"Die Schöpfungsgeschichte..." Teil 2

 

3.3.3. Die Schöpfungstage


3.3.3.1. Der erste Tag


(1)31 IM ANFANG SCHUF GOTT32 (ELOHIM) HIMMEL UND ERDE.

31 Lorber: »Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüste und leer und Finsternis auf der Tiefe; Gottes Geist aber schwebte über den Wassern. Und Gott sprach: ›Es werde Licht!‹, und es ward Licht. Gott sah, daß das Licht gut war; da schied Er das Licht von der Finsternis. Er nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.« (GEJ I,157,1f.). »Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, und die Erde war wüste und leer, und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser. Da sprach Gott: ›Es werde Licht!‹ Und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht. Da ward denn aus Abend und Morgen der erste Tag.« (GEJ II,214,2). »Im Anfange schuf Gott Himmel und Erde« (GEJ II,219,5). Die Erde war »wüst und leer« (GEJ II,220,1). »Es war noch finster auf der Tiefe« (GEJ II,219,10). Der »Geist Gottes« »schwebte« »auf dem Wasser« (GEJ II,220,6). »Es werde Licht! und Es ward Licht!« (GEJ II,220,7). »Da schied Gott das Licht von der Finsternis und hieß das Licht Tag und die Finsternis Nacht.« (GEJ II,221,1). »Da ward aus Abend und Morgen der erste Tag.« (GEJ II,221,3). »Im Anfange schuf Gott den Himmel und die Erde, und die Erde war wüst und leer und finster in ihrer Tiefe.« (GEJ III,28,5). Siehe auch GEJ III,235,2f.

32 Elohim ist im gesamten Schöpfungsbericht die Bezeichnung für »Gott«.

Wenn man den Schöpfungsbericht, wie es im folgenden geschehen soll, auf die Wiedergeburt hin auslegt, dann ist der »Anfang« »die erste Zeit der Wiedergeburt« (HG 16). Jedoch ist neben dem zeitlichen auch der prinzipielle Anfang gemeint, denn »Himmel und Erde« bilden die Grundlage der Wiedergeburt. Der »Himmel« bezeichnet den inneren und die »Erde« den äußeren Menschen (HG 16). Oder mit Lorber gesprochen: »Der ›Himmel‹ ist das Geistige, und die ›Erde‹ das Naturmäßige im Menschen« (GEJ I,157,4). Auch Swedenborg kann den Himmel das Geistige und die Erde das Natürliche nennen, denn das Geistige ist wie der Himmel oben und das Natürliche wie die Erde unten: »Das Geistige ist das Frühere, Innere, Obere und dem Göttlichen Nähere; das Natürliche aber ist das Spätere, Äußere, Untere und vom Göttlichen Entferntere. Darum wird das Geistige beim Menschen und in der Kirche mit dem Himmel verglichen und Himmel genannt; während das Natürliche mit der Erde verglichen und Erde genannt wird.« (HG 5013). Das Geistige ist das Wahre oder alles, was zum Bereich des Verstehens gehört; im Unterschied zum Himmlischen als der Welt des Guten oder des Wollens (HG 61, 4570, GLW 280). Auch in den Lorberschriften kann »das Geistige« in diesem Sinne verstanden werden, denn der »Himmel« von Genesis 1 kann als »die Intelligenzfähigkeit « (GEJ II,219,6) gedeutet werden und als »die sich selbst erkennende Weisheit« Gottes (GEJ III,28,6). Zu »Himmel und Erde« als Begriffspaar ist zu sagen, daß es den Menschen als Ganzheit bezeichnet, denn nach antiker Anschauung drückt erst die Doppelheit die Ganzheit aus. Die Wiedergeburt geschieht also auf der Grundlage des Menschen der »Himmel und Erde« und somit in der Schöpfung das »medium conjunctionis« (HH 112) ist, wo das Geistige mit dem Natürlichen verbunden ist.


»Elohim« (Gott) ist das Wahre des göttlichen Wesens; das Gute dieses Wesens heißt »Jehovah« (HG 2586), doch dieser Name kommt in Genesis 1 noch nicht vor, weil das Sechstagewerk die Wiedergeburt aus dem Licht des Wahren beschreibt. Swedenborgs Deutung des Elohimbegriffs ist auch aus den hebräischen Buchstaben ableitbar33, denn Aleph bezeichnet den Ursprung, Lamed  das Licht und He den Lebenshauch der Seele, »Elohim« bezeichnet daher das Licht des Ursprungs (= das göttliche Licht) in der Seele. Ferner ist »Elohim« eine Pluralform; sie bezeichnet also genau genommen »alle vom Herrn ausgehenden Wahrheiten« (HG 4402). Diese Wahrheiten existieren als Engel (Botenwesen Gottes), denn Engel sind göttliche Wahrheiten in menschlicher Gestalt. Das Sechstagewerk wird also von Gott durch seine Engel bewirkt. Sie sind bei uns und passen die göttliche Lichtfülle, die als solche nicht zu ertragen wäre, unserem Verständnis an; gemäß diesem Verständnis des Wahren werden wir wiedergeboren. Weitere Aufschlüsse über »Elohim « findet man in HG 300, 4402 und 6003.

33 In der hebräischen Sprache, die der Ursprache noch verhältnismäßig nahe steht (GT 5581), haben bereits die Buchstaben eine Bedeutung: »Es wurde ein Blatt Papier herabgelassen, das mit den hebräischen Buchstaben der ältesten Zeit beschrieben war, die von den heutigen Buchstaben wenig, aber doch etwas abweichen. Der Engel, der bei mir war, sagte, daß er alles dort Geschriebene allein schon aus den Buchstaben verstehe und daß jeder Buchstabe eine Idee, ja eine Sinnfolge von Ideen enthalte. Er unterrichtete mich sogar über die Bedeutung des Jod, des Aleph und des He; über die Bedeutung der übrigen Buchstaben durfte er jedoch nichts sagen.« (GT 4671). Vgl. auch LS 90, HH 260. Die Bedeutung der Buchstaben entnehme ich M. Kahir (Pseudonym für Viktor Mohr), »Das verlorene Wort«, Bietigheim 1960.

 

(2) UND DIE ERDE WAR WÜST UND LEER34 (TOHUWABOHU), UND FINSTERNIS (LAG) AUF DEN ANGESICHTEN DER TIEFE35 (TEHOM); GOTTES GEIST ABER BEWEGTE-SICH ÜBER DEN ANGESICHTEN DER WASSER.

»Wüst und leer« bedeutet, daß »der Mensch vor der Wiedergeburt … nichts Gutes und Wahres« hat (HG 17).
34 tohuwabohu
35 Tehom, Swedenborg hat abyssus (Tiefe, Abgrund).

 

Im Hintergrund steht die Vorstellung, daß der natürliche Mensch (= die Erde) »ein Aufnahmegefäß (receptaculum) des Wahren und Guten vom inneren« Menschen sein soll (HG 8351). Da auch in den Lorberwerken der natürliche Mensch als »Gefäß« (GEJ I,161,1) gesehen wird, ist die Auslegung der wüsten und leeren Erde derjenigen Swedenborgs ähnlich: »Solange … im Gefäße nichts ist, solange auch ist das Gefäß wüst und leer.« (GEJ II,220,1). »Wüst« (tohu) bezieht sich auf die Abwesenheit des Guten, »leer« (bohu) auf die des Wahren (HG 17). Beiden Worten gemeinsam ist die Vorstellung des Nichtvorhandenseins. Das ist auch in der einzigen Stelle im Alten Testament so, die noch einmal das Wortpaar »tohuwabohu« enthält, nämlich Jeremia 4,22f.: »Denn dumm ist mein Volk, mich kennen sie nicht; törichte Söhne sind sie, ohne Verstand sind sie; geschickt sind sie, Böses zu tun, aber Gutes zu tun, verstehen sie nicht. Ich sah die Erde, und siehe, wüst und leer (tohuwabohu) war sie; und zum Himmel, aber kein Licht war dort.« Die aus der Abwesenheit des Guten und Wahren resultierende Nichtigkeit des äußeren Menschen erscheint ihm selbst freilich nicht so, denn er ist angefüllt mit eigenen Interessen und Phantasien. Dieses »Tohuwabohu« des eigenen Interessenchaos kann nur durch die ordnende und strukturierende Kraft des göttlichen Lichtes überwunden werden.


Die »Finsternis« ist »der Stumpfsinn und die Unwissenheit in allen Dingen des Glaubens an den Herrn und somit des geistigen und himmlischen Lebens« (HG 17). »Die Angesichte (Erscheinungsformen) der Tiefe« sind die »Begierden und die daherstammenden Falschheiten« (HG 18). Das hebräische Wort, das hier mit »Tiefe« übersetzt ist, lautet »Tehom« und kann auch »Abgrund«, »Urmeer« und »Chaos« bedeuten. Es kann auch im positiven Sinn verwendet werden (Gen 49,25; Dtn 8,7; Ps 78,15; Ez 31,4), weswegen mir »Tiefe « als geeignete Übersetzung erschien, weil dieses Wort sowohl die Ausdehnung nach unten (tiefes Loch) als auch die Ausdehnung nach innen (tiefe Gefühle) bedeuten kann. In Genesis 1,2 bezeichnet es den äußeren Weltmenschen, »der, weil er kein Licht hat, wie eine Tiefe (abyssus) oder etwas verworren Dunkles ist« (HG 18). Swedenborg deutet also die »Tehom« des Schöpfungsberichtes als die dunkle, undurchdringliche Tiefe der Leidenschaftlichkeit oder Emotionalität des unwiedergeborenen Menschen, die ebenso wildbewegt ist wie das »Urmeer«. Auch die Lorberschriften erblicken in der »Tehom« unsere materielle »Welttiefe« (GEJ I,157,5). Auf ihren Erscheinungsformen lastet die Finsternis des Stumpfsinns und der geistigen Ignoranz.


Der »Geist Gottes« ist »die Barmherzigkeit des Herrn« (HG 19), das heißt seine sich dem Elenden zuwendende Liebe: »Die göttliche Liebe heißt Barmherzigkeit im Hinblick auf das menschliche Geschlecht, das sich in so großem Elend befindet.« (HG 5816)36. Dazu muß man wissen, daß das lateinische Wort für Barmherzigkeit, misericordia, aus miser (= elend) und cor (= Herz) besteht. Diese Liebe ist Gottes Geist, der die tote, im Elend gefangene Schöpfung beleben kann und will. Daher kann das hebräische Wort für »Geist« (»Ruach«) auch den Lebensodem in allem Fleisch bedeuten (Num 16,22; 27,16). Dieser Lebensgeist Gottes bewegt sich über den Wassern. »Die Angesichte der Wasser« sind »die Überreste «, das heißt die »Erkenntnisse des Guten und Wahren, die erst dann ans Licht oder an den Tag kommen, wenn das Äußere entleert (abgeödet) ist« (HG 19). Interessant ist, daß auch die Lorberschriften unter den Wassern »Erkenntnisse« verstehen, aber schlechte: »Die ›Wasser‹ sind eure schlechten Erkenntnisse in allen Dingen, über denen wohl auch der Gottesgeist schwebt, aber noch nicht in ihnen ist.« (GEJ I,157,4). Auf einer anderen Deutungsebene, auf die ich weiter unten zu sprechen komme, versinnbildlichen die Wasser »die noch form- und wesenlose unendliche Masse der Gedanken und Ideen Gottes« (GEJ II,220,6), also keine »schlechten Erkenntnisse«. Solche Beobachtungen lassen uns die Vielschichtigkeit des inneren Sinnes erahnen, der nicht so eindimensional ist, wie es der äußere Weltverstand gerne hätte. Doch dazu später. Vorläufig können wir festhalten, daß der Gottesgeist über den Wassern die Anwesenheit der belebenden Liebe andeutet, die freilich noch nicht in unsere entweder unbewußten oder trüben Wasser eingedrungen ist.

36 Vgl. auch HG 3063.


(3) UND GOTT SPRACH: »ES WERDE LICHT!«. UND ES WARD LICHT. (4) UND GOTT SAH, DAß DAS LICHT GUT WAR; DA SCHIED GOTT DAS LICHT VON DER FINSTERNIS (5) UND 37NANNTE DAS LICHT »TAG«, WÄHREND ER DIE FINSTERNIS »NACHT« NANNTE. Das »Licht« ist das erste Bewußtsein des Guten und Wahren; es dämmert dem natürlichen Menschen, daß es etwas Höheres gibt: »Der erste Schritt der Wiedergeburt besteht darin, daß der Mensch das Gute und Wahre als etwas Höheres zu erkennen beginnt.« (HG 20). Die Deutungen bei Swedenborg und Lorber sind so einleuchtend und ähnlich, daß ich sie ohne weitere Erläuterungen anfügen kann:

37 Hier habe ich aus stilistischen Gründen »Gott« ausgelassen.


SWEDENBORG: »Das ›Licht‹ heißt gut, weil es vom Herrn kommt, der das Gute selbst ist. ›Finsternis‹ ist all das, was dem Menschen, ehe er von neuem empfangen und geboren wird, wie Licht erschien, weil ihm sein Böses wie Gutes, und sein Falsches wie Wahres vorkam; dennoch ist es Finsternis und das beim Menschen verbleibende Eigene. Alles, was des Herrn ist, wird dem ›Tag‹ verglichen, weil es dem Licht angehört; aber alles Eigene des Menschen der ›Nacht‹, weil es der Finsternis angehört.« (HG 21).


LORBER: »Da aber der Geist Gottes allzeit sieht, daß es in eurer materiellen Welttiefe ganz entsetzlich finster ist, so spricht Er zu euch …: ›Es werde Licht!‹ Da fängt es in eurer Natur zu dämmern an, und Gott sieht es wohl, wie gut für eure Finsternis das Licht ist; aber nur ihr selbst könnt und wollt es nicht einsehen. Deshalb aber geschieht denn auch eine Teilung in euch, nämlich Tag und Nacht werden geschieden, und ihr erkennt dann aus dem Tage in euch die frühere Nacht eures Herzens.« (GEJ I,157,5f.).


Jeder Tag endet mit der Formel: UND ES WAR ABEND, UND ES WAR MORGEN, DER ERSTE, ZWEITE USW. TAG. Wenn die natürlichen Tage der Erde gemeint wären, dann wäre es richtiger zu sagen: Und es war Morgen, und es war Abend, der erste Tag. Die Tage des Schöpfungsberichtes entstehen jedoch umgekehrt aus Abend und Morgen (vgl. GEJ I,157,8ff.). Für den ersten Tag ist das leicht einsehbar, denn zuerst war ja die Finsternis, die auf der Tiefe lag, und danach erst ließ Gott das Licht werden. Die Reihenfolge entspricht also den Angaben des Schöpfungsberichtes.38 Daher lesen wir bei Lorber: »Bei dem Menschen ist sein erstes Natursein tiefer Abend, also Nacht. Da aber Gott ihm gibt ein Licht, so ist solch ein Licht dem Menschen ein rechtes Morgenrot, und es wird also aus des Menschen Abend und Morgenrot wahrlich sein erster Lebenstag.« (GEJ I,157,7). Auch beim vierten Tag kann man sich die dem natürlichen Ablauf widersprechende Reihenfolge noch leicht erklären, wenn man sie als Zusammenfassung dessen betrachtet, was am vierten Tag geschieht: Die Lichter an der Himmelsfeste sollen den Tag von der Nacht scheiden und der Erde Licht geben; also war es vorher offenbar finster. Bei den übrigen Tagen ist der vorangehende dunkle Zustand nicht so offensichtlich; jedoch ist die Formel »Und Gott sprach« als ein Wort- oder Lichtimpuls zu verstehen, der die jeweils vorhergehenden Zustände als eine relative Finsternis entlarvt.

38 Darauf weist Swedenborg hin: »Diese ganze Zeit der Schöpfung von der dichten Finsternis des Universums bis zum Anbruch des Lichtes heißt ›Tag‹, weswegen aus Abend und Morgen der erste Tag gemacht wurde.« (»Explicatio in Verbum Historicum Veteris Testamenti«, 3). Ebenso in Explicatio 6.


Im Lorberwerk gibt es, abgesehen von der ausführlichen Deutung in GEJ I,157ff., noch drei weitere, die sich allerdings auf den ersten Tag beschränken und sich außerdem nicht auf die Wiedergeburt des Menschen beziehen. Deswegen möchte ich diese Interpretationen im folgenden separat vorstellen. Daß es mehrere Gegenstandsbereiche der Auslegung gibt, ist schon gesagt worden, denn Genesis 1 handelt auch »von der Gründung (de instauratione) der ältesten Kirche« (OE 513) und ferner, wie jeder Text der Heiligen Schrift, im innersten Sinn vom Herrn allein. Deswegen darf man die Auslegung Swedenborgs in den »himmlischen Geheimnissen« nicht als die einzig mögliche ansehen; Swedenborg wollte in seinem exegetischen Hauptwerk, obwohl es sehr umfangreich ist, nur »vom Allgemeinsten eine allgemeine Vorstellung geben« (HG 771). Daher sind die folgenden Auslegungsschichten auch aus swedenborg'scher Sicht nicht ausgeschlossen, wenngleich sie natürlich im Rahmen der Offenbarung durch Lorber besser zu verstehen sind. Der innere Sinn ist eben vielschichtig.


Im dritten Band »des großen Evangeliums« deutet Mathael eine entwicklungspsychologische Interpretation an: »Unter ›Himmel und Erde‹ ist zu verstehen der neue Erdmensch gleich von Geburt an. Der ›Himmel‹ bezeichnet seine innersten, verborgenen, geistigen Fähigkeiten, und die leere und wüste ›Erde‹ bezeichnet den neu erstandenen Naturmenschen, der seines Seins kaum bewußt ist; - erstes Stadium des Menschen. Mit der Zeit gelangt das Kind zum Selbstbewußtsein und fängt an zu träumen und zu denken. Das ist das ›Es werde Licht!‹ im Menschen, daß er wisse, daß er ist; - zweites Stadium. Und so geht das durch alle anderen Schöpfungstage bis zum Ruhestadium der Vollendung des Menschen!« (GEJ III,235,2ff.).


Ebenfalls im dritten Band »des großen Evangeliums« bezieht Mathael die Aussagen des ersten Tages auf Gott selbst. Grundlegend dabei ist sein Verständnis von »Gott« und »Geist Gottes«. »Gott« ist, so Mathael im Anschluß an ein zu vor gebrauchtes Bild, »das lebendige Wasser« (GEJ III,28,1), denn schon im kalten und ruhigen Wasser ist der Lebensgeist vorhanden, aber frei wird er erst als Wasserdampf durch das Erhitzen. So auch ist Gott zwar »das lebendige Wasser; aber das Wasser in sich erkennt sein eigenes Leben nicht. Wenn es aber aus sich heraus durch die mächtige Liebeglut … zum Sieden gebracht wird, da erhebt sich der Lebensgeist in seiner Freiheit über das ihn eher gefangenhaltende Wasser, und du siehst hier den Geist Gottes schweben über den Wassern« (GEJ III,28,1). Der »Geist Gottes« verhält sich also zu »Gott« wie der Wasserdampf zum Wasser: Sie sind desselben Wesens; nur ist der »Geist« die freie und wirkende Erscheinungsform Gottes. Zu dieser Deutung kann Mathael kommen, weil das hebräische Wort für »Geist« (»Ruach«) eigentlich die bewegte Luft oder den Wind meint; wieso also nicht auch den Dampf!? Das Wasser ist die noch in sich ruhende, unausgesprochene Gottheit (das Meer der unbewegten Gottheit); der »Geist« hingegen ist der freiwirkende, sich durch und durch erkennende Lebensgeist, der vorher im Wasser verborgen war. Diese Unterscheidung von »Gott« und »Geist Gottes« faßt Mathael abschließend dahingehend zusammen, daß »die höchste Lebenspotenz in Gott ein doppeltes Sein« hat, »erstens ein stummes bloß nur seines Seins bewußtes«, dem kalten, ruhigen Wasser vergleichbar, und zweitens »ein als von einem innern Tätigkeitsbeginn entflammtes, frei sich durch und durch erkennendes und kleinst durchschauendes Dasein« (GEJ III,28,4), das dem Wasserdampf vergleichbar ist. Was hier »Sein« und »Dasein« heißt, nennt Swedenborg in »der wahren christlichen Religion« »Esse« (Sein) und »Essentia« (Wesen).


Nach dieser Unterscheidung trägt Mathael dem erstaunten Cyrenius die folgende Interpretation der ersten Worte des Schöpfungsberichtes vor: Mit den Worten »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde, und die Erde war wüst und leer und finster in ihrer Tiefe« (GEJ III,28,5) »ist nur dunkel angedeutet, wie die ewige Lebenskraft Gottes in ihrem Sein unterscheidlich hat zu erforschen und zu erkennen angefangen! Und da stellt der ›Himmel‹ die sich selbst erkennende Weisheit seines Ichs dar; in dem liebeglühenden Schwerpunkt seines Zentrums aber, im liebeheißen Zentrum, das unter dem Ausdrucke ›Erde‹ gemeint ist, war es noch finster und wüste und leer, also ohne eine tiefere Erkenntnis des eigenen Selbst. Aber das Zentrum ward heißer und heißer, je mehr des äußern Selbstbewußtseins Massen auf dasselbe zu drücken begannen. Das Zentrum geriet in die höchste Glut, und aus dem siedenden Lebenswasser entstieg der Dampf (Geist), schwebte nun frei auf und über den Wassern des stummen und ruhigen ewigen Vorseins und erkannte sich durch und durch; und dieses Erkennen eben ist dann das Licht, das Moses Gott zur Vertilgung der Finsternis gleich nach der Erschaffung des Himmels und der Erde werden läßt. Von da an erst wird Gott als ein nie ausgesprochenes Wort Selbst zum ›Worte‹, und dieses Wort ›Es werde!‹ ist ein in sich selbst durch und durch erkennender freier Wille, ein Sein im Sein, ein Wort im Worte, ein Alles nun in Allem! Von da an erst beginnt aus dem freisten Willen die sich nun durch und durch erkannte Urlebensquelle alles andern Lebens hervorzugehen.« (GEJ III,28,6-9). Diese Interpretation hat in der »Haushaltung« eine Parallele, die ich zunächst kommentarlos anfügen möchte, bevor ich beide Texte vergleichen werde: »Die Gottheit war von Ewigkeit her die alle Unendlichkeit der Unendlichkeit durchdringende Kraft und war und ist und wird sein ewig die Unendlichkeit Selbst. In der Mitte Ihrer Tiefe war Ich von Ewigkeit die Liebe und das Leben Selbst in Ihr; aber siehe, Ich war blind wie ein Embryo im Mutterleibe! Die Gottheit aber gefiel Sich in der Liebe und drängte Sich ganz zu Ihrer Liebe. Und der Liebe ward es immer heißer und heißer in Ihrer Mitte, und es drängten sich Massen und Massen der Gottheit dahin, und alle Mächte und Kräfte stürmten auf Dieselbe los. Und siehe, da entstand ein großes Rauschen, Brausen und Toben, und siehe, die Liebe ward geängstigt und gedrückt von allen Seiten, so daß die Liebe bis ins Innerste erbebte! Und die Liebe gewahrte es, und das Rauschen ward zum Tone, der Ton aber ward in der Liebe zum Worte, und das Wort sprach: »Es werde Licht!« Und da loderte im Herzen die Flamme der entzündeten Liebe auf, und es ward Licht in allen Räumen der Unendlichkeit!« (HGt I,5,2f.). Soweit diese beiden Texte, die uns Einblicke in innergöttliche Prozesse der Selbstfindung erlauben.


Das erste Wort des Schöpfungsberichtes, »im Anfang«, lenkt unseren Blick in den wahren Anfang, der Gott selbst ist. Der »Himmel« ist »die sich selbst erkennende Weisheit« (GEJ III,28,6) oder die »Gottheit« als »die alle Unendlichkeit der Unendlichkeit durchdringende Kraft« (HGt I,5,2). Daß Weisheit und Kraft zusammengehören und beinahe dasselbe meinen, kann man bei Swedenborg lernen, denn darauf weist er immer wieder hin: »Dem göttlichen Wahren ist alle Macht eigen.« (NJ 25). »Im Himmel ist alle Macht dem göttlichen Wahren eigen« (HH 137). »Das göttliche Wahre hat alle Macht so sehr in sich, daß es die Macht selbst ist.« (HG 8200). Daher also kann der »Himmel« »die sich selbst erkennende Weisheit« und zugleich die mit diesem »Selbstbewußtsein« (GEJ III,28,7) untrennbar verbundene »Kraft« der Gottheit bezeichnen (siehe auch GEJ III,28,3). Die »Erde« ist, wie Mathael sagt, das liebeglühende oder liebeheiße Zentrum (GEJ III,28,6). Parallel dazu heißt es in der »Haushaltung«: »In der Mitte Ihrer [= der Gottheit] Tiefe [»Tehom«] war Ich von Ewigkeit die Liebe« (HGt I,5,2). Daß die »Mitte« hier gleichbedeutend mit dem »Zentrum« ist, von dem Mathael spricht, ist offensichtlich; gleichzeitig wird aber auch der Bezug zur Schöpfungsgeschichte hergestellt, denn die »Tiefe« ist die mosaische »Tehom«. Von der »Erde« heißt es, daß sie »wüst und leer und finster in ihrer Tiefe« war (GEJ III,28,5); das bedeutet nach Mathael, daß die Liebe als das Zentrum der Gottheit, »ohne eine tiefere Erkenntnis des eigenen Selbst« war (GEJ III,28,6). Parallel dazu sagt die Liebe in der »Haushaltung« von sich: »Ich war blind wie ein Embryo im Mutterleibe« (HGt I,5,2). »Himmel und Erde« bezeichnen also die Dualität in Gott, die, was im folgenden gezeigt werden soll, zur Geburt des Geistes drängt.


Im Schöpfungsbericht ist nach »Himmel« (Gottheit) und »Erde« (Liebe) und der Beschreibung der »Erde« als »wüst und leer und finster in ihrer Tiefe« (GEJ III,28,5) vom Gottesgeist die Rede. Sowohl aus Mathaels Deutung als auch aus dem Bericht der »Haushaltung« ist ersichtlich, daß der Geist aus einem Vorgang zwischen der Gottheit und ihrer Liebe entstand. Mathael sagt: »… das Zentrum ward heißer und heißer, je mehr des äußern Selbstbewußtseins Massen auf dasselbe zu drücken begannen. Das Zentrum geriet in die höchste Glut, und aus dem siedenden Lebenswasser entstieg der Dampf (Geist)« (GEJ III,28,7). Aufgrund des Druckes also, den das äußere Selbstbewußtsein (Gottheit) auf das Zentrum ausübte, erglühte es in der Liebe und befreite den Geist zur Wirksamkeit. Ähnlich wird der Vorgang in der »Haushaltung « beschrieben: »Die Gottheit aber gefiel Sich in der Liebe und drängte Sich ganz zu Ihrer Liebe. Und der Liebe ward es immer heißer und heißer in Ihrer Mitte, und es drängten sich Massen und Massen der Gottheit dahin, und alle Mächte und Kräfte stürmten auf Dieselbe los. Und siehe, da entstand ein großes Rauschen, Brausen und Toben [›Ruach‹], und siehe, die Liebe ward geängstigt und gedrückt von allen Seiten, so daß die Liebe bis ins Innerste erbebte!« (HGt I,5,2f.). In beiden Texten ist vom Drücken bzw. Drängen die Rede; in beiden vom »heißer und heißer« Werden des Zentrums bzw. der Liebe und in beiden auch von den »Massen« des äußeren Selbstbewußtseins der Gottheit. Außerdem ist der Bezug zum biblischen Schöpfungsbericht erkennbar, denn das »Rauschen, Brausen und Toben« ist die »Ruach«, die somit auch nach den Bericht der »Haushaltung« aus dem Drängen der Gottheit zur Liebe entsteht.

 

Die ewige Geburt des göttlichen Geistes - ewig deswegen, weil sie nicht in der Zeit geschieht - bringt das Licht hervor, weswegen die ersten Worte Gottes »Es werde Licht!« sind. In dem kleinen, aber inhaltsreichen Lorberwerk »die Fliege« wird das Wesen des Lichtes erklärt (Kapitel 9). Obwohl dort nur vom Licht, »wie es in der Zeit und im Raume zur Erscheinung kommt«, die Rede ist, sind doch gewisse Gemeinsamkeiten mit den Urvorgängen in Gott unverkennbar. Denn erstens ist auch das natürliche Licht die Folge eines Druckes: »Erleidet aber diese [materielle Hülle] von außen her was immer für einen Druck, so wird der Geist alsbald aus seiner angewohnten Beengungssphäre geweckt und gibt sein Dasein durch seine ausdehnende Bewegung zu erkennen, welches Erkennen sich dann allzeit durch das euch bekannte Phänomen des Leuchtens kundgibt.« Wir erinnern uns an die entsprechenden Aussagen Mathaels und in der »Haushaltung«: »… das Zentrum ward heißer und heißer, je mehr des äußern Selbstbewußtseins Massen auf dasselbe zu drücken begannen.« (GEJ III,28,7). »… und siehe, die Liebe ward geängstigt39 und gedrückt von allen Seiten, so daß die Liebe bis ins Innerste erbebte!« (HGt I,5,3). Zweitens entstammt auch das natürliche Licht »dem Beben« entweder der Liebe oder des Zornes, weswegen der Druck, den die Kraftfülle der Gottheit auf die Liebe ausübte, bewirkte, »daß die Liebe bis ins Innerste erbebte« (HGt I,5,3).

39 Angst und Enge hängen sprachlich zusammen; daher ist im Text aus der Fliege von der »Beengungssphäre« die Rede.


Das Licht des ersten Tages charakterisiert Mathael mit den Worten: Der Geist »erkannte sich durch und durch« (GEJ III,28,7). Das erste Licht ist also ein Licht der Selbsterkenntnis. Das ist auch den folgenden Worten Mathaels zu entnehmen: »Und der Geist erkennt sich und das Wasser und erkennt, daß er mit dem Wasser von Ewigkeit her ein und derselbe ist« (GEJ III,28,1). Demnach ist das erste Licht dreifach: Erstens ist es das Licht der Selbsterkenntnis, denn der Geist »erkennt sich«; zweitens ist es das Licht der Erkenntnis des urgöttlichen Grundes, denn der Geist, der ja nach Mathael dem Wasserdampf vergleichbar ist, erkennt »das Wasser«; und drittens ist es das Licht der Erkenntnis der Einheit, denn der Geist erkennt, »daß er mit dem Wasser von Ewigkeit her ein und derselbe ist«. So also ist es zu verstehen, daß der Geist sich »durch und durch« erkennt. Diese allund wechselseitige Erkenntnis enthüllt uns der Herr auch in der »Haushaltung«, wenn er sagt: »Und siehe, da entstand ein großes Rauschen, Brausen und Toben [Geist], und siehe, die Liebe ward geängstigt und gedrückt von allen Seiten, so daß die Liebe bis ins Innerste erbebte! Und die Liebe gewahrte es, und das Rauschen ward zum Tone, der Ton aber ward in der Liebe zum Worte, und das Wort sprach: ›Es werde Licht!‹ Und da loderte im Herzen die Flamme der entzündeten Liebe auf, und es ward Licht in allen Räumen der Unendlichkeit! Und Gott sah in Sich die große Herrlichkeit Seiner Liebe, und die Liebe ward gestärkt mit der Kraft der Gottheit, und so verband Sich die Gottheit mit der Liebe ewiglich, und das Licht ging aus der Wärme hervor. Und siehe, da sah die Liebe alle Herrlichkeiten, deren Zahl kein Ende ist, in der Gottheit, und die Gottheit sah, wie dieses alles aus der Liebe in Sie überging, und die Liebe sah in der Gottheit Ihre Gedanken und fand großes Wohlgefallen an denselben.« (HGt I,5,3ff.). Das Licht »in allen Räumen der Unendlichkeit« bedeutet die Erkenntnis in der Gottheit, denn die Gottheit ist ja »die Unendlichkeit« (HGt I,5,2); folglich ist auch hier von der Selbsterkenntnis Gottes die Rede. Sie wird anschließend als wechselseitige Erkenntnis präzisiert, denn es heißt: »Und Gott sah in Sich die große Herrlichkeit Seiner Liebe« (HGt I,5,4), und die Liebe sah »alle Herrlichkeiten … in der Gottheit, und die Gottheit sah, wie dieses alles aus der Liebe in Sie überging, und die Liebe sah in der Gottheit Ihre Gedanken« (HGt I,5,5). Hier ist viel vom Sehen die Rede, und daß es sich zwischen der Gottheit und der Liebe ereignet und daher wechselseitig und alldurchdringend ist. Die »Herrlichkeit « (hebr. »Kabod«), ein Begriff, der im Alten Testament zentral ist, ist der Glanz der Liebe, der sich in der Gottheit als die Fülle der Gedanken spiegelt, weswegen sie »die Gedanken der Herrlichkeit« (HGt I,5,6) heißen.


Zusammenfassend ist zu sagen: Die Deutung Mathaels, die Parallelen in der »Haushaltung« hat, sieht im Schöpfungsbericht bisher unbekannte Vorgänge der Selbstfindung Gottes, wobei sich das Gottheitszentrum (Erde) der Liebe als der schöpferische Geist in Gott erkennt. Swedenborg wird später in der Liebe die Ursache der Schöpfung sehen (WCR 46).


Schließlich wird der erste Tag auch im zweiten Band »des großen Evangeliums« ausgelegt; dort im Hinblick auf die Bildung intelligenter, freier Geistwesen, wie sie zuerst in der Urschöpfung geschah. Wählt man diesen Interpretationshorizont, dann ist unter »Himmel« zu verstehen, »daß Gott die Intelligenzfähigkeit … außer Sich hinausgestellt hat.« (GEJ II,219,6), das heißt »ein Heer der Geister« (HGt I,5,7), denn keine Fähigkeit kann ohne eine Form als Träger (Subjekt) der Fähigkeit bestehen. »Hinausstellen« bedeutet, daß die Geister, die eigentlich Gedanken waren, nun »außer der Liebe [= Zentrum (GEJ II,219,6f.)] in der Gottheit fixierte Formen« wurden (HGt I,5,8). Die Geistwesen besaßen die Fähigkeit, Intelligenz zu entwickeln, - deswegen »Intelligenzfähigkeit«. Allerdings deutet die bloße Fähigkeit auch einen Mangel an, denn sie allein »ist gleich einem Spiegel, der in der finstersten Nacht wohl auch die Fähigkeit besitzt, äußere Gegenstände … aufzunehmen und wiederzugeben. Aber in der vollsten Nacht, und daselbst in der ebenso vollen Objektlosigkeit, ist der Spiegel eine Sache für nichts und wieder nichts!« (GEJ II,219,6). Dieser Mangel der bloßen Intelligenzfähigkeit bedurfte einer Ergänzung; und das ist die »Erde«, denn »unter der ›Erde‹ verstand Moses bloß die Assimilations- und Attraktionsfähigkeit [Angleichungs- und Anziehungsfähigkeit] der untereinander verwandten, hinausgestellten Intelligenzen« (GEJ II,219,8). Es liegt im Wesen der Gedanken, daß sie sich je nach den Graden der Verwandtschaft anziehen und Vorstellungskomplexe bilden; so geschah es auch bei den Urintelligenzformen: sie bildeten geistige Vereine. Für diesen »damals noch tief geistigen Akt« (GEJ II,219,9) stellte Moses »das Bild der materiellen Erde« auf, »die an und für sich nichts als eben ein Konglomerat von lauter attraktionsfähigen und unter, wie in sich verwandten Substantialpartikeln ist« (GEJ II,219,9). Der »Himmel« ist also die Fähigkeit, Intelligenz zu entwickeln oder Ideen zu produzieren; und die »Erde« ist die ergänzende Fähigkeit, Gedankenkomplexe oder -ballungen zu erzeugen.


Nun heißt es aber: »Die Erde war wüst und leer«. Um das zu verstehen, muß man wissen, daß jeder Gedanke oder Begriff, obwohl er dem äußeren Menschen als das Licht des Bewußtseins erscheint, für sich genommen »noch gleich einem leeren Gefäße« ist (GEJ II,220,3). Das hat auch Swedenborg erkannt, denn »alles, was im menschlichen Gedächtnis ist, ist nichts weniger als wahr, obgleich es so heißt, aber in diesen Gedächtnisinhalten als in den Gefäßen ist das Wahre.« (HG 1469). Daher bezeichnet Swedenborg die Dinge des Wissens (scientifica) und die Begriffe (cognitiones) als bloße Gefäße (HG 1435, 1460), die freilich der Erleuchtung durch das innere Licht fähig sind, aber »mit der Fähigkeit allein, etwas in sich aufnehmen zu können, wie auch mit dem schon gefühlten Bedürfnisse dazu, ist noch kein Gefäß vollgemacht worden. Solange aber im Gefäße nichts ist, solange auch ist das Gefäß wüst und leer.« (GEJ II,220,1). So also ist es zu verstehen, daß die großen Gedankenansammlungen noch wüst und leer waren. Die »Finsternis« bedeutet, »daß die Intelligenzfähigkeit und die attraktionsfähige Verwandtschaft der Intelligenzen noch kein wie immer geartetes Erkennen, Verständnis und Selbstbewußtsein - was alles identisch ist mit dem einen Begriffe ›Licht‹ - sondern das Gegenteil so lange bedingen muß, bis sie sich ergreifen, sich danach zu drücken, zu reiben und also gewisserart miteinander zu kämpfen anfangen.« (GEJ II,219,10). Licht ist die Folgeerscheinung der Tätigkeit, weswegen sich hier Verben der Bewegung, nämlich »ergreifen«, »drücken«, »reiben« und »kämpfen«, häufen.

 

Doch noch sind die Gedankenformen tat- und regungslos und werden daher mit dem trägen Wasser verglichen. Die »Erde« stellte die Gedanken dar, insofern sie ein Konglomerat waren; das Gewässer stellt wiederum die Gedanken dar, doch nun, insofern sie »zu einem einfachen [Element] zusammengemengt sind« (GEJ II,220,4). So wie das Wasser ein Urstoff ist - Thales von Milet (624 - 545 v. Chr.) sah im Wasser den Urgrund aller Dinge -, so auch sind es die Gedanken. Doch im Wasser ist noch keine Form erkennbar, obgleich es fähig ist, alle Formen hervorzubringen; ebenso ist es mit den Gedanken, solange sie nicht durch ein spezifisches Interesse und die dadurch angeregte Tätigkeit ergriffen, strukturiert und ausgebildet werden. Deswegen auch wurde die »Erde« ein »Konglomerat« genannt, denn das ist zwar eine Zusammenballung, die aber noch gänzlich ungegliedert ist; und da sie ungegliedert ist, ist sie eben auch gleichsam formlos oder nur lose zusammengemengt, so daß, wenn dieser Gesichtspunkt dargestellt werden soll, das Gewässer das beste Bild ist. Daher sagt der Herr bei Lorber: »Alle diese noch tat- und regungslosen Gedanken und Ideen der göttlichen Weisheit werden auch höchst treffend verglichen mit dem ›Wasser‹, in dem auch zahllose Spezifikalelemente wie zu einem einfachen zusammengemengt sind, aus dem aber endlich dennoch alle Körperwelt ihr höchst verschiedenartiges Dasein nimmt.« (GEJ II,220,4).


Über diesem Gewässer schwebte der Geist Gottes. Zunächst ein Wort zum hebräischen Verb »rachaf«, das meist mit »schweben« übersetzt wird. Im Syrischen ist jedoch auch die Bedeutung »brüten« belegt, weswegen die Tätigkeit des Gottesgeistes bei Swedenborg und Lorber mit einer Henne verglichen wird: »Unter ›Geist Gottes‹ ist die Barmherzigkeit des Herrn zu verstehen, von der es heißt: sie bewege sich (motitare)« über die Überreste »wie eine Henne über die Eier« (HG 19). »Wenn irgendein Mensch … Gedanken zu Ideen verband und sie bewerkstelligt haben möchte, so muß er … zu seinen Gedanken und Ideen eine recht übermäßig große Liebe fassen. Von solcher Liebe werden dann seine Gedanken und Ideen also gehegt, wie da hegt eine Henne ihre Küchlein.« (GEJ II,220,6). Die Henne symbolisiert also die brütende und hegende Kraft der Liebe, welche die noch unentwickelten Gedankenformen ausbrütet und lebensfähig macht. Denn zunächst gilt noch, was in der »Haushaltung« von ihnen gesagt wird: »… alle diese Wesen [= Gedankenformen] waren noch nicht lebendig und empfanden noch nicht und sahen noch nicht« (HGt I,5,8). Der innere Tätigkeitsbeginn oder die Lebensenergie, die alle Formen durchdringt, ist die Liebe. Auch wir spüren, daß unsere geistigen Prozesse vom Leben durchpulst und strukturiert werden, wenn von innen her Interesse, Neigung und Motivation hinzukommen, alles Erscheinungsformen der Lebensliebe. Die Liebe ist der Gottesgeist im Herzen, brütend über den Gewässern der noch toten Gedanken: »Und sehet, solch eine Liebe ist eben der Geist Gottes in Gott Selbst, der da, nach Moses, auf dem Wasser schwebte, das an und für sich nichts anderes besagt, als die noch form- und wesenlose unendliche Masse40 der Gedanken und Ideen Gottes! Durch diesen Geist belebt, fingen die Gedanken Gottes an, sich zu großen Ideen zu verbinden, und es drängte ein Gedanke den andern und eine Idee die andere. Und seht, da geschieht dann in der göttlichen Ordnung ja wie von selbst das ›Es werde Licht!‹ und ›Es ward Licht!‹« (GEJ II,220,6f.).

40 Wiederum ist, wie auch in GEJ III,28,7 und HGt I,5,2, von Masse die Rede.

 

Die Formel, »Und Gott sah, daß das Licht gut war«, ist »ein Zeugnis der ewigen und endlosen Weisheit Gottes, laut der dies Licht ein wahrhaft freies, sich von selbst aus der Tätigkeit der Gedanken und Ideen Gottes nach der Ordnung der Weisheit entwickeltes Geistlebenslicht ist, durch das die auf diese Weise von Gott hinausgestellten Gedanken und Ideen Gottes sich als selbständige Wesen nach eigener Intelligenz weiterhin, natürlich unter dem unvermeidbar beständigen Einflusse Gottes, wie von sich selbst heraus ausbilden können.« (GEJ II,220,8). Die anschließende Scheidung des Lichtes von der Finsternis bedeutet, daß sich das freie Geistesleben über das gerichtete, nur von außen bewegte Leben erhebt: »Diese Sache wird … leichter verständlich, so ihr statt der beiden von Moses aufgestellten allgemeinsten Begriffe die entsprechenden mehr sonderheitlichen nehmet, als für den Tag das schon selbständige Leben und für die Nacht den Tod, oder für den Tag die Freiheit und für die Nacht das Gericht, oder für den Tag die Selbständigkeit und für die Nacht die Gebundenheit, oder für den Tag das sich selbst schon erkennende Liebeleben des göttlichen Geistes in der neuen Kreatur und für die Nacht die noch unbelebten Gedanken und Ideen aus Gott.« (GEJ II,221,1). Und schließlich der Wechsel von Abend und Morgen: »Der Abend ist hier derjenige Zustand, in dem sich die Vorbedingungen zur endlichen Aufnahme des Liebelebens aus Gott durch den Einfluß des allmächtigen Gotteswillens zu konstatieren und zu ergreifen anfangen, gleich den einzelnen Gedanken und Begriffen zu einer Idee.« (GEJ II,221,3). Da dies noch ein gerichteter (= zwangsläufiger) Prozeß ist, wird die Allmacht des Gotteswillens eigens erwähnt. Der Morgen bezeichnet dann den »Übergang des vorhergehenden gerichteten, unfreien Zustandes der Kreatur in den freien, selbständigen« (GEJ II,221,3).


Nachdem ich, weil ich das vorhandene Material nicht unterschlagen wollte, die drei besonderen Perspektiven der Interpretation vorgestellt habe, will ich nun wieder zum Hauptstrang zurückkehren, der bei Swedenborg und bei Lorber im ersten Band »des großen Evangeliums« zu finden ist; er sieht im Schöpfungsbericht die Wiedergeburt thematisiert. Der »Himmel« ist der innere Mensch; die »Erde« der äußere, der als solcher wüst und leer und finster in seiner Welttiefe ist. Der »Geist Gottes« bezeichnet die erbarmende Liebe, die mittels der im Unbewußten verborgenen Überreste des Guten und Wahren die schlechten Erkenntnisse des äußeren Menschen belebend durchdringen will, um auf diese Weise das erste Licht eines höheren Bewußtseins zu erzeugen, das den Menschen befähig seine bisherige Lebensfinsternis als solche zu erkennen.


3.3.3.2. Der zweite Tag


(6)41 UND GOTT SPRACH: »ES SEI EINE FESTE42 INMITTEN DER WASSER, DIE SEI DEN WASSERN EINE SCHEIDE ZWISCHEN DEN WASSERN.« [UND SO GESCHAH ES:]43 (7) 44GOTT MACHTE DIE FESTE UND SCHIED DIE WASSER, DIE UNTERHALB DER FESTE WAREN, VON DEN WASSERN, DIE OBERHALB DER FESTE WAREN. (8) UND GOTT NANNTE DIE FESTE »HIMMEL«. UND ES WAR ABEND, UND ES WAR MORGEN, DER ZWEITE TAG.

41 Lorber: »Da machte Gott eine Feste zwischen den beiden Wassern … und teilte also die beiden Wasser.« (GEJ I,158,2).
42  Swedenborg hat »expansum« (Ausbreitung). Das Substantiv bezeichnet das »Firmament« (= die Feste) und die »Ausbreitung«.

43 Swedenborg hat »et factum ita« (= und so geschah es). Ich beziehe diese Formel als Einleitungsformel auf das jeweils Folgende, also den Ausführungsbericht. Zur Positionierung der Formel am Ende von Vers 6, ist zu sagen, daß ich hier der Septuaginta folge (vgl. auch die Verse 9, 11, 15, 20, 24 und 30).

44 Nach der Einleitungsformel des Ausführungsberichtes lasse ich das »und« weg.

 

Das Wort »Raqia« wird von Swedenborg mit »expansum « (Ausbreitung) und bei Lorber mit »Feste« (GEJ I,158,2) wiedergegeben. Swedenborg kommt zu seiner Übersetzung, weil »Raqia« von einem Verb »raqa« abgeleitet ist, das u. a. »ausbreiten« bedeutet. Außerdem gibt es in der Heiligen Schrift die Redewendung »die Erde ausbreiten und den Himmel ausdehnen«, womit die Wiedergeburt des Menschen gemeint ist. Swedenborg nennt die beiden Stellen bei Jesaja (HG 25, 9596): »So spricht der Gott Jehovah, der die Himmel erschuf und sie ausspannte, der die Erde ausbreitete und ihre Sprößlinge, der dem Volk auf ihr Odem gab, und Geist denen, die auf ihr wandeln.« (Jes 42,5). »Ich, Jehovah, mache alles, spanne die Himmel aus allein, breite die Erde aus von mir selbst.« (Jes 44,24). Interessanterweise wird hier, wie auch in Ps 136,6, »raqa« auf die Erde bezogen; die Erde (= der äußere Mensch) wird ausgebreitet, aber der Himmel (= der innere Mensch) ist die Ausbreitung. »Feste«, die Übersetzung bei Lorber, ist ebenso berechtigt, denn »Raqia« ist das Firmament (von firmare = fest machen, bekräftigen) oder die feste Himmelswölbung.


Die »Ausbreitung« ist »der innere Mensch« (HG 24) bzw. das sich von daher ausbreitende »neue Wollen und Denken« (HG 9596). Die »Feste« hingegen ist der Glaube, der dieses neue Wollen und Denken wie ein fester und unerschütterlicher Grund trägt;  bei Lorber lesen wir: »Die Feste aber ist der eigentliche Himmel im Menschenherzen und spricht sich aus im wahren lebendigen Glauben« (GEJ I,158,3). Daß sich diese beiden Interpretationen ergänzen, ist offensichtlich, denn der Glaube wohnt im inneren Menschen; der äußere Mensch kennt nur das Glaubenswissen, aber nicht die innere Gewißheit und das Vertrauen.


»Die Wasser unterhalb der Ausbreitung« bezeichnen »die Kenntnisse (scientifica) des äußeren Menschen« (HG 24), zu denen auch sein Glaubenswissen gehört, das Swedenborg in HG 10238 »das Glaubenswahre des äußeren Menschen« nennt. »Die Wasser oberhalb der Ausbreitung« bezeichnen »die Erkenntnisse (cognitiones) beim inneren Menschen« (HG 24) bzw. das dortige »Glaubenswahre« (HG 10238). Auch bei Lorber symbolisieren die Wasser »die beiderlei Erkenntnisse« (GEJ I,158,2), nämlich die rein irdische »Verstandesbildung« (GEJ I,157,13) einerseits, zu der auch das bloß angelernte Glaubenswissen gehört, und »das Gotteslicht im Menschenherzen« (GEJ I,158,1) andererseits.


Die Interpretation des zweiten Tages bei Lorber, die mit den Ausführungen Swedenborg in HG 24-26 zu vergleichen ist, lautet im Zusammenhang:


LORBER: »Es könnte aber sehr leicht geschehen, daß das Gotteslicht im Menschenherzen sich ergösse ins Abendlicht und alsdann verzehrt oder zum wenigsten also vermengt würde, daß man am Ende nicht mehr wüßte, was da Naturlicht und was da Gotteslicht sei im Menschen. Da machte Gott eine Feste zwischen den beiden Wassern, die da besagen die beiderlei Erkenntnisse … und teilte also die beiden Wasser. Die Feste aber ist der eigentliche Himmel im Menschenherzen und spricht sich aus im wahren lebendigen Glauben, aber ewig nie in einer leeren und nichtigen Verstandesgrübelei.« (GEJ I,158,1-3).

 

Noch ein Wort zum Zusammenhang von »Himmel« und »Wasser», denn beide Begriffe spielen am zweiten Tag eine zentrale Rolle und sind, wie es die folgende Analyse zeigen soll, inhaltlich eng aufeinander bezogen. Das hebräische Wort für »Himmel« lautet »Schamajim«, während sich das hebräische Wort für »Wasser« davon nur durch das fehlende Schin unterscheidet, also »Majim« lautet. Mem ist der Laut der Formbildung. »Ursprachlich stellt daher das M den typischen Mutterlaut dar und wird auch fast in allen Sprachen in diesem Sinn gebraucht.«45 Die Form ist das Wahre, denn »das Wahre ist die Form des Guten« (HG 3039). Deswegen heißen die platonischen Ideen bei Aristoteles Formen. Es zeigt sich also wiederum, daß »Himmel« und »Wasser« ganz allgemein die Sphäre des Formhaften meinen, weswegen der »Himmel« als »das Geistige« im Menschen (GEJ I,157,4) und das »Gewässer« als die »Erkenntnisse« gedeutet wurden. Tritt nun zum Wasser (Majim) das Schin hinzu, dann entsteht der Himmel (Schamajim). Schin ist der Laut für das Geistfeuer im Menschen46. Das heißt nun: Wenn uns bewußt wird, daß die Welt der Formen aus dem Geistfeuer der Liebe gezeugt wird, dann verklärt sich das Wasser zum Himmel. Der erste Schritt dahin besteht darin, daß sich der Himmel im Menschenherzen zunächst im wahren lebendigen Glauben ausspricht (vgl. GEJ I,158,3). Dieser aus dem inneren Menschen erwachende Glaube befähigt uns, das äußere Bewußtsein als ein äußeres zu erkennen und vom inneren Bewußtsein zu unterschieden. Das ist das Thema des zweiten Tages.

45 M. Kahir, »Das verlorene Wort«, Seite 233.
46 M. Kahir, »Das verlorene Wort«, Seite 256.


3.3.3.3. Der dritte Tag


(9)47 UND GOTT SPRACH: »DIE WASSER UNTERHALB DES HIMMELS SOLLEN SICH AN EINEM (EINZIGEN) ORT SAMMELN, SO DAß DAS TROCKENE48 SICHTBAR WERDE.« UND SO GESCHAH ES: [DIE WASSER UNTERHALB DES HIMMELS SAMMELTEN SICH AN IHREN SAMMELPLÄTZEN, SO DAß DAS TROCKENE SICHTBAR WURDE.] (10) UND GOTT NANNTE DAS TROCKENE »ERDE«, WÄHREND ER DEN SAMMELPLATZ DER WASSER »MEERE« NANNTE. UND GOTT SAH, DAß ES GUT WAR.

47 Lorber: »Und sehet, das ist es, was im Moses geschrieben steht, daß Gott befohlen hat den Wassern, daß sie sich sammeln sollen in gewisse, abgesonderte Örter und man dadurch das trockene und feste Erdreich ersehe, aus dem allein die Samen zur lebendigen und belebenden Frucht erwachsen können! Und es heißt: ›Und Gott nannte das Trockene Erde und das nun an bestimmte Örter versammelte Wasser Meer.‹« (GEJ I,158,11f.).

48  Swedenborg hat »arida« (das Trockene). Das hebräische Wort meint auch das Festland. Trocken werden ist also im Sinne von fest werden zu verstehen.


Nachdem man sich am zweiten Tag den Glauben erworben hat, welcher der anfängliche Himmel eines höheren Bewußtseins ist, wendet sich das Geschehen nun der Erde zu. Dort sammelt sich das Wasser an einem bestimmten Ort, so daß das Festland sichtbar wird. Die Ansammlung des Wassers ist das im Gedächtnis angesammelte Wissen, das jetzt als ein solches erkennbar wird, denn vorher, als alles noch Wasser war, konnte die Wasserwelt in ihrer Besonderheit nicht erkannt werden, weil jede Wahrnehmung eine solche von Unterschieden ist (vgl. HH 541). Indem nun aber das Wissen als bloßes Wissen erkannt wird, zeigt sich dessen relativ geringer Wert, denn nun entdeckt man, daß das gesamte höhere Bewußtsein im Gedächtnis den Verlust einer Dimension erleidet, nämlich der Tiefe; im Gedächtnis ist alles nur noch Wissen: »Alles, was dem Gedächtnis des äußeren Menschen eingepflanzt wird - es sei natürlich oder geistig oder himmlisch - bleibt dort als (bloßes) Wissen.« (HG 27).


Wie alle Menschen, die ein Innewerden des Wahren hatten, erkannte auch Swedenborg, daß das Wissen die unterste Stufe des Wahrheitserfassens ist, und entwickelte einen Stufenweg der Erkenntnis, dessen Stufen Wissen, Vernunft, Einsicht und Weisheit sind (vgl HG 124). Das Wissen ist zwar das Fundament, auf dem jede höhere Erkenntnis aufbaut, aber wie jedes Fundament liegt es unten, im Natürlichen: »Die Wahrheiten des natürlichen Menschen sind die Wissensdinge.« (NJ 23). Aus dem gereiften Erfahrungswissen entwickelt sich die Vernunft (vgl. GLW 237); aber auch sie ist noch ein relativ äußerlicher Grad der Erkenntnis. Die erste innere Stufe ist die Einsicht oder das Verständnis (intelligentia), »denn Einsicht ist inwendig in sich sehen [daher Ein-sicht], ob etwas wahr oder nicht wahr ist; wer dagegen nur aus dem Weltlichen weise ist, der sieht das Wahre nicht inwendig in sich, sondern aus anderen Dingen, und das ist bloßes Wissen« (OE 198). Die höchste Stufe ist die Weisheit (sapientia). »Der Unterschied zwischen Einsicht und Weisheit besteht darin, daß die Einsicht dem Wahrheitsverständnis des geistigen Menschen angehört, die Weisheit hingegen dem Wahrheitsverständnis des himmlischen Menschen, der es aus dem Willen des Guten hat.« (OE 280). Einsicht ist also die spezifische Erkenntnis des geistigen, Weisheit hingegen die des himmlischen Menschen. Zum Unterschied zwischen Einsicht und Weisheit heißt es ferner: »Die himmlische Liebe ist mit der Weisheit und die geistige mit der Einsicht ehelich verbunden. Sache der Weisheit ist es nämlich, Gutes zu tun aus dem Guten heraus, Sache der Einsicht aber, Gutes zu tun aus dem Wahren heraus.« (GLW 427). »Das Denken von den Endzwecken her ist Sache der Weisheit, das Denken von den Ursachen her ist eine Angelegenheit der Einsicht, und das Denken von den Wirkungen her ist Sache des Wissens.« (GLW 202). Wissen (scientia), Einsicht (intelligentia) und Weisheit (sapientia) sind also der natürliche, der geistige und der himmlische Grad des Lichtes, wobei das Wissen als ein von außen angeeignetes eigentlich noch geistige Finsternis ist, die sich erst am vierten Tag verflüchtigt, wenn der Mond (Einsicht) und die Sonne (Weisheit) zu leuchten beginnen.


Doch schon am dritten Tag macht sich die Sehnsucht nach den wahren Lebenslichtern bemerkbar, denn »das Trockene« wird sichtbar, womit die Willenssphäre gemeint ist. Indem nun der Impuls aus dem göttlichen Geist den Willen erreicht, beeinflußt er das Leben, so daß sich in der Folge das Licht aus dem Leben entwickeln kann. Doch der Reihe nach: Die Erde ist »der äußere Mensch« (HG 27), insofern er das Gute und Wahre (die Saat des Lebens) aufnehmen kann und soll. Swedenborg schreibt: »Daß die Erde das Aufnehmende (receptaculum) bezeichnet, geht aus der folgenden Stelle bei Sacharja hervor: ›Jehovah dehnt die Himmel aus und gründet die Erde und bildet den Geist des Menschen in seiner Mitte‹ (Sach 12,1).« (HG 28). Das hier mit »Mitte« übersetzte hebräische Wort kann auch das Innere bezeichnen. Wenn also der Herr den Geist im Inneren des Menschen bildet, dann muß der Mensch selbst (die Erde) ein Gefäß sein. Das Gefäßhafte wird also durch die Erde, die dem Himmel gegenüber das Weibliche ist, versinnbildlicht. Das hebräische Wort für Erde (arez) besteht aus den Lautideen Aleph = das Göttliche, Resch = die Herrschaft und Sade = das Stoffliche; daher ist Arez das Stoffliche, in dem das Göttliche zur Herrschaft kommen soll.49

49 Viktor Mohr schreibt: »›Erde‹ (arez) bezeichnet die größte Verdichtung des Geistes im Stoff« (M. Kahir, Das verlorene Wort, Seite 52).

 

Nun nimmt aber der Mensch nur das wirklich auf, was er verwirklichen will. Deswegen wird die Erde »das Trockene« genannt, denn damit ist der zur Tat fest entschlossene Wille gemeint, was vielleicht deutlicher wird, wenn man das hebräische Wort mit »Festland« übersetzt. Swedenborg schreibt: »Die Erde heißt im Verhältnis zum Meer auch ›das Trockene‹; dann wird ›das Trockene‹ vom Guten und ›das Meer‹ vom Wahren ausgesagt.« (HG 8185). Das wahre »Festland« ist also der zum Guten fest entschlossene Wille, weswegen Swedenborg den dritten Zustand als »Buße« (= Wille zur Besserung) charakterisiert (HG 9). Der feste Glaube des zweiten Tages (die Himmelsfeste) wird nun also durch den festen Willen (das Festland) ergänzt.


Diese Interpretation ist auch den Lorberschriften zu entnehmen, denn dort lesen wir: »Der Mensch wird … gesondert sogar in seinem naturmäßigen Teile. Die Erkenntnise haben ihren Ort, das ist das Meer des Menschen, und die aus den Erkenntnissen hervorgegangene Liebe als ein Früchte zu tragen fähiges Erdreich50 wird stets von dem Meere als der Gesamtheit der Erkenntnisse rechten Lichtes umspült und zur stets reichlicheren Hervorbringung allerlei edelster Früchte neu gekräftigt.« (GEJ I,158,16). Das »Meer« ist also »die Gesamtheit der Erkenntnisse« (vgl. Swedenborgs Gedächtniswissen), und »das trockene und feste Erdereich« (GEJ I,158,11) ist die »Liebe« (vgl. das Gute bei Swedenborg in HG 8185).

50 Lorber: »Solche Wärme aber heißt die Liebe und ist geistig zugleich das Erdreich, in welchem die Samen ihre Keime und Wurzeln zu treiben beginnen. « (GEJ I,158,10).


Die Liebe befähigt den Menschen das Wissen als Wissen zu erkennen und von den Stufen der inneren Wahrnehmung zu unterscheiden. Dieser Gedanke taucht in den Lorberschriften ganz ähnlich wie bei Swedenborg auf: Am zweiten Tag gleicht der Mensch noch »einer puren Wasserwelt, die wohl von allen Seiten mit lichtdurchflossener Luft umgeben ist, wobei er aber am Ende doch nicht darüber ins klare kommen kann, ob seine Wasserwelt aus der sie umgebenden Lichtluft, oder ob diese aus der Wasserwelt hervorgegangen ist, - d.h.: er weiß es in sich noch nicht klar genug, ob sich seine geistige Erkenntnis aus seinem Naturverstande, oder ob dieser aus der geheim im Menschen schon etwa daseienden und also auch im Anfange ganz geheim wirkenden geistigen Erkenntnis sich entwickelt hat, oder, um noch handgreiflicher zu reden, er weiß es nicht, geht der Glaube aus dem Wissen oder das Wissen aus dem Glauben hervor, und welch ein Unterschied da ist zwischen beiden.« (GEJ I,158,7). Was hier »geistige Erkenntnis« und »Naturverstand« heißt, wird, wie wir gesehen haben, bei Swedenborg »intelligentia« (= die Einsicht des geistigen Menschen) und »scientia« bzw. »scientifica« (= das Wissen des natürlichen Menschen) genannt.


(11)51 Und Gott sprach: »Die Erde lasse zartes-Grün52 hervorsprießen53; Pflanzen54, die Samen bilden, [und] Fruchtbäume55, die Früchte bringen56 nach ihrer Art57 und ihren Samen bei sich haben auf der Erde.« Und so geschah es: (12) Die Erde brachte hervor zartes-Grün, Pflanzen, die Samen bilden, nach ihren Arten, und Bäume, die Früchte bringen, in denen ihr Same ist, nach ihren Arten. Und Gott sah, daß es gut war. (13) Und es war Abend, und es war Morgen, der dritte Tag.

51 Lorber: »›Es lasse die Erde nun aufgehen allerlei Gras und Kraut, das sich besame, und fruchtbare Bäume und Gesträuche aller Art, davon ein jegliches Frucht trage nach seiner Art und seinen eigenen Samen habe bei sich auf Erden!‹« (GEJ I,159,2).

52  Swedenborg hat »herba tenera« (zartes Gras) im Unterschied zu Sebastian Schmidt, der »gramen« (Gras) hat. Swedenborg betont also das Zarte (siehe HG 29). Swedenborg benutzte unter anderem die lateinische Übersetzung der Bibel von Sebastian Schmidt (1617-1696), erschienen 1696 unter dem Titel »Biblia Sacra, sive Testamentum Vetus et Novum«. Swedenborgs Exemplar mit seinen Randbemerkungen wird in den Codices 89 und 90 in der Bibliothek der »Royal Swedish Academy of Sciences« aufbewahrt. Swedenborgs Übersetzung ist wörtlicher als Schmidts. Der Ausleger des geistigen Sinnes wollte also fest auf dem Boden des buchstäblichen Sinnes stehen.

53 Swedenborg hat »progerminare facere« (hervorsprossen lassen).

54 >Pflanzen< ist nach Swedenborg nicht mit davorstehenden >zartes Grün< zu verbinden (HG 29).

55 bedeutet »Baum« und »Holz« (Lorber: »Bäume und Gesträuche«; GEJ I,159,2). Swedenborg entschied sich gegen Schmidt, der »lignum« (Holz) hatte, für »arbor« (Baum).

56 (machen). Der produktive Aspekt wird betont. Daher ist die Übersetzung »Früchte tragen« abzulehnen.

57 Nach Lorber bezieht sich diese Formel sowohl auf das Gehölz (»Bäume und Gesträuche aller Art«), als auch auf die Frucht (»Frucht trage nach seiner Art«).

Swedenborg schreibt: »Wenn die Erde bzw. der Mensch so vorbereitet ist, daß er vom Herrn den himmlischen Samen aufnehmen und etwas Gutes und Wahres hervorbringen kann, dann läßt der Herr zuerst etwas Zartes hervorsprießen, das sogenannte ›zarte Grün‹; dann etwas Nützlicheres, das sich wiederum aussät, und ›samenbildende Pflanze‹ genannt wird; und schließlich etwas Gutes, das sich befruchtet, und ›Baum, der eine Frucht bringt, in der sein Same ist‹ genannt wird« (HG 29). Die Gewächse des dritten Tages bezeichnen also das, was der äußere Mensch hervorbringt; und das sind, um gleich die Parallele bei Lorber zu nennen, »allerlei Werke« (GEJ I,159,6). Die drei Gewächsgattungen, das zarte Grün, die samenbildenden Pflanzen und die Fruchtbäume werden nur bei Swedenborg ausgelegt. Aus den Lorberschriften läßt sich lediglich entnehmen, daß das »zarte Grün« das »Gras« ist (GEJ I,159,2). Das hebräische Nomen »Däschä« meint das junge, frische Gras des Frühlings, denn das dazugehörige Verb bedeutet »sprossen« und im Akkadischen »schwellen« (Knospen treiben). Damit ist klar, was gemeint ist: die ersten, zaghaften Versuche, gut und wahr zu handeln. Zur zweiten Gattung finden wir bei Lorber keine weiterführenden Hinweise, hingegen begegnet uns dort die dritte Gattung als »fruchtbare Bäume und Gesträuche aller Art« (GEJ I,159,2). Das ist insofern interessant, weil »Ez« nicht nur die Bäume, sondern auch das Holz oder Gehölz meint, so daß die »Gesträuche« dazugehören. Das Holz bezeichnet »das Gute« (HG 9486), weil es entflammbar ist; im engeren Sinne, der hier wohl anwendbar ist, versinnbildlicht es »das natürliche Gute« (EL 77), während die höheren Grade des Guten durch das Erz und das Gold repräsentiert werden (HG 643).


Die Gewächse der Erde sind noch unbeseelt (vgl. HG 29), aber gleichwohl wird bereits die Fähigkeit zur Reproduktion betont und Verben der Tätigkeit sind vorherrschend. Die Reproduktionsfähigkeit ist aus jeder Übersetzung ersichtlich, denn die Pflanzen bilden Samen und die Bäume bringen samenhaltige Früchte hervor; aber die Verben der Tätigkeit sind mitunter nicht so offensichtlich (vgl. die Zürcher Bibel58), weswegen darauf hinzuweisen ist, daß die Erde Sprosse hervorsprossen läßt, die Pflanzen Samen bilden und die Fruchtbäume Früchte machen (im Hebräischen steht tatsächlich »machen«). Diesem Tätigkeitscharakter entsprechend dominieren in Swedenborgs lateinischer Übersetzung Formen, in denen facere (machen) vorkommt.59 Das heißt also: Die Werke sind zwar noch unbeseelt, aber gleichwohl ist in ihnen der Tatendrang spürbar, denn am dritten Tag verwendet der Mensch allen Eifer darauf, sein Leben zu bessern.

58 Zürcher Bibel: »Und Gott sprach: Die Erde lasse sprossen junges Grün: Kraut, das Samen trägt, und Fruchtbäume, die nach ihrer Art Früchte tragen …«. Hier herrscht »tragen« vor.

59 Swedenborgs Übersetzung: »Et dixit Deus, Progerminare faciat terra herbam teneram, herbam seminificantem semen, arborem fructus facientem fructum …«


Allerdings meint er anfangs, »das Gute, das er tut, sei aus ihm selbst, und ebenso das Wahre, das er spricht« (HG 29). Deswegen sind seine Werke noch unbeseelt oder unbelebt, denn der Herr, der das Leben selbst ist, wird durch diese Irrmeinung noch zurückgehalten. Dem entspricht auch die folgende Beobachtung: In der Regel hat der Tatbericht, der sich, wie wir gesehen haben, dem Wortbericht anschließt, Gott als Subjekt; wir lesen also: »Und Gott machte oder schuf«. Nur am dritten Tag ist Gott nicht das Subjekt des Handelns. Die Erde (der äußere Mensch) führt das aus, was Gott zuvor gesprochen hat: »Die Erde brachte hervor usw.«. Der äußere Mensch verdeckt also noch das göttliche Wirken. Wenn man ferner die Lesart der Septuaginta für die ursprünglichere hält, dann taucht auch beim ersten Werk des dritten Tages, der Sammlung der Wasser, Gott als Subjekt nicht auf, was das bisher Gesagte nur noch einmal unterstreicht: Das Eigene ist noch vorherrschend; der Mensch unterliegt noch dem Wahn, das Gute und Wahre aus eigener Kraft verwirklichen zu können.


Auch die Interpretation bei Lorber sieht im Pflanzenwuchs des dritten Tages den Menschen, der »Hand ans Werk« legt: »Wenn sonach die Erkenntnisse des Menschen [Meer] die Liebe [Erdreich] von allen Seiten umgeben und von der Liebesfeuerflamme, der sie stets mehr und mehr Nahrung geben, heller und heller erleuchtet und erwärmt werden, so wird der Mensch in allem auch in gleichem Maße tatkräftiger und tatfähiger.« (GEJ I,159,1). Der Tatendrang entsteht also als Folge der wechselseitigen Beeinflussung der Liebe durch die Erkenntnisse und der Erkenntnisse durch die Liebe. Daher kann der göttliche Geist nun das Schöpfungswort des vierten Werkes sprechen. »Nach solchem Gebote von Gott im Herzen bekommt dann der Mensch einen festen Willen, Kraft und Mut und legt nun Hand ans Werk. Und sehet! Seine rechten Erkenntnisse erheben sich als regenschwangere Wolken über das geordnete Meer, und ziehen über die trockene Erde, befeuchten und befruchten sie. Und die Erde fängt dann an zu grünen, bringt allerlei Gras und Kraut mit Samen und allerlei Fruchtbäume und Gesträuche mit Samen zum Vorscheine, d.h.: was nun der rechte, mit himmlischer Weisheit durchleuchtete Verstand als vollends gut und wahr erkennt, das will und begehrt dann sogleich auch die Liebe im Herzen des Menschen.« (GEJ I,159,3f.). Ganz im Sinne der Interpretation Swedenborgs geht auch hier der Impuls vom Verstand zum Willen; das entspricht der Ordnung des geistigen Menschen. Besondere Erwähnung verdient die Deutung des »Trockenen« (»die trockene Erde«; GEJ I,159,4); demnach ist damit auch gemeint, daß die Erde vom Wasser (Regen) der »rechten Erkenntnisse« noch nicht befeuchtet und befruchtet worden ist.

 

Fortsetzung siehe "Die Schöpfungsgeschichte" Teil 3