.

Was sind Träume?


1

Die folgende Schilderung berichtet von bestimmten Visionen, die bei guten wie auch bei schlechten Menschen entweder vom Himmel oder von der Hölle herrühren können. Daher ist es höchst notwendig, hierüber rechte Aufschlüsse und die richtigen Verhaltungsmaßregeln  zu bekommen, damit man wisse, wie man sich bei solchen Erscheinlichkeiten zu benehmen habe.

 

Visionen sind verschiedener Art. Die gewöhnlichste und jedermann wohlbekannte Art sind die nächtlichen Träume. Hier lässt sich fragen: Wer träumt eigentlich, und was sind die Bilder des Traumes?

 

Im gewöhnlichen Schlaf träumt nur die Seele. Dieses Träumen ist nichts anderes als ein wirres Schauen der Seele in ihre eigenen Verhältnisse, die aber keinen geordneten Verband haben, sondern wie Bilder eines Kaleidoskops sich mit jeder Bewegung verändern und als völlig gleiche nie wieder zum Vorschein kommen.

 

Dieses zusammenhanglose Schauen der Verhältnisse und Zustandsbilder in sich hat seinen Grund darin, dass die Seele sich ohne Verbindung mit der Außenwelt wie auch mit ihrem Geist befindet.

 

Diese Art Visionen haben für die Seele keinen anderen Nutzen als den, dass sie sich nach einem solchen Traum erinnern soll, wie es mit ihr in einem absoluten Zustand noch stehen würde.

 

Wenn man die Träume zusammenfasst, vielleicht sogar aufschreibt, kann die Seele an ihnen ein gutes Porträt ihrer selbst haben. Denn sie zeigt ihr ihre Hauptbegierden, ihr Streben, und wie überhaupt ihr gesamter Zustand beschaffen ist und sein wird, wenn sie sich von ihrem Körper gelöst haben wird.

 

Diese Art Träume werden weder von höllischen noch von himmlischen Geistern in der Seele hervorgerufen. Sie sind eigene Produkte der Seele, deren sie sich bald mehr, bald weniger, bald gar nicht erinnert. Das hängt bei einem noch ganz natürlichen Menschen hauptsächlich davon ab, wie sein Nervengeist beschaffen ist. Neigt er sich mehr zur Seele, wird sich der Mensch fast jeden Traumes genau erinnern. Neigt er sich aber mehr dem Körper zu, wird der Mensch wenig oder gar keine Rückerinnerung an seine Träume haben. Das ist gewöhnlich bei jenen Menschen der Fall, die sehr sinnlicher und grobmaterieller Natur sind.

 

Ganz anders verhält es sich mit gewissen hellen Träumen, in welchen es dem Träumenden so vorkommt, als wäre die Erscheinung Wirklichkeit, so dass er beim Erwachen kaum zu entscheiden vermag, ob es Traum war oder Wirklichkeit.

 

Derartige Visionen oder Träume gehören nicht der Seele an, sondern den sie umgebenden Geistern, mögen diese guter oder böser Art sein. Sind sie böser Art, so wird die Seele – und durch sie auch ihr Leib – wie ganz erschöpft aus einem solchen Traum erwachen. Sind diese Visionen aber ein Werk guter Geister, dann werden sich beim Erwachen Seele und Leib in einem gestärkten Zustand befinden.

 

Beide Arten dieser Visionen werden nur zum Nutzen, aber nicht zum Schaden der Seele zugelassen. In den erschreckenden Visionen sollen sie eine Warnung, in den guten eine Stärkung finden.

 

Diese Visionen werden darum so deutlich, weil die Geister zuerst den Nervengeist aus seiner körperlichen Bindung lösen und ihn mit der Seele verbinden. In einem solchen Zustand hat die Seele das Gefühl der Natürlichkeit, weil sie mit dem Nervengeist verbunden ist, daher wie beim Aufnehmen durch die Körpersinne nun auch die Traumbilder in sich aufzunehmen und erinnern vermag.

 

Zu dieser Klasse von inneren Visionen gehört auch das Schauen der Medien, ferner das Schauen in den Narkosen.

 

Diese Bilder haben schon sinnvolle Verbindung und eine  bestimmte Ordnung, weil hier der Seele von den sie umgebenden Geistern etwas Wahres gezeigt wird. Dabei werden der Seele nicht selten künftige Ereignisse vorgeführt, was für Geister nichts Schweres ist. Denn sie kennen die Ordnung der Dinge und Umstände, in der diese aufeinander folgen müssen, weil sie selbst die Schöpfer dieser Ordnung sind.

 

Es ist gerade so, als wenn jemand in ein fremdes Haus käme: da wird er wohl nicht wissen, was der Hausherr morgen tun wird. Wenn er es euch aber sagt, so werdet auch ihr es schon heute erfahren. So könnt ihr ebenfalls nicht wissen, was die Geister in diesem Jahr veranlassen werden. Geben es die Geister einer Seele kund, so wird auch sie vorher wissen, was da geschehen wird. Damit jedoch die Geister der Seele etwas kundtun können, muß sie von ihnen dazu vorbereitet werden.

 

Von dieser Vision ist demnach schon sehr viel zu halten, jedoch niemand soll sie, wie einst die Heiden als Ankündigung eines unabänderlichen Schicksals ansehen, denn niemand darf in seiner Willensfreiheit beschränkt werden.

 

Will jemand ernstlich etwa anderes, als ihm die Geister in einer Vision gezeigt haben, so darf er sich nur an Mich wenden. Und es wird anders, so derjenige glaubt und vertraut, der sich an Mich gewendet hat; denn Ich kann alle Dinge im Augenblick verändern.

 

Und so Ich selbst sagen würde: `Siehe morgen werde Ich dies und jenes tun!` - du aber fassest Liebe und Vertrauen zu Mir und bittest Mich, dass Ich es unterlasse, so werde Ich tun, worum du bittest. Es wird dadurch für niemand ein Nachteil entstehen; denn Ich kann alle Verhältnisse, Zustände und Dinge so und so gebrauchen, und da müssen Mir tausend wie einer dienen und ein Tag sein wie ein Jahr, und tausend Jahre wie ein Tag.

 

Das menschliche Gemüt ist freilich so leichtgläubig, dass es schon aus ganz einfachen Träumen gern allerlei zukünftige Begebnisse voraussehen will. Die Menschen haben sich schon Regeln gemacht, denen zufolge nach bestimmten Träumen bestimmte Folgen eintreffen müssen. Da gibt es Wasserträume, die künden den Tod irgend eines Verwandten oder Bekannten an. Feuer bringt entweder eine Lüge oder eine Freude. Brot-, Mist- und Hochzeitsträume werden für Sterbepropheten in der Familie gehalten. Träumt einem von Bienen, so entsteht ein Feuer; träumt er von Ameisen, so kommt darauf eine Überschwemmung, oder der Mensch hat viele Sorgen zu erwarten. Heuschrecken, Grillen und Vögel bedeuten Krieg, der Lotterieträume gar nicht zu gedenken. Diese Bilder, die sich der Seele im Traume darstellen, sind wohl Entsprechungen des Seelenzustandes, seiner Wünsche und Befürchtungen, aber keinesweg Propheten zukünftiger Ereignisse.

 

Solch ein Aberglauben ist ein Übel, das der Seele sehr schaden kann, weil sie sich dadurch angewöhnt, wegen solcher Voraussagen das Vertrauen auf Mich ganz aufzugeben. Und je mehr solcher prophetischer Einbildungen in der Seele Wurzel fassen, desto mehr schwächen sie den Glauben wie auch die Liebe zu Mir. Wenn schon einfache Träume nur Spiegel der Seele sind, so stammen die dummen Deutereien von dem argen Geistergesindel.

 

Ich gebe euch hier dieses kund, damit ihr wisst, was ihr in Zukunft von Träumen und auch von echten Visionen, die im Verfolg noch besprochen werden, in Wahrheit zu halten habt. Jede Erscheinung hat zwar ihren entsprechenden Grund, wie auch einen entsprechenden Zweck; aber von eingebildeten Dummheiten soll dabei nicht die Rede sein.“ (Er.01.067.01ff)

 

2

Ein röm. Hauptmann: “`Es träumte mir einmal von einem meiner liebsten Brüder so lebhaft, dass wir in Athen beisammen waren und uns über eine wichtige Angelegenheit besprachen. Ich war aber damals noch in Rom und der Bruder auf der Insel Rhodus, wo er zu tun hatte. Ich zeichnete mir den gehabten Traum auf, um ihn nicht zu vergessen. Nach einem halben Jahre kamen aber im Ernste ich und der Bruder in Athen auf demselben Platze zusammen, auf dem wir in meinem Traume zusammengekommen waren, und der Gegenstand unserer Besprechung, wennschon mit etwas andern Worten, war derselbe, über den wir uns schon im Traume vor einem halben Jahre besprochen hatten.


Ich fragte denn nach der Besprechung den Bruder, ob er vor einem halben Jahre nicht auch in der und der Nacht einen solchen Traum gehabt hätte, wie ich ihn gehabt habe, und zeigte dem Bruder bei dieser Gelegenheit die getreue Aufzeichnung, die ich mit nach Athen genommen hatte, und er durchlas sie mit großer Aufmerksamkeit und verwunderte sich sehr, dass sich mein gewisserart prophetischer Traum nun in Athen beinahe buchstäblich bewahrheitet hatte, versicherte aber dabei, dass er für seine Person davon nie einen Traum und auch keine entfernte Ahnung hatte, dass wir uns in Athen sehen und sprechen würden. Über den zu besprechenden Gegenstand habe er wohl für sich schon oft nachgedacht und sich darum nach Rom zu mir begeben wollen, auch habe er nach mir oft eine große Sehnsucht gehabt; aber dass wir uns so ganz zufällig in Athen treffen, sehen und sprechen würden, davon habe er, wie gesagt, nie eine Ahnung und noch weniger einen ähnlichen Traum gehabt.


Dieser Traum war sonach für mich etwas Wahres; warum aber wusste denn der Bruder gar nichts davon, da die Sache ihn doch um vieles näher anging denn mich? Was war der Bruder in meinem Traume? Nichts als ein Bild, das sich die Phantasie meiner Seele als lebend plastifizierte und ihm sicher die von ihm gesprochenen Worte in den Mund legte! Nur ich war das eigentliche Ich, alles andere war eine Schöpfung der Phantasie meiner Seele, für die ich aber nicht sagen kann, ob sie sich dabei frei und selbständig tätig oder doch nur leidend verhielt.


Und darin liegt denn nun auch der Grund, warum ich hier auch die andern – die wie ich noch im materiellen Leben seiend – vernehmen möchte, ob sie erstens auch mich, wie ich sie, gesehen haben, und zweitens, ob sie auch alles andere also gesehen und gehört haben, wie ich es gesehen und gehört habe, und wollen sie darum nun treu, wahr und offen reden; denn es handelt sich hier um die allerwichtigste Lebenswahrheit für einen jeden Menschen! Es ist das ein wahres Aut Caesar, aut nihil!*) Denn sind derlei Erscheinungen auch nur den Träumen gleich, aus denen kein Weiser ein wahres ewiges Fortleben der Seele des Menschen nach seinem Leibestode beweisen kann, so ist jede Sittenlehre ohne wahren Wert, und ihre Gesetze und Forderungen und Verheißungen haben nur fürs zeitliche und bürgerliche Gemeinleben einen kleinen, aber dabei immer illusorischen Wert; was aber das Geistige betrifft, so gehört es in den alten Augiasstall.

*) Entweder Kaiser oder nichts!, d.h. alles oder nichts!


Ist aber solch eine Erscheinung eine durch mehrere vollkommene Wahrheitsfreunde erwiesene Wahrheit, dann erst erscheint die tröstende Sittenlehre, besonders in ihrem stets vorwiegend geistigen Teile, in einem ganz andern Lichte. Ich als ein großer Wahrheitsfreund habe euch das nun ernst ans Herz gelegt, und so redet denn nun auch die volle, ungeheuchelte Wahrheit!`


Hierauf erzählten alle ganz offen, was sie gesehen und gehört hatten, und beschworen ihre Erzählung als ungeheuchelt wahr.


Als der Hauptmann die Erzählungen vernommen hatte und dabei die vollste Überzeugung gewann, dass das Gesehene und Gehörte seine vollwahrste Realität hatte, da sagte er zu Raphael: `Siehe, du junger Riese, das ist für mich nun mehr als tausend der weisesten Reden und Lehren und Wundertaten der noch so außerordentlichen und seltenen Menschen, die ihre Nebenmenschen nur so lange zur Verwunderung hinreißen mit Worten und Taten, als sie selbst unter ihnen leben, aber als von dieser Welt Abgeschiedene dann für immer erlöschen und verstummen! Den hinterbliebenen Menschen bleibt aber dann nichts anderes zu tun, als blind und ohne alle weitere Überzeugung aufs Geratewohl zu glauben, dass es am Ende vielleicht doch so sein könnte, wie die lange verstorbenen Weisen die Menschen gelehrt haben!


Jetzt aber glaube ich nicht nur an ein ewiges Fortleben der Menschenseelen nach des Leibes Tode, sondern ich selbst bin faktisch davon vollkommen überzeugt und kann es darum auch gar vielen andern Menschen verkünden, dass der alte Glaube an einen allein wahren Gott und an das ewige Fortleben der Seele nach dem Leibestode eine völlig hellst aus mehrfacher untrüglicher Erfahrung erwiesene Wahrheit ist, von der sich ein jeder Mensch, wenn er treu nach dem Worte und geoffenbarten Willen des nur einen, ewig wahren Gottes lebt, selbst überzeugen kann.


Ah, nun hat aber auch für mich ein jedes Wort, das ich aus dem wahrst heiligen Munde des Meisters der Meister vernommen habe, erst den wahren und allerlebendigsten Wert, und ich werde mich bestreben, diese Lehre nicht nur an mir selbst durch Taten zu realisieren, sondern auch Tausende auf diesen Weg zu bringen und zu setzen!


Es wäre freilich wohl auch gut, so ich selbst im Notfalle die Macht und Kraft besäße, auch andere Menschen auf die nun von uns erlebte Art und Weise zu überzeugen, dass ich die volle Wahrheit rede; doch es bedarf dessen vorderhand weniger, da ein jeder Mensch, der mich nur ein wenig näher kennt, es nur zu gut weiß, dass das, was ich sage, eine wohl erwiesene Wahrheit sein muss, da ich mich noch niemals durch bloße Worte habe zufriedenstellen lassen.


Das wäre sonach nun vollends gut und abgemacht, aber da ich hier schon einmal meinen Traum erzählt habe, so möchte ich denn nun auch von dir, du junger, weiser Riese, über so manches in selbem vorkommende Sonderbare eine kleine Beleuchtung erhalten. Denn dass er sicher sehr viel Geistiges in sich enthält, das ist gar nicht zu bezweifeln! Aber wie hängt er mit dem erst nach einem halben Jahre erfolgten Materiellen zusammen? Was war das im Traume gesehene Athen, und was war der Bruder, und woher nahm er die Worte, die er, sich als ein Objekt außer sich befindend, zu mir gesprochen hat? Denn des Bruders irgend freigewordene Seele konnte er nicht sein, weil der Bruder durchaus nichts davon wusste.`


Sagte nun Raphael: `Zwischen deinem gehabten Traum und dem, was du nun geschaut hast, ist freilich ein ganz bedeutender Unterschied, aber dessen ungeachtet war dein Traum doch auch geistiger Art, wie das ein jeder Traum mehr oder weniger ist. Aber er ist darum kein völlig klares geistiges Schauen, weil in solch einem Traume die Seele nicht also in der vollen Verbindung mit dem Geiste in ihr sich befindet, wie es nun bei dieser Erscheinung der Fall war.


Siehe, in der Seele gibt es drei sehr unterscheidbare Schau- und Wahrnehmungsgrade! Der erste ist, selbst im Traume der materiellen Naturmenschen, bei denen der innere Geist noch so untätig ruht wie der Pflanzengeist im Keimhülschen eines Samenkornes, nur ein pur naturmäßiger.


Die Seele trägt als eine Welt im Kleinen alles in sich, was die Erde im großen Maße in und über sich enthält und fasst.


So des Leibes Sinne im Schlafe wie tot und untätig ruhen, da beschaut die Seele, die nicht schlafen und tot werden kann, ein und das andere aus den materiellen Gebilden in sich, belebt sie auf Momente und erheitert sich, so sie auf etwas Schönes und Angenehmes geraten ist; ist sie aber auf etwas Arges und Unschönes geraten, da wird sie auch im Traume ängstlich und müht sich ab, der sie molestierenden (bedrängenden) Erscheinung durch den vollen Rücktritt in ihres Leibes Fleisch los zu werden.


Was eine Seele in solchem ersten Schaugrade in einem Traum ersieht, hat dann freilich keine objektive, sondern nur eine leidende, subjektive und verbandlose Realität; denn sie beschaut da nur in der materiellen Weise ihr eigenes Weltkonglomerat und ist dabei zum Teil tätig und zum Teil leidend.


Aber in einem Traume, wie du ihn gehabt hast, befindet sich eine Seele in der Übergangsstufe von dem ersten Sehgrade in den zweiten und höheren. In diesem Falle ist die Seele von ihrem pur Materiellen schon mehr isoliert, tritt gewisserart aus ihrem Fleische, setzt sich durch ihren Außenlebensäther mit der Außenwelt in eine volle Verbindung und sieht und fühlt da Fernes und Wahreres aus den auf sie einwirkenden Lebens- und Sachverhältnissen auf der Erde.


Aber weil dieser Schaugrad der Seele schon ein höherer ist, so geschieht es sehr oft, dass die Seele, so sie beim Erwachen wieder in den Leib zurücktritt, von dem in diesem höheren Schaugrade Gesehenen und Vernommenen nichts mehr weiß, weil davon im Gehirne gewisserart keine Abzeichnung hatte genommen werden können, aus der dann im leiblichen Wachsein die Seele hätte ersehen können, was sie in ihrem freieren Lebenszustande gesehen und getan hat.


Doch manche Menschen, wie auch du einer bist, haben die Fähigkeit, auch das in dem höheren Schaugrade Gesehene und Vernommene aus dem Traume oder freierem Seh- und Handelnszustande der Seele ins Fleischgehirn zu zeichnen; und so die Seele sich dann wieder in den Leib zurückzieht und auch leiblich erwacht, so ersieht sie da im Gehirne alles, was sie in ihrem freieren und höheren Schaugrade gesehen, getan und vernommen hat.


Und so hatte dein Bruder in derselben Nacht wohl auch das gleiche Traumgesicht, wie du es gehabt hast, aber seine Seele hatte nicht die Fähigkeit, das in ihrem höheren Schaugrade Gesehene und Vernommene ins Fleischgehirn zu zeichnen, und so konnte sie sich an dasselbe auch nicht auch nur ahnungsweise erinnern. Du hast demnach deines Bruders Seele völlig wahr gesehen und gesprochen.


Dass aber deine und auch deines Bruders Seele im Traume das schon um ein halbes Jahr früher getan haben, das liegt in der sehr feinen Fühlbarkeit der freieren Seele, die aus den in ihr zugrunde liegenden Bedürfnissen und deren folgerechten Tat- und Sachverhältnissen sich in ihrem freien Zustande das schon vergegenwärtigt, was der Erdzeit nach erst um vieles später geschieht. Es hat aber eine jede Seele auch im leiblich wachen Zustande das Vermögen, sich für die Zukunft Pläne zu machen und dieselben sich als schon vollendete Werke vorzustellen; aber weil der Seele in ihrem Fleische das reinere und bestimmtere Sehen und Fühlen aller zur Ausführung eines gefassten Planes nötigen Bedingungen und Verhältnisse offenbar mangelt, so wird an den vorgefassten Plänen auch noch gar manches geändert, sowohl in der Form und Zweckdienlichkeit, als auch in der Zeit, in der die Seele nach ihrem vorgenommenen Plane das Werk schon in seiner vollsten Vollendung betrachtete.


Könnte aber eine Seele auch im leibwachen Zustande ebenso klar alles übersehen, wie sie das in ihrem freieren Schau- und Fühlzustande vermag, da würde an dem einmal gefassten Plane auch nichts mehr geändert werden, und er würde auch in der völlig genau bestimmten Zeit als ein vollendetes Werk dastehen; denn eine frei sehende und frei fühlende Seele durchschaut schnell alle Verhältnisse, Bedingungen und die möglichen Hindernisse, wie auch zugleich die besten und sicheren Mittel, durch welche die Hindernisse sicherst zu beseitigen sind, und so muss ja das, was sie sich vorgenommen hatte, auch in der bestimmten Zeit geschehen.


Und siehe, darin liegt denn auch die Vorhersehungsfähigkeit einer freieren und reineren Seele nicht nur für das, was sie zunächst angeht, sondern auch für das, was außer ihr irgend in der Welt geschehen, werden und vor sich gehen wird, weil sich eine solche rein-, fein und fernsehende und -fühlende Seele den Verband aller für die kommenden Ereignisse schon lange vorhanden seienden Verhältnisse, Bedingungen und Ursachen mit ihren bestimmten Wirkungen unverhüllt und also auch wie plastisch vollendet vorstellen kann, was bei einer unfreien und noch sehr materiellen Seele unmöglich der Fall sein kann. Da hast du nun ganz natürlich klar dargestellt, in welch einem Zustande sich deine und deines Bruders Seele in deinem Traume befand, und wie und warum!“ (GEJ.08_134,02ff)


Siehe linke Randspalte unter "Kurztexte", Themen "Vom Aberglauben" und "Ist das Schicksal vorbestimmt?"