubst du denn nicht, dass, wenn ein Gott existiert, Er doch der Gott der Wahrheit ist und keiner Lüge fähig, welche er auch gegen euch Würmer gar nicht nötig hätte.

 

Warum sollte Ich, der allmächtige Schöpfer und Herr, euch hinters Licht führen wollen und einen Engelsgeist beauftragen, in Meinem Namen mit euch sich in Verbindung zu setzen, und zwar aus diesem Grunde, damit ihr dann dessen Worten mehr Glauben schenken sollet! Bedenke nur selbst einmal, wie läppisch und geringfügig dieser Kunstgriff wäre für einen Menschen, geschweige erst für einen Gott! Wer zwingt Mich, euch etwas mitzuteilen? Und wenn Ich Mich eurer erbarme, wer schreibt denn Mir die rechten Wege und Mittel vor, welche am besten wären, um euch auf den rechten Weg zu führen?!

 

Wenn Ich es für angemessen gehalten hätte, einen Engel mit dieser Mission zu beauftragen, so wüsste Ich nicht, warum Ich euch solches verbergen sollte; da ihr ja doch nicht wegen dem Engel oder wegen Mir Selbst, sondern wegen eurem eigenen geistigen Wohl das befolgen sollet, was in diesen Kundgebungen euch zu eurem Seelenheil angeboten wurde.

 

Nicht das Lesen dieser Meiner heiligen Lehre führet zum Heile, sondern das danach leben. Also, ob Ich es euch sage oder ein Engel (höherer Geist) in Meinem Auftrage, wäre gleichgültig; nur wer nach Meinen Worten lebt, erreicht das ewige Leben; alles andere hilft nichts!

 

Sobald als jemand nicht in der Befolgung Meiner Worte den Frieden seines Herzens und den wahren Ursprung dieser Lehre tagtäglich mehr fühlt, solange wird er den Geber alles dessen weder lieben noch schätzen können.

 

Nur im Fortschreiten zur Wiedergeburt wird derjenige sein Inneres stets lichter werden sehen und wird seinen Schöpfer als seinen liebevollsten Vater stets mehr erkennen, Der ihm seinem finsteren Erdenwandel mit so vieler Liebe und Gnade aus dem Wuste von Irrlehren und Irrtümern heraus den rechten  Weg zeigen will!

 

Sage Mir einmal, Mein lieber Sohn, wenn du alle diese neuen Kundgebungen und Mitteilungen über Mich, über Meine Schöpfung und über dein eigenes Ich gelesen und verstanden hast, wen wirst du mehr zu lieben anfangen, Mich oder den Engel, welcher Dir vermeintlich solche Kunde gab?

 

Die Antwort ist leicht zu finden und Ich überlasse selbe dir selbst. Dass eben Ich Selbst diese Mitteilungen übernommen, schmeichelt bloß eurer Eigenliebe, hat aber in Bezug auf die Befolgung Meiner Lehre gar keinen Einfluss. Ihr sollt ja nur (mehr) eurethalben Meine Lehre befolgen, damit ihr freiwillig das werden möget, zu was Ich euch auch zwingen könnte, d.h. Mir ähnlich zu werden, wenn Ich wollte!

 

Dass Ich gerade euch hier diese Gnade angedeihen ließ, ist ganz einfach: Nur der Mich sucht und auf dem Wege, wie Ich will, nur von dem lasse Ich mich finden!

 

`Der Mich um Brot bittet, dem gebe Ich selbes, aber nachtragen will Ich niemand eine Kost, die er für den Augenblick nicht nötig zu haben glaubt!`

 

Ihr müsset aber nicht glauben, dass ihr jetzt, weil ihr diese Gnade genießet, schon Wiedergeborene und fehlerfreie Menschen seid! O nein! Nicht im Mindesten, deswegen erlanget ihr diese Gnade (und Mein Schreiber die Fähigkeit, Mein geistiges Wort euch mitzuteilen). Nein, da wärst du in großer Irre! Ihr alle seid noch voller Fehler, fehlt täglich, seid noch weit weg `wiedergeboren` zu sein! Nur eines habt ihr vielen voraus, und das ist: Dass es euch ernst ist, `Menschen` und auch `Meine Kinder` zu werden wie es eure Mission und Mein heiligster Wunsch ist.

 

Deswegen greife Ich euch unter die Arme, unterstürze euch und helfe so dem schwachen Kinde die Stufenleiter, und zwar die einzige, zu mir leichter zu erklimmen. Zu diesem Zwecke sind alle diese Mitteilungen. Beharrung führt zum Ziele! Harret aus! Und auch du wirst am Ende schon sehen, wie viel Wahres und Falsches an allen diesen Mitteilungen klebt, und ob selbe von Mir oder einem Engel gegeben, und ob, wenn du selbe genau befolgest, diese Befolgung sich vom oder zum Endziel geführt hat.

 

Es ist aber ein unerschütterlicher Glaube nötig, ja zu vielem ist er der einzige Grundbau.

 

Du glaubst an eine andere Welt, denn sehen kannst du sie nicht. Du glaubst an einen Einfluss höherer Geister, auch diese kannst du nicht fühlen. Du glaubst an Meine Existenz, und doch siehst du Mich nicht. Du glaubst an ein Fortleben in einem anderen Geisterreich und die faktischen Beweise davon, wenn vielleicht auch im Einzelnen, aber im Ganzen hast du sie nicht. Und so ist der erste Grund der Glaube, ohne den ein weiteres Aufbauen eines geistigen Systems unmöglich ist.

 

Mangelt dir der Glaube, so hilft alles Beweisen nichts, denn es sind Worte in den Wind gesprochen. Glaubst du also, diese Worte kommen direkt aus Meinem Munde, und hat dieser Glaube auf dich einen besonderen Einfluss, so richte deine Taten und Werke danach aus. Glaubst du, es sei ein anderer Geist, der dir sagt, wie du Mein Kind werden kannst, so lasse den Engel Engel sein; und wenn du in ihm ein höheres Wesen erkennst, so suche wenigstens durch Befolgung Meiner Lehre einst das zu werden, was jener schon wäre, d.h. ein tüchtiges Werkzeug für Meine unerforschlichen Ratschläge und Pläne!“

(Empfangen durch Gottfried Mayerhofer am 29.9.1870. Quelle: Lorber Verlag, vergriffen)

 

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"...Deswegen blieb auch die Bibel erhalten, damit sie euch den größten und stärksten Beweis geben soll, wie dort schon alles aufgezeichnet ward, was in späteren Zeiträumen sich stufenweise entwickeln mußte, was aber nur dem Wiedergeborenen, dem mit geistigen Augen Sehenden, deutlich wie in einem Zukunftsspiegel vorleuchtet.

So möget ihr getrost den Blick zu Mir richten und eingedenk sein des Spruches: `Wer Mich nicht verläßt, den verlasse auch Ich nicht!` (PH.01_021,20)

 

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"Sehet, es wird von euch – wie Ich schon öfters gesagt habe – so manches Wort ausgesprochen, ohne daß ihr nur im mindesten eine Ahnung davon habt, was es eigentlich bedeutet! Dies ist ein Zeichen, wie wenig ihr die Tiefe, Kraft und Gewalt des Wortes, als Ausdruck eines Gedankens kennt. Deswegen bin Ich öfters gezwungen, euch vorher auf die einzelnen Worte, aus denen ein aus der Bibel angeführter Satz besteht, aufmerksam zu machen, um euch so nach und nach in ihr Verständnis einzuführen. Solange ihr die Zerlegung der Worte und ihre entsprechende Deutung nicht kennt und zu finden vermögt, solange ist von einem eigentlichen Verstehen der Bibelstellen, auch der einfachsten, keine Rede. Die Bibel mit all dem in ihr niedergelegten Weisheitsschatz bleibt dann für euch unverständlich; höchstens gewährt sie, wenn man sich mit dem oberflächlichen Buchstabensinne begnügt, dem einen oder andern in schweren Momenten des irdischen Lebens einigen Trost und Frieden. (PH.01_024,04)

 


2. Steht die Neuoffenbarung

über der Bibel?

 

Peter Keune

 

Unzweifelhaft steht das Wort Gottes im Zentrum aller göttlichen Offenbarung. Es darf sogar nach dem 22. Kapitel der Offenbarung des Johannes, Vers 18-19 nichts hinzugefügt oder weggelassen werden. Denn es steht:

 

„…wenn jemand etwas hinzufügt, so wird Gott ihm die Plagen zufügen, die in diesem Buch geschrieben stehen und wenn jemand etwas wegnimmt von den Worten des Buchs dieser Weissagung, so wird Gott ihm seinen Anteil wegnehmen am Baum des Lebens und an der heiligen Stadt, von denen in diesem Buch geschrieben steht…“

 

Selbst Swedenborg, der sich eng auf die Bibel bezieht und diese als höchste Offenbarung Gottes ansieht, wird von den meisten Theologen als unchristlich eingestuft, weil er nach ihrer Auffassung die Aussagen der Bibel eigenwillig umdeutet, besonders hinsichtlich der Dreipersonen- Gottlehre, die nach Swedenborg aber nur eine Person mit drei Wesenheiten ist, nämlich Liebe (Vater), Weisheit (Sohn) und wirkende Kraft (Heiliger Geist). Es handelt sich hier demnach sowohl um Fragen des Glaubens, als auch Fragen der Vernunft.

 

Um auf die Offenbarung des Johannes zurückzukommen: Allein die Annahme, dass Gott (Sich selbst beschränkend) nur eine gewisse Zeit zu den Menschen gesprochen hätte, um dann nie wieder das Wort zu ergreifen, obwohl sich die Menschheit als solche immer weiterentwickelt, ist nicht logisch und auch gänzlich unbefriedigend. Wie also kann es gemeint sein? Hier stellt sich die Frage nach dem inneren und äußeren Sinn der Bibel.

 

Das herrschende Bibelverständnis ist nach dem Buchstabensinn ausgerichtet, was immer mehr Zweifel an der Richtigkeit der biblischen Aussagen aufkommen lässt, denn wissenschaftliche Erkenntnisse stellen berechtigter Weise heute vieles davon in Frage (wie z.B. die Erschaffung der Erde in 6 Tagen).

 

Swedenborgs Ausführungen, die aufzeigen, dass die Bibel hinter ihrem Buchstabensinn weitere Sinnebenen hat, als da sind geistige und himmlische Entsprechungen*), scheint da logischer und einer umfassenden göttlichen Offenbarung angemessener zu sein.

*) Die sich erst je nach Reife des Lesenden sukzessive offenlegen.

 

Dass die ältesten Kirchen vor der Sintflut noch Zugang zu diesen inneren Ebenen hatten, welche sich aber mit der fortschreitenden Verweltlichung, wie Swedenborg berichtet, immer mehr verschlossen haben, ist nachvollziehbar. Nun sind diese verloren gegangenen inneren Entsprechungsebenen über eine äußere Offenbarung wieder verständlich gemacht worden, wie es in Swedenborgs Himmlischen Geheimnissen*) dargelegt ist. Swedenborg sieht sich dabei aber nicht als Vermittler eines neuen Wortes, sondern als Erklärer des biblischen Wortes Gottes.

*) Emanuel Swedenborg: „Himmlische Geheimnisse“, Swedenborg Verlag, Zürich

 

Was also bedeutet der innere Sinn des 22. Kapitels der Offenbarung? Bevor wir hier Näheres ausführen, will ich noch einige Hinweise bezüglich der Neuoffenbarung durch Jakob Lorber voranstellen. Man könnte bei diesem Werk fälschlicher Weise den Eindruck bekommen, als ob es ähnlich wie die Bibel aufgebaut ist und diese fortführt, was ein „zufügen“ wäre. Hier sieht es nämlich so aus, als spräche Gott persönlich, weil Lorber in „Ich-Form“ schreibt, eben wie es bei den alten Propheten heißt: „der Herr sprach zu mir“ oder wie bei Hesekiel 2,1 „Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, tritt auf deine Füße, so will ich mit dir reden“.

 

Ist die Bibel damit hinfällig, weil das Wort des Herrn in den Neuoffenbarungen schon enthüllter gegeben worden ist? Inhaltlich bauen die Neuoffenbarungen allerdings durchaus auf der Bibel auf, wie z. B. bei den genauen Abläufen von Jesu Erdenleben während Seiner Kindheit und Jugend, geschildert in der „Jugend Jesu“, in „Drei Tage im Tempel“ und dann umfassend im „Großen Evangelium des Johannes“ (10 Bände). Dann gibt es noch die „Haushaltung Gottes“, die verloren gegangene Urgeschichte der Menschheit*), von der nur noch wenige Teile (wie die Genesis des Alten Testaments) überliefert sind. Die diversen Jenseitswerke in der Neuoffenbarung durch Jakob Lorber untermauern weitgehend die Aussagen von Swedenborgs Schilderungen. Bleiben als völlig neu die Enthüllungen über die Erde im Sinne von „Naturgeheimnisse“, die Beschreibung des Weltalls bis hin zur Größe der Schöpfung.

*) Nach Swedenborg noch in der Hohen „Tartarei“ vorhanden.

 

Hinzu kommen die vielen Hinweise zur Lebens- und Gesundheitslehre.

 

Swedenborg hat wesentliche Ansätze zur Enthüllung der Bibel aufgedeckt, in der damaligen Gelehrtensprache Latein in 25 Bänden dezidiert dargestellt und damit auf die Einmaligkeit der Bibel als Wort Gottes hingewiesen. Er kannte die NO noch nicht, da sie erst nahe 70 Jahre nach seinem Tod entstand, wies aber wohl indirekt schon auf diese hin, als er auf eine diesbezügliche Anfrage in einem Brief an den Prälaten Oetinger schrieb*), dass nach ihm noch eine redende Erleuchtung käme.

*) „bei einigen wird auch eine redende Erleuchtung gegeben werden, und diese ist mehr als ein Zeichen. Doch vielleicht wird gleichwohl noch eines gegeben“.

 

Die Neuoffenbarung hat Swedenborgs Aufklärung über die inneren Sinnebenen des Wortes in gewisser Weise fortgeführt, wie wohl auch hier die meisten der Aussagen geistig-natürlich gegeben sind und daher entsprechend interpretiert werden müssen. Aber auch das ist möglich, weil die Offenbarungen dem Verständnis heutiger Menschen und be-sonders auch zukünftiger Generationen angepasst sind. Ist der Glaube an Jesus grundsätzlich gefestigt, können die neuen Offenbarungen auf Grund des relativ hohen Bildungsniveaus heute eher als früher verstanden werden. Hebeln diese neuen Offenbarungen nach Lorber aber die Einmaligkeit der Bibel aus?

 

Geht man von Swedenborgs Verständnis aus, dann hebt nichts die Einmaligkeit der Bibel auf, denn in ihr ist alles umfassend für die Ewigkeit angelegt. Daher Swedenborg auf deren Bedeutung (auch für die jenseitige Welt) hinweist.

 

In dem Neuoffenbarungswerk nach Jakob Lorber „Die natürliche Sonne“ wird ein belehrendes Beispiel für die besondere Heiligkeit der Bibel angeführt. Am Beispiel einer Einweihungsszene wird berichtet, wie der Proband (hier „Gast“ genannt) vom Führer nach dessen Prüfungen in einen brennenden Tempel (das geistig entflammte Gotteszentrum in ihm) geleitet wird. Die nachfolgenden Hervorhebungen betreffen unser Thema:

 

„ … allda in der Mitte des Tempels erblickt er dann einen kleinen Altar, das heißt, eine säulentischförmige Erhöhung vom Boden, auf welchem Altare die Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments und zwar in althebräischer Sprache geschrieben, sich befindet.

 

Hier fragt der Gast den Führer, was dieses bedeute? – Und der Führer sagt ihm nichts anderes, als dass das ein Buch ist, in welchem durch eigene Zeichen das Wort Gottes, alle Seine Führungen des gesamten Menschengeschlechtes wie auch die Führung der ganzen Unendlichkeit, zufolge innerer Bedeutung aufgezeichnet ist.

 

Darauf fragt der Gast, ob man solche Zeichen hier wohl lesen könne oder dürfe? – Und der Führer sagt ihm: „Wer hierher kommt, ist verpflichtet, solches alles zu erkennen; denn dieses ist der eigentliche Grund, warum jemand dahin gelangt.“

 

Und weiter spricht der Führer: „Siehe, da du deinen Willen schon also mächtig gemacht hast, dass demselben der Erdboden der Sonne gehorsam ist, so wisse denn, dass einem gerechten Willen auch diese Zeichen gehorchen und sich zu erkennen geben nach dem aufrichtigen und gerechten Willen dessen, der sie erkennen möchte und erkennen will.“

 

Darauf beheißt der Führer den Gast, dass er das Buch anrühren solle.

 

Und sowie dann der Gast das Buch anrührt, wird er alsbald von einem Feuer durchströmt, nach welcher Durchströmung der Gast dann auch die Zeichen recht wohl zu lesen versteht.

 

Wenn der Gast dann das Buch zu lesen anfängt, so wird er von der allerhöchsten Bewunderung ergriffen und hält in diesem Augenblick niemanden für glücklicher und seliger als eben sich selbst, indem er jetzt zum ersten Male Worte vernimmt, welche unmittelbar aus dem Munde Gottes geflossen sind, und erschaut dadurch auch die wunderbar liebevollsten Führungen des großen Gottes.

 

Am meisten durchdrungen und ergriffen aber wird ein jeder solcher Gast, wenn er in das Neue Testament kommt. Denn durch dieses wird ihm auch der ganze Berg Kalvari (den er zuvor besucht hatte, wo die Leidensgeschichte Jesu dargestellt wurde) aufgeschlossen und er weiß sich dann gewöhnlich vor lauter Lob, Dank und Preis nicht zu helfen und kann auch nicht begreifen, wie es nur hat möglich sein können, dass der große Gott solches über Sich hat kommen lassen mögen.

 

Alsdann erst wird ihm von dem Führer die große Liebe in Gott gezeigt und wird ihm gesagt, dass eben durch diese Handlung die Menschen, besonders jene, welche auf dieser Erde wohnen, das wirkliche Kinderrecht überkommen haben, – wodurch dann jeder sogar pflichtmäßig gebunden ist, den großen Gott als den liebevollsten Vater zu erkennen und Ihn dann auch also anzurufen. (Jakob Lorber, „Die natürliche Sonne“, Kapitel 22)

 

Hier wird also ganz deutlich die Bedeutung der Bibel als umfassendes Gotteswort hervorgehoben, aber wie man sieht in Verbindung mit der geistigen Entsprechungslehre, wie sie uns durch Emanuel Swedenborg wieder gegeben wurde. Was der „Gast“ hier empfand, haben die Altväter vor der Sintflut einst intuitiv erfasst und erlebt.

 

Und so ist die Neuoffenbarung eine (teilweise) bildliche Darstellung des inneren Sinnes der Bibel und ist durch den gleichen Geist wie die Bibel als Wort Gottes gegeben worden.

 

Was nun die Aussage in der Offenbarung des Johannes über das verwerfliche „Hinzutun oder das Wegnehmen“ betrifft, so bezieht sich diese natürlich betrachtet nicht auf die Fortführung der Bibel als ganzes Buch, sondern nur auf das Offenbarungsbuch. Denn ursprünglich waren es eigenständige Schriftrollen, die erst später in der heutigen Form zusammengestellt wurden.

 

Geistig betrachtet liegt aber etwas anderes zugrunde, wie Swedenborg in der „Enthüllten Offenbarung“ Nr. 959 schreibt:

 

bedeutet, dass die, welche die Wahrheiten der Lehre dieses nun vom Herrn aufgeschlossenen Buches lesen und wissen und gleichwohl einen anderen Gott als den Herrn anerkennen, und einen anderen Glauben als den an Ihn, indem sie etwas wegnehmen, wodurch sie jene beiden zerstören, keine Weisheit aus dem Wort schöpfen und sich aneignen können, noch aufgenommen werden können in das neue Jerusalem, noch teilhaben können mit denen, die im Reich des Herrn sind.

 

Damit man wisse, dass hierunter nicht verstanden werde: Wer wegnimmt von den Worten dieses Buches so wie es im Sinne des Buchstabens geschrieben ist, sondern wer wegnimmt von den Wahrheiten der Lehre, die in seinem geistigen Sinn sind, so will ich sagen, woher dieses kommt. Das Wort, das vom Herrn diktiert worden ist, drang durch die Himmel Seines himmlischen Reichs und durch die Himmel Seines geistigen Reichs, und kam so zum Menschen, durch den es geschrieben wurde; weshalb das Wort in seinem ersten Ursprung rein göttlich ist, indem es aber hindurchging durch die Himmel des himmlischen Reiches des Herrn, war es himmlisch-göttlich und indem es durchging durch die Himmel des geistigen Reiches des Herrn, war es geistig-göttlich und wenn es zum Menschen kam, war es natürlich-göttlich: Daher kommt es, dass der natürliche Sinn des Wortes einen geistigen Sinn in sich schließt, und dieser einen himmlischen Sinn und beide den rein göttlichen Sinn, der keinem Menschen und nicht einmal einem Engel offenbar ist. Dies ist angeführt worden, damit man sehen kann, dass unter den Worten, es solle zu dem, was in der Apokalypse geschrieben steht, nichts hinzugesetzt und nichts davon weggenommen werden, im Himmel verstanden werde, es solle zu den Wahrheiten der Lehre vom Herrn und vom Glauben an Ihn und vom Leben nach Seinen Geboten nichts hinzugesetzt oder davon weggenommen werden; denn dieser Sinn ist es, wie gesagt, aus dem der Sinn des Buchstabens abstammt“.

 

Im Übrigen zeigen die Wirkungen des Lesens (auch des Buchstabensinnes des Wortes) bei gläubiger Sinnesart von selbst auf den Urheber. Sie erweitern das Herz in großer Liebe zu Jesus Christus als den Mensch gewordenen Gott und damit als der alleinige Gott über alle Schöpfung.

 

Diese Gottesliebe und aus dieser die Liebe zum Nächsten ist das eigentliche Ziel aller heiligen Schriften.

 

Was nun die Abweichungen von der Bibel betrifft, wie sie von den Theologen dem Seher Swedenborg und auch dem Schreibknecht der Neuoffenbarung Jakob Lorber vorgeworfen werden, handelt es sich um theologische Auslegungen, die einst beim Konzil in Nicäa und nachfolgend in der Kirchengeschichte festgelegt wurden. Es wäre an der Zeit, diese auf ihre Richtigkeit im Verhältnis zur Neuoffenbarung zu hinterfragen.

 

Bleibt die naheliegende Frage, ob man als Leser der Neuoffenbarung die Bibel noch braucht, da sie in ihrem Buchstabensinn sehr schwer zu verstehen ist? Dies kann natürlich nur jeder für sich selbst beantworten. Auf jeden Fall ist die heilige Schrift eine kompakte Offenbarung Gottes, die, wie oben gezeigt, in sich alle drei geistigen Sinn-Ebenen enthält, welche sich dem Leser mit zunehmender Reife immer mehr erschließen.

 

Dazu ein eigenes Erlebnis. In den frühen Morgenstunden vor einem noch zu haltenden Vortrag auf einer Tagung in Hohenwart las ich im Traum in einer Bibel. Dabei sah ich den Buchstabensinn gar nicht und wie von selbst öffneten sich die inneren Sinne und ich wusste einfach, was sie aussagen sollten. Man kann diesen Vorgang für Außenstehende nicht so recht erklären, aber er gibt für mich das wieder, was der „Gast“ in obiger Beschreibung empfand. Ich denke mir, dass in der geistigen Welt ein Mit- und Ineinandergreifen dieser göttlichen Offenbarungen stattfindet, allerdings unterschiedlich nach Art und Grad der jeweiligen Seelenebene der Jenseitigen. Denn die Grade (himmlisch / geistig / natürlich) sind nicht ohne Grund Abgrenzungen, die sich übrigens auch auf dieser Erde nachhaltiger als Landesgrenzen auf das Miteinander in der Gesellschaft auswirken.


(Aus: Rundbrief des Swedenborg-Zentrums, Berlin, April 2021)