"...Solange noch eine Wärme im Herzen ist, löst der Engel die Seele nicht  vom Leibe. Diese Wärme ist der Nervengeist, der zuvor von der Seele ganz aufgenommen werden muß, bis die volle Löse vorgenommen werden kann." (BM.01_001,07)


 

Zum Umgang mit Sterben und Tod

eine Innen- und Außenansicht


Michael Nolten


 

1.  Annäherung an das Thema


1.1.  Wie erleben wir das Sterben und den Tod?

 

Am Beginn soll ein Wort des Apostels Paulus stehen, der aufgrund seiner Erfahrung mit dem christlichen Glauben und seines persönlichen Weges zu der Erkenntnis gekommen ist, die er in seinem Brief an die Philipper auf kurze, aber äußerst prägnante Weise zusammenfasst: „Denn für mich ist Christus das Leben und Sterben Gewinn.“ (Phil 1,21)

 

Damit drückt er ganz deutlich aus, dass der Tod den Schrecken und die Absolutheit für ihn verloren hat: Die reale Erfahrung der Gegenwart Gottes in Jesus Christus hat ihn so stark geprägt, dass er den Tod nur noch als eine Schwelle begreift, die letztlich zu einem höheren und endgültigeren Leben führt.

 

Eine solche Sichtweise muss man sich aber erst einmal durch persönliche Glaubenserfahrungen aneignen. Sie muss innerlich wachsen und kann nicht nur ein theoretisches Gedankengebäude sein. Von daher gehört eine Auseinandersetzung mit den verschiedenen Facetten des Sterbens dazu, die uns oftmals gefühlsmäßig sehr herausfordern. Das ist zumeist der Fall, wenn enge und vertraute Menschen aus unserem Umfeld uns verlassen: in der Familie, im Freundeskreis, aber auch bei Berufsgruppen, in denen der Tod mit zum Alltag gehört, wie z.B. beim medizinischen und pflegerischen Personal in einem Krankenhaus. Gerade im letzten Fall ist es einerseits wichtig, dass das Sterben nicht zu einem „Routinefall“ wird, andererseits aber auch genügend innere Distanz bleibt, um seinen Dienst weiterhin verantwortungsvoll tun zu können.

 

Was ist nun das Sterben? Die Trauerbegleiterin Chris Paul hat es einmal so ausgedrückt:  „Sterben ist ein Vorgang zwischen Körper und Seele … Manchmal ist die Seele nicht mehr in der Lage, das Leben zu ertragen; meist ist es der Körper, der der Seele kein Zuhause mehr sein kann, weil er schwach und krank geworden ist. Dann entsteht ein Kampf zwischen Körper und Seele, der eine hält am Leben fest, der andere macht sich bereit zu sterben. Es gibt die Möglichkeit, diese Auseinandersetzung als Ganzes ‚sterben’ zu nennen.“ 1

 

Sterben kann also gesehen werden als ein Kampf zwischen verschiedenen Teilen des Menschen; geistig können wir es verstehen als einen Loslösungsprozess der Seele aus dem Körper oder als eine Trennung des inneren Menschen vom äußeren Menschen und damit ein sich Freimachen von dieser Welt. Dieser Vorgang kann unterschiedliche Dauer und Intensität haben: Wir wissen um den plötzlichen und schnellen Tod, wir erfahren das Sterben oftmals als einen lang andauernden Kampf; es gibt den schmerzfreien Übergang, aber auch das lange und von Schmerzen begleitete Sterben, über das nahe stehende Personen häufig sagen, dass der Tod hier eine „Erlösung“ war; wir kennen das Sterben junger Menschen, das uns häufig mit vielen Fragen zurücklässt, und wir erleben das Sterben in hohem Alter, von dem es zumeist heißt, dass die verstorbene Person ihr Leben gelebt hat. Auch die Todesarten sind zahlreich: Krankheiten, Unfälle, Versagen eines oder mehrerer Organe, Suizid – um nur einige wenige Wege zu nennen, die aus dieser Welt hinausführen.

 

2.  Sterben im Krankenhaus – ein Seminar

 

Zu Beginn des Jahres 2010 boten wir von Seiten der Katholischen Krankenhausseelsorge in unserer Einrichtung eine innerbetriebliche Fortbildung zu dem Thema „Umgang mit Sterben und Tod“ an. Das Interesse an diesem Seminar war vor allem von Seiten des Pflegepersonals so groß, dass wir es dreimal durchführen konnten. In den Gesprächsrunden wurde vielfach ausgesprochen, dass die Angst in diesem Zusammenhang latent oder auch vordergründig vielfach mitschwingt: sowohl die Angst vor dem Sterben bei den Patienten als auch die Angst vor dem eigenen Tod aufgrund vieler ungeklärter Fragen. So wurden dann auch eine Reihe von Grenzfragen benannt: Es wurden die Unsicherheiten angesprochen, die  vor allem aus der Unwissenheit über „das Jenseits“ resultieren, z. T. auch die eigene Ungläubigkeit  („Da ist nichts!“), aber auch die Hoffnungen und die Verheißungen des Glaubens fanden Raum, um ausgedrückt zu werden. Hinzu kamen natürlich noch eine Reihe von krankenhausinternen Fragen und Problemen, vor allem die bestehende Zeitnot sowie die Raumfrage bei der würdigen Verabschiedung von Verstorbenen. Klar wurde, dass es auch im Krankenhaus viele offene Fragen zum Umgang mit dem Tod und den Verstorbenen gibt. Die Würde des Menschen auch im und über den Tod hinaus zeigte sich als etwas, das es immer wieder neu zu erstreiten gilt. Das christliche Menschenbild ist keine Selbstverständlichkeit und bedarf auch in unseren (christlichen) Einrichtungen einer stetigen Erinnerung. Tod und Sterben gehören zwar zweifelsohne mit zum Krankenhausalltag, aber nach außen wird zumeist viel lieber das Bild des „gesunden und heilen“ Menschen  übermittelt.

 

Jedoch war es angebracht und sinnvoll, ein solches Angebot im Krankenhaus zu machen, da nur über das Aussprechen von Fragen und (unbequemen) Gefühlen dazu beigetragen werden kann, ein weit verbreitetes Tabu aufzuweichen.

 

3.  Sterbeforschung

 

Sterben ist oftmals ein längerer Prozess, der sich über einen mehr oder weniger langen Zeitraum hinzieht, vor allem dann, wenn er von einer schweren Krankheit begleitet wird. Wir haben es der Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross zu verdanken, die in den 70er Jahren durch ihre „Interviews mit Sterbenden“ dazu beigetragen hat, dass uns heute die inneren und gefühlsmäßigen Vorgänge im Sterbeprozess ein weniger transparenter geworden sind.

 

Sie beschreibt insgesamt fünf Phasen des Sterbens, wobei es wichtig ist zu betonen, dass diese nicht einfach chronologisch aufeinander folgen, sondern es durchaus zu einem Überspringen einzelner Phasen kommen kann. Auch das Zurückkehren zu einer bereits abgeschlossenen Phase ist möglich; ebenso das Verharren in einer solchen. Sterben lässt sich nicht planen oder gar in ein bestimmtes Schema pressen. Trotzdem sollen hier noch einmal kurz die von Kübler-Ross erkannten Sterbephasen aufgeführt werden:

 

1) Nichtwahrhabenwollen: Der Mensch / der Patient zieht sich von der Außenwelt zurück oder entwickelt im Gegenteil besondere Aktivitäten, die vermutlich seine innere Ahnung oder evtl. sogar das Wissen um seine Situation überdecken soll. Verdrängung, aber auch Rückzug prägen diese erste Phase.

 

2) Wut und Zorn: In diesem Zeitraum werden zumeist aggressive Gefühle lebendig. Der Betroffene erkennt, was mit ihm passiert, und stellt sich vor allem die Frage: Warum gerade ich? Er muss sein Schicksal an sich heranlassen, will es aber zugleich noch von sich weisen. Hader und Misstrauen, auch Gott gegenüber, prägen diese Zeitspanne.

 

3) Verhandlung: In dieser Zeit weiß er zwar zumeist um seine Situation, kann sie aber noch nicht akzeptieren. Deshalb versucht er noch eine gewisse Zeit herauszuschlagen und „verhandelt“ mit den Ärzten (z.B. eine weitere Therapie oder Heilmethode), aber auch womöglich mit Gott. Gewisse „Etappenziele“ werden ins Auge gefasst und angestrebt, die es noch zu erreichen gilt (z.B. ein Ehejubiläum, eine Taufe oder ein anderes wichtiges familiäres Ereignis).

 

4) Depression: Hier erfolgt nun ein noch stärkerer Rückzug. Lebenskraft und Lebensmut gehen mehr und mehr zurück. Der Widerstand gegen das Sterbenmüssen lässt allmählich nach und es ist ein regressives Verhalten zu beobachten. In gewisser Weise geschieht hier eine Selbstaufgabe des Betroffenen.

 

5) Annahme: Es kommt dann der Zeitpunkt, wo es gilt endgültig loszulassen. Der (äußere und innere) Kampf ist gekämpft, der Sterbende hat sich mit seinem Schicksal und seinem Tod arrangiert.  Er kann einwilligen und das Überschreiten der Schwelle für sich zulassen.

 

Es sei noch einmal betont, dass diese Sterbephasen ein Modell sind, das nicht auf jeden Sterbenden einfach zu übertragen sind. Vor allem der heutige Krankenhausalltag mit seiner modernen Technik macht es oft schwierig, dass ein Patient diesen Weg in dieser Form gehen kann. Aber das Wissen um diese Phasen ist außerordentlich hilfreich, um in der Begleitung von Sterbenden diesen in seiner Situation besser verstehen und auf ihn eingehen zu können.


 

2.  Überlegungen zum Sterbevorgang


2.1.  Wann ist der Mensch (wirklich) tot?

 

Wann ist der Mensch tot?“ – so lautet der Titel eines Buches, das sich mit der Praxis der Organverpflanzung und dem dazu erforderlichen Hirntodkriterium beschäftigt. Neue Aktualität hat dieses Thema wieder bekommen, seit der SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier im Jahr 2010 seiner Frau eine neue Niere spendete. Seit diesem Zeitpunkt wird die Frage der Organtransplantation wieder verstärkt in der Öffentlichkeit diskutiert, und zwar vor allem unter dem – sicherlich nachzuvollziehenden – Aspekt, wie das bestehende Defizit an Spenderorganen verringert werden kann.

 

Der Deutsche Bundestag beschäftigt sich derzeit mit einer neuen Gesetzesinitiative, der sogenannten „Entscheidungslösung“, bei der jeder Bundesbürger einmal in seinem Leben gefragt werden soll, ob er als Organspender zur Verfügung steht oder nicht. Doch das Thema bleibt in der öffentlichen Diskussion nach wie vor umstritten.

 

Dies liegt zuletzt vor allem wohl auch an dem Kriterium des Hirntodes, der für die Organentnahme ärztlich festgestellt werden muss.  Dabei ist dieses eigentlich noch gar nicht so alt: 1959 bezeichneten die Ärzte Moullaret und Gullon einen neu erkannten Zustand als „Coma dépassé“. Beschrieben wurde damit die unwiderrufliche Zerstörung des Gehirns durch Sauerstoffmangel, wobei der weitere Organismus des Menschen durch künstliche Beatmung am Leben erhalten werden konnte. 1968 wurde dann der Zustand des „Coma dépassé“ als „Hirntod“ zum grundsätzlichen Tod des Menschen erklärt. Entwickelt und verfasst wurde diese Erklärung durch die „Harvard-Kommission“, eine Ad-hoc-Kommission der Harvard-Medical-School, bestehend aus Theologen, Juristen und Medizinern. Ihre Zielrichtung war zunächst jedoch eine ganz andere: Komatöse Patienten mit einer irreversiblen Hirnschädigung sollten als Verstorbene betrachtet werden, um damit den Krankenhäusern die Möglichkeit zu geben, die überfüllten Betten freizumachen und neuen Raum für neue Patienten zu schaffen.

 

Erst in einem – zunächst nebensächlich erscheinenden – Zusatz wurde die Möglichkeit der Organtransplantation angedeutet:  „Überholte Kriterien für die Definition des Todes können zu Kontroversen bei der Beschaffung von Organen zur Transplantation führen.“ Damit wurde der Raum eröffnet, um auf die Organe von irreversibel Hirngeschädigten zugreifen zu können2.

 

Dass dieses Kriterium sich politisch durchgesetzt hat, zeigt die Gesetzeslage vieler westlicher Länder. Allerdings bleibt dieser benannte Todeszeitpunkt trotz allem weiterhin ethisch umstritten. So war auf einer Internetseite des Deutschlandradios ein Artikel überschrieben: „Wann ist der Mensch tot? Medizinethiker fordern eine Debatte über den Hirntod“. In diesem Aufsatz erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Hirntodkriterium, die in der Aussage gipfelt, dass dieses naturwissenschaftlich offenbar nicht mehr haltbar sei. Angeführt wird vor allem die Tatsache, dass ein Teil des Menschen,  nämlich das Gehirn, mit dem Ganzen gleichgesetzt wird, während der Rest, der über 90% des Organismus ausmacht, noch lebt.

 

Hier liegt nach Aussage der Autoren eine Spannung vor, die nur schwer auszuhalten ist. Hinzu kommen Reaktionen des „Leichnams“ bei der Explantation, von denen schwer anzunehmen ist, dass sie von einem bereits Verstorbenen stammen. Außerdem wird die zu explantierende Person zumeist anästhesiert, was darauf schließen lässt, dass trotz des erfolgten Hirntodes offensichtlich noch ein gewisses Maß an Leben und auch Empfindungsmöglichkeit vorhanden ist.

 

So bewegen wir uns, was den Todeszeitpunkt anbetrifft, in einer Grauzone: Der Wunsch der Befürworter der Organspende, den Tod des Menschen am Tod seines Gehirns festzumachen, muss auf diesem Hintergrund klar infrage gestellt werden. Wer jedoch dennoch für sich Gründe hat, sich als Organspender zur Verfügung zu stellen, mag dies durchaus tun; nur sollte er sich ernsthaft mit den hier aufgeworfenen Fragen auseinandersetzen und zu einer ehrlichen und ihm gemäßen Antwort zu kommen.

 

Im Folgenden mögen uns die Offenbarungen von Emanuel Swedenborg und Jakob Lorber noch mehr dazu helfen, sich dem Vorgang des Sterbens anzunähern und sich entsprechend einzufühlen.

 

2.2.  Der Sterbevorgang im Licht der Neuoffenbarung


In dem oben erwähnten Artikel „Wann ist der Mensch tot?“ auf der Seite des Deutschlandradios wird der Medizinethiker Prof. Stephan Sahm zitiert, nach dessen Ansicht es schwierig sei, bestimmte Zustände menschlichen Lebens bereits als Tod zu bezeichnen. Er weist vielmehr auf den Prozesscharakter des Sterbens hin.

 

Damit kommen wir in eine gewisse Nähe zum Verständnis der Neuoffenbarung, wo auch mehr der Prozessvorgang des Sterbens hervorgehoben wird als ein bestimmter Todeszeitpunkt. So lesen wir auf diesem Hintergrund bei „Bischof Martin“:

 

Seht, da sind wir schon – und seht, da liegt auch noch unser Mann auf seinem  Lager; denn solange noch eine Wärme im Herzen ist, löst der Engel die Seele nicht vom Leibe. Diese Wärme ist der Nervengeist, der zuvor von der Seele ganz aufgenommen werden muß, bis die volle Löse vorgenommen werden kann.“ (BM.01_001,07)

 

Beschrieben wird hier der Sterbevorgang in einer Innenschau in zwei Schritten: Zunächst einmal muss der Nervengeist in die Seele übergehen, dann erfolgt die Löse der Seele vom Leib durch einen Engel.

 

Jakob Lorber beschreibt den Sterbevorgang mit Hilfe eines oder mehrerer Engel noch an anderen Stellen. Im „Großen Evangelium“ spricht auch der Knabe Josoe vom Mitwirken des Engels beim Sterbevorgang:

 

Wenn wir aber von Gott aus berufen werden, diese Welt zu verlassen, dann wird zuvor ein Engel Gottes mit uns ebenfalls machen, wie dieser nun tut mit der Speise, das heißt, er wird in einem Augenblick alles dem Geiste Angehörige aus der Materie frei machen, die Materie der vollen Auflösung übergeben, die Seele aber und ihren Lebensgeist, sowie alles, was in der Materie der Seele angehört, in vollkommenster Menschengestalt vereinigend in die reine Welt der Geister hinüberführen nach dem ewigen, unwandelbarsten Willen Gottes!“ (GEJ.02_195,02)

 

Sicherlich dürfen wir derartige Aussagen dahingehend deuten, dass die göttliche Führung den Menschen auch im Sterben nicht verlässt, sondern ihn beim Übergang begleitet. Manche moderne Menschen tun sich allerdings schwer mit einem Glauben an die Engel; die Neuoffenbarung (Lorber und Swedenborg) hat damit allerdings keine Schwierigkeiten. Für sie gehören sie mit zur geistigen Welt und „verkörpern“ im wahrsten Sinn des Wortes den Willen und die konkrete Führung und Unterstützung des Herrn. Es ist eine geistige Sicht, die wir nicht – wissenschaftlich – beweisen können, aber es ist ein Angebot des Glaubens, das nicht zwingen will, aber Hoffnung und Zuversicht schenken möchte.

 

In diesem Zusammenhang stellt sich natürlich die Frage, ob wir grundsätzlich mit dem Beistand von Engeln im Sterben zu rechnen haben, oder ob es hier unterschiedliche Arten der Gegenwartsdichte Gottes gibt. Diesbezüglich ist sicherlich zu sagen, dass das Sterben und der Übergang von jedem Menschen unterschiedlich empfunden wird, je nachdem, wo er geistig steht und wie er sich innerlich ausgerichtet hat. In dem Werk „Jenseits der Schwelle“ finden wir folgende Sterbeszene, die vom Tod eines berühmten Mannes spricht, der zu seinen Lebzeiten ein „heimlicher Atheist“ war und nun bei seinem Sterben von Höllenphantasien heimgesucht wird. Über ihn heißt es:

 

Also sieht es diesseits aus; nun aber machen wir auch einen Blick ins Jenseits. Siehe, da stehen drei verhüllte Engel am entsprechend gleich aussehenden Lager unseres Sterbenden und betrachten unsern Mann mit unverwandtem Blick.“ (JS.01_001,06f)

 

Die Rede ist hier von drei Engeln, die gegenwärtig sind, aber nicht erkannt werden können, weil der Sterbende keinen Glauben hat und ihm offenbar die geistige Sehweise fehlt, so dass von den Engeln gesagt wird, dass sie verhüllt sind.

 

So dürfen wir davon ausgehen, dass der Herr sich in seinen Engeln nur so weit zu erkennen gibt, wie es der Glaube und die geistige Aufgeschlossenheit des Sterbenden zulassen. Der Herr übt niemals einen Zwang oder einen Glaubensdruck aus – auch im Sterben nicht. Dass aber Engel trotzdem zugegen sind, zeigt, dass auch ein solcher Mensch nicht verlassen ist, sondern darauf vertrauen darf, dass auch er im Jenseits geführt wird.

 

Es gibt in der Neuoffenbarung allerdings auch eine Reihe von Sterbeszenen, in denen die Gegenwart und das Wirken der Engel keine Rolle spielen: Dass sie nicht immer erwähnt werden, bedeutet jedoch nicht, dass sie dort nicht anwesend sind; lediglich der Schwerpunkt des jeweiligen Berichtes ist ein anderer.

 

Hilfreich für unser Verständnis vom Sterbevorgang ist darüber hinaus das Zeugnis des jungen Mathael, der als Hellsichtiger das Sterben seiner Nachbarin beobachten durfte. Dabei konnte er wahrnehmen, wie die Seele als „weißer Dunst“ aus der Brustgrube entstieg, wobei gesagt wird, dass dies der gewöhnliche Ausgang der Seele aus dem Leib ist. Während der Leib noch weiterhin mit Leben erfüllt war und stöhnte, konnte er beobachten, wie der „Seelendunst“ sich allmählich überhalb des Körpers immer mehr ausbreitete und menschliche Form annahm. Verbunden war das dunstförmige Seelengebilde durch einen rötlichen Faden, der sich schließlich auflöste, nachdem die Seele ihre vollständige Form angenommen hatte. Der Leib war nun tot und die Seele begann sich in der geistigen Welt zu orientieren. Ergänzend zu dieser Schilderung Mathaels erläutert nun der Herr, dass die Seele beim Verlassen des Leibes sich aufs Äußerste anstrengen muss, so dass aufgrund der hohen Vibration zunächst kaum etwas von ihr zu erkennen ist – ähnlich dem Flügelschlag einer Fliege oder der Schwingung einer gezupften Saite. Erst wenn sie mehr und mehr ausgetreten ist und allmählich zu ihrer Form findet, wird sie ruhiger und damit geistig erkennbar. (Vgl. GEJ.04_128)

 

Deutlich wird durch diese Darstellung noch einmal der Prozesscharakter des Sterbens: Der Tod des Menschen erfolgt erst dann, wenn die Seele (und damit das belebende Element) den Körper verlassen und sich in der geistigen Welt neu konstituiert hat.

 

Noch einen weiteren Aspekt des prozesshaften Sterbens finden wir bei Emanuel Swedenborg. In seinem Werk „Himmel und Hölle“ schreibt er:

 

Wenn der Körper seine Verrichtungen in der natürlichen Welt, die den Gedanken und Neigungen seines Geistes, die er aus der geistigen Welt hat, entsprechen, nicht mehr versehen kann, so sagt man, der Mensch sterbe; dies geschieht, wenn die Atemzüge der Lunge und die Pulsschläge des Herzens aufhören; gleichwohl jedoch stirbt der Mensch nicht, sondern wird bloß vom Körperlichen getrennt, das ihm in der Welt zum Gebrauch gedient hatte; der Mensch selbst lebt; ich sagte, der Mensch selbst lebe, weil der Mensch nicht Mensch ist durch den Körper, sondern durch den Geist, da es ja der Geist ist, der im Menschen denkt und das Denken nebst der Neigung den Menschen ausmacht. Hieraus erhellt, dass der Mensch, wenn er stirbt, nur von einer Welt in die andere übergeht; daher kommt, dass der Tod im Wort in dessen innerem Sinn die Auferstehung und das Fortleben bedeutet.“ (HH 445)

 

Sterben“ wird in dieser Sicht als Aufhören des Atmens und der Pulsschläge beschrieben: für unsere äußere Wahrnehmung sicherlich sehr gut nachvollziehbar. Die weiteren Aspekte dieser Textstelle über die Trennung vom Körperlichen und die Bedeutung des Wortes „Tod“ im Wort sind ebenfalls sehr erhellend und können uns mehr verständlich machen, was Auferstehung und Weiterleben nach dem Tod bedeuten.

 

3.  Schwellenerfahrung

 

3.1.  Allgemeines zur Nahtoderfahrung (NTE)

 

Über die NTE gibt es heutzutage jede Menge Literatur und es existieren auch viele Zeugnisse von Menschen, die sich an eine solche „Schwellenerfahrung“ erinnern können. Der Sterbeforscher Bernhard Jakoby hat sich in der Gegenwart einen Namen damit gemacht, dass er solche Zeugnisse gesammelt und ausgewertet hat. Das Beispiel des 25jährigen Axel sei hier angeführt:

 

Der 25jährige Axel erlitt einen Magendurchbruch und musste notoperiert werden. Während der Operation sank sein Blutdruck, und das Herz setzte aus. Die Ärzte versuchten, ihn zu reanimieren. Genau zu dieser Zeit nahm sich Axel plötzlich über dem Operationstisch schwebend wahr. Er sah die Bemühungen der Ärzte um sein Leben, aber er fühlte sich befreit und schmerzfrei. Er schwebte ins Wartezimmer und sah, wie eine Krankenschwester seine Mutter zu beruhigen versuchte. Er wollte sie trösten und ihr rnitteilen, dass es ihm gut geht. Doch sie bemerkte ihn nicht. Dann sah er das Krankenhaus davonfliegen, und Axel befand sich in einer dunklen Röhre, an dessen Ende er ein Licht bemerkte. Er sah auch andere Wesen um sich herum. Am Ende des Tunnels flog er auf ein wunderbares, angenehm helles Licht zu. Axel empfand dieses Licht als ein liebevolles, lebendiges Wesen. ‚Bin ich bei Gott?’, fragte er sich erstaunt. So eine Liebe hatte er noch nie gespürt. Das Lichtwesen antwortete, dass es ein Bote der Liebe Gottes sei. Durch dieses Licht gingen alle Menschen beim Sterben hindurch. Da bemerkte Axel Bruchteile seines Lebens an ihm vorbeiziehen, vorwärts von der Geburt bis zu seinem klinischen Tod. Alle Handlungen seines Lebens wurden ihm mit ihren Auswirkungen auf andere Menschen vor Augen geführt. Doch dann deutete ihm das Licht, dass er zurückkehren müsse, da er noch Aufgaben zu erfüllen habe. Axel kam auf der Intensivstation wieder zu sich und spürte die Schmerzen seiner Operation.“3

 

Diese Schilderung ist besonders gut dazu geeignet, die einzelnen Schritte einer NTE im vollen Umfang kennen zu lernen und nachzuvollziehen. Nicht immer finden wir den Verlauf dieser Phasen in einer solchen Klarheit; oftmals sind es auch nur einzelne Teile. Dennoch wollen wir in Anlehnung an die Forschungen Jakobys die Stufen einer NTE einmal darstellen:

 

1) Es bestehen Frieden und Schmerzfreiheit.


2) Eine außerkörperliche Erfahrung (OBE) wird gemacht. Der Betreffende merkt, dass das Bewusstsein außerhalb des Körpers existiert.

 

3) Das Bewusstsein erweitert sich, z.B. durch eine „Tunnelerfahrung“. Die Grenze von der materiellen zur geistigen Welt wird durchlässiger. Möglich sind Begegnungen mit „verstorbenen“ Angehörigen, Geistwesen (Engel?), paradiesischen Landschaften …

 

4) Am Ende dieses Erfahrungsweges steht oftmals das Licht: Dieses Licht strahlt wohlwollende und höchste Liebe aus; manchmal erkennen die Menschen darin die Liebe Gottes. Auch tiefe Erkenntnis wird in der Nähe dieses Lichtes erahnt.

 

5) Auf diesem Weg erfolgt auch die Lebensrückschau: Maßstab ist die Liebe, die der Betreffende den verschiedenen Menschen in seinem Leben zukommen ließ. Eine solche Erkenntnis beinhaltet oft schmerzliche, aber auch tröstliche Momente.

 

6) Am Schluss erfolgt die – zumeist abrupte - Rückkehr in den eigenen Körper. Diese erfolgt zumeist nicht freiwillig, wird aber durch die „unerledigten Dinge“ begründet (Aufgaben, familiäre Bindungen u. ä.).

 

Derartige Erfahrungen, wie sie heute häufig vorkommen, sind natürlich keine Jenseitserfahrungen, sondern Erlebnisse „an der Schwelle“, die noch nicht überschritten wurde. Deswegen geben sie uns keine Auskunft über das „Leben danach“, bieten aber wichtige Anhaltspunkte und halten in uns die Aufmerksamkeit wach, dass der irdische Tod keineswegs der Endpunkt in unserem Leben ist, sondern danach noch etwas sehr Liebevolles auf uns wartet.

 

3.2.  Zeugnisse von NTE

 

Im Rahmen einer Studie hat die Klinikseelsorge der Universitätsklinik Bonn Zeugnisse von Menschen gesammelt, die NTE gemacht haben. Auch kritische wissenschaftliche Stimmen kommen zu Wort. Wie bereits erwähnt, geben derartige Erfahrungen keine Auskünfte über den eigentlichen Sterbevorgang, den jeder Mensch in seiner ganz persönlichen Art durchleben bzw. auch durchleiden muss; auch wird keine Aussage über das Jenseits gemacht. Aber solche Zeugnisse sind inzwischen so zahlreich und vielfältig, dass wir sie nicht ignorieren können und wir auf diese Weise auf die hohe Wahrscheinlichkeit aufmerksam gemacht werden, dass unser irdisches Leben nicht mit dem Tod des Leibes endet.

 

Aus diesem Grund soll an dieser Stelle noch ein weiteres Zeugnis angeführt werden, das exemplarisch für die vielen zahlreichen Berichte stehen soll, die von den Seelsorgern der Uni-Klinik Bonn zusammengetragen wurden.
Herr E.G. schildert folgende Erfahrung:

 

Ich erinnere mich noch an ein Erlebnis, das ich mit 10 Jahren hatte — heute bin ich 79. Ich war erkältet (Bronchitis) und wollte — zu leicht bekleidet — unbedingt einen Schneemann bauen. Dabei habe ich mir eine schwere Lungenentzündung mit hohem Fieber eingehandelt. Die Krisis kam eine Nacht früher als erwartet, aber meine Mutter hatte mich schon neben sich in Vaters Bett geholt und so die Krisis bemerkt - meine Hände waren schon ganz kalt. Der Kinderarzt kam sofort. Mutter sollte mir starken Kaffee geben, und ich bekam Digitalis-Tropfen — aber so genau weiß ich das heute nicht mehr. Ich lag da in Vaters Bett. Vater und der Arzt saßen an der Bettkante und warteten, wie es weiterging. Da hatte ich einen merkwürdigen ,,Traum“, oder war es das, was man ,,Nahtod" nennt?
Ich schwebte zur Zimmerdecke - das Zimmer lag in fahlem Mondlicht - und sah mich selber da unter mir im Bert liegen. Ich bin dann die Decke lang durch das Fenster gegangen oder geschwebt, ging durch das Glas der Doppelfenster, auf bzw. (immer noch ganz leicht) über die Veranda hinweg, über die steinerne Balkonbrüstung auf das daneben liegende Flachdach über dem Herrenzimmer. Als ich dessen Rand erreichte, habe ich angehalten und fand mich auf einmal ganz wach wieder in Vaters Bett liegend. Vater und unser Kinderarzt saßen mit dem Rücken zu mir auf der Bettkante und unterhielten sich über ihre Kriegserlebnisse, und ich hörte zu. Als sie einmal unterbrachen, sagte ich: ‚Erzählt doch weiter vom Krieg.´ (Ich erinnere mich heute noch genau an das alles.) Der Arzt drehte sich um und rief ganz überrascht: ,Da liegt er, sagt kein Wort und hört uns ruhig zu und wir warten, ob er es überlebt. Ich glaube, Herr G., die Krisis ist überstanden.´ “4


3.3.  Schwellenerfahrung in der Neuoffenbarung?

 

Schauen wir in das Werk der Neuoffenbarung hinein, so finden wir keine NTE wie die Berichte aus der heutigen Zeit sie beschreiben. Das Thema „Sterben und Tod“ wird dort auf eine andere Weise abgehandelt: Die NTE in dem Sinne, dass Menschen vor der eigentlichen Todesgrenze umkehren müssen, wird nicht beschrieben, aber dafür Erlebnisse, die einen ähnlichen Charakter haben, wobei die Schwelle möglicherweise bereits überschritten war.

 

Im 3. Band des Großen Evangeliums wird von einem Mann und seinen zwei Töchtern berichtet, die ertrunken waren und von Jesus wieder erweckt wurden, um sie der geretteten Frau bzw. Mutter zurückzugeben. Der Mann beschreibt anschließend seine Erfahrung:

 

Frage du diesen Stein, und er wird dir darüber ganz dasselbe zu sagen imstande sein als ich nun! Ich weiß nun nur so viel, daß ein mächtiger Wasserstrom mich ins Meer mit sich fortriß und mich aber auch sogleich derart bewußtlos und folglich tot machte, daß ich von diesem Augenblick an nichts von mir weiß, was dann mit mir vorgefallen ist. Nur so viel erinnere ich mich – in der Seele aber nur –, daß ich mich bald nach dem Verschlungensein von den tödlichen Fluten mit meinen Töchtern ganz traurig auf einer großen Wiese befand und nicht wußte, warum ich denn so ganz eigentlich traurig war. Bald aber überstieg uns ein lichtes Gewölk von allen Seiten, und es ward mir so wonnig in diesem Lichte! Wir sahen aber niemand außer uns, und es bemächtigte sich unser in dieser Wonne ein süßer Schlaf, und aus diesem Schlafe erwachen wir hier wieder. Nun weißt du alles, was ich dir zu sagen weiß; – urteile nun selbst!“ (GEJ.03_202,02)

 

Ob es sich bei dieser Erfahrung um ein Erlebnis noch vor oder bereits jenseits der Schwelle handelt, wird nicht eindeutig gesagt: Auf jeden Fall handelt es sich um ein – subjektiv wahrgenommenes – Grenzerlebnis, das dem Ertrinkenden oder Ertrunkenen ein tiefes spirituelles Wahrnehmen von Jesu heilender und lebendig machender Kraft ermöglicht. Eine Parallele zu vielen aktuellen NTE ist auf jeden Fall die angenehme und wohlige Lichterscheinung, die Angst und Traurigkeit nimmt und Sicherheit in dieser Ablösungsphase gibt. Offenbar unterstreicht die Neuoffenbarung hier noch einmal den göttlichen Beistand, der im Sterbeprozess gegeben ist und der den Übergang – oder auch die Rückholung – begleitet.

 

Ein zweites Beispiel, das für unser Thema interessant ist, findet sich im 11. Band des Großen Evangeliums bei der Schilderung der „Schwellenerfahrung“ des Lazarus. Er wird nach seiner Auferweckung durch Jesus von diesem in einen hypnotischen Zustand versetzt, der ihm eine Rückschau in die innerseelischen Vorgänge seiner Todeserfahrung ermöglicht. So wird uns gesagt:

 

Alsogleich verfiel Lazarus in eine kurze Betäubung von einigen Augenblicken, erwachte sodann und sprach mit würdigstem, verklärtem Ausdruck folgendes: „Oh, ich sehe jetzt im Geiste nochmals klar und deutlich, was ich in jener Todesstunde fühlte und dachte! Es war mir am Anfang unsäglich bange, als ich merkte, daß das Leben in mir erlöschen wollte. Dann aber trat ein Gleichmut ein, und ich empfand das Bedürfnis, fest zu schlafen. Das Weinen der Schwestern, die an meinem Lager standen, kam mir unnütz vor; denn ich wußte doch, daß ich wieder erwachen würde. Dann schlief ich ein.“ (GEJ.11_064,06f)

 

Hier haben wir es zunächst mit einem Sterbevorgang zu tun, wie er von dem Sterbenden (hier: Lazarus) gefühlt und erfahren wird: zunächst das Empfinden der Angst zu Beginn, weil zunächst noch nicht klar ist, was „danach“ kommt; dann ein gewisser Gleichmut, was gedeutet werden kann als eine innere Bereitschaft sich auf den Vorgang einzulassen, wobei daraufhin allmählich eine Sicherheit eintritt, dass das Leben gar nicht ausgelöscht wird. Deutlich wird dies hier daran, dass Lazarus die Trauer seiner Schwestern als „unnütz“ empfindet, weil er darum weiß (!), dass es Erwachen geben wird. Die innere Bewegung bei diesem – und vermutlich auch bei vielen anderen – Sterbevorgängen wird deutlich: anfängliche Angst vor dem Sterben wird allmählich in die Gewissheit verwandelt, dass das Leben gar nicht genommen werden kann. Sterben ist in diesem Sinn gar kein Aufhören der eigenen Existenz, sondern lediglich wie ein Einschlafen und damit ein Eintauchen in eine andere Welt.

 

Nach dem Übergang, den Lazarus als Aufwachen erlebt, schildert er einen Zustand, den wir auch von vielen Menschen mit NTE kennen, nämlich das Gefühl der Freiheit und Unbeschwertheit außerhalb des eigenen Körpers. Wir sprechen dabei von der sogenannten OBE (out-of-body-experience), der außerkörperlichen Erfahrung, bei der „innere Mensch“ mit seinem Ich-Bewusstsein seinen Körper verlässt und diesen evtl. nur noch als zurückgelassene Wohnstatt seiner Persönlichkeit sieht. Lazarus berichtet:

 

Als ich erwachte, fühlte ich mich leicht und frei von allen körperlichen Beschwerden. Ich atmete die reinste Luft und fühlte mich wunderbar gestärkt. Ich hatte die Augen geschlossen, da es mir wohlig und angenehm war, mich ganz der Ruhe hinzugeben.“ (GEJ.11_064,08)

 

Freiheit und ein angenehmes Wohlbefinden sind wie hier die Kennzeichen eines solchen Zustandes außerhalb des eigenen Materiekörpers. Auch die Begegnung mit bereits Verstorbenen, insbesondere mit geliebten Familienangehörigen, kann bei der NTE vorkommen, wie wir oben bereits gesehen haben. Lazarus selbst begegnet seinem Vater, der ihn für kurze Zeit in seine jenseitige Lebenswelt einführt und erläutert ihm einige geistige und jenseitige Grundlagen, die näher zu Gott hinführen (vgl. GEJ.11_064,08-19).

 

Wie schon erwähnt, lassen sich die Schilderungen in der Neuoffenbarung, die von Erfahrungen an der Todesgrenze sprechen, nicht mit denen aus unseren heutigen Tagen vergleichen; und doch gibt es Parallelen und Ähnlichkeiten, die darauf hinweisen, dass der Übergang etwas sehr Heiliges ist, der in einen neuen Bereich hineinführt, der – zunächst einmal – als sehr warm und lichtvoll empfunden wird. Wie es dann weitergeht und was im Jenseits auf den Betreffenden dann zukommt, vermag die NTE nicht zu sagen. Sie bleibt vor der Schwelle stehen. Aus der Neuoffenbarung wissen wir jedoch sehr wohl von unterschiedlichen Entwicklungen jenseits der Schwelle, was aber ein anderes Thema ist und hier nicht vertieft werden kann.

 

4.  Der Tod Jesu


4.1.  Der biblische Befund

 

Abschließend wollen wir uns noch mit dem Sterben und Tod Jesu beschäftigen. Alle vier Evangelien des Neuen Testamentes berichten darüber, wobei die synoptischen Evangelien (Markus, Matthäus, Lukas) übereinstimmend davon sprechen, dass die Todesstunde die sechste Stunde (= 15 Uhr MEZ) war. Beim Sterben selbst erlebt Jesus zunächst tiefe Gottverlassenheit, wobei ihm Worte des 22. Psalms vom Evangelisten in den Mund gelegt werden: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34; Mt 27,47). Die äußere Finsternis, die drei Stunden bis zur neunten Stunde anhält, mag auch ein Hinweis auf die innerseelische Dunkelheit Jesu sein, die er während seines Sterbens erfahren hat. Möglicherweise benötigte sein Sterbeprozess diese Zeit, in der dann der Mensch Jesus von Gottes Gegenwart nichts oder nur sehr wenig wahrnehmen konnte. Das qualvolle Sterben am Kreuz hat zweifellos das bewusste und subjektive Fühlen der göttlichen Gegenwart in den Hintergrund gedrängt. Die Seele Jesu hat ein tiefes Tal durchschritten, auch wenn sicherlich die objektive Präsenz Gottes noch vorhanden war. Wie stark das Empfinden der „Gottesfinsternis“ gewesen sein mag, kann wohl nur derjenige beurteilen, der eine ähnliche Erfahrung selbst gemacht hat. Alle erklärenden Worte sind hier sicherlich unzureichend. Am Ende des Sterbevorganges stand dann jedenfalls – unmittelbar vor der endgültigen Loslösung der Seele – die Aushauchung des Geistes, wie wir ihn auch heutzutage bei Sterbenden beobachten können (Mt 27,50; Mk 10,37). Dieser Moment zeigt klar und unmissverständlich an, dass der Tod jetzt und endgültig eingetreten ist. So sicherlich auch unzweifelhaft bei Jesus. Verbunden ist sein Sterben nach dem Zeugnis der Evangelien mit einem lauten Schreien (Mt; Mk); nach dem Johannesevangelium sagt er: „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30)  Anschließend neigt er sein Haupt und stirbt.


4.2.  Das Sterben Jesu im Licht der Neuoffenbarung

 

In der „Jugend Jesu“ wird uns die geistige Bedeutung des Todes Jesu aus der Sicht der Neuoffenbarung mitgeteilt. So lesen wir dort:

 

Der leibliche Tod Jesu ist die tiefste Herablassung der Gottheit in das Gericht aller Materie und somit die eben dadurch mögliche vollends neue Schaffung der Verhältnisse zwischen Schöpfer und Geschöpf. Durch den Tod Jesu erst wird Gott Selbst vollkommen Mensch und der geschaffene Mensch zu einem aus solcher höchsten göttlichen Gnade neu gezeugten Kinde Gotte, also zu einem Gotte, und kann erst also als Geschöpf seinem Schöpfer als dessen vollendetes Ebenmaß gegenüberstehen und in Diesem seinen Gott, Schöpfer und Vater schauen, sprechen, erkennen und über alles lieben und allein dadurch gewinnen das vollendete ewige, unzerstörbare Leben in Gott, aus Gott und neben Gott. Dadurch ist aber auch des Satans Gewalt (besser: Wille) dahin gebrochen, dass er die vollste Annäherung der Gottheit zu den Menschen, und umgekehrt dieser ebenalso zur Gottheit, nicht mehr verhindern kann. Noch kürzer gesagt: Durch den Tod Jesu kann nun der Mensch vollends mit Gott fraternisieren, und dem Satan ist da kein Zwischentritt mehr möglich; darum es auch im Worte zu den grabbesuchenden Weibern heißt: `Gehet hin und saget es Meinen Brüdern!` – Des Satans Walten in der äußeren Form mag wohl stets noch bemerkbar sein, aber den einmal zerrissenen Vorhang zwischen der Gottheit und den Menschen kann er ewig nicht mehr errichten und so die alte unübersteigbare Kluft zwischen Gott und den Menschen von neuem wiederherstellen.“  (JJ.01_000,07-09)

 

Man muss diese Worte sehr gut lesen, um darin zu erkennen, dass es zuallererst um eine Tat Gottes geht, durch die durch den Tod Jesu die Menschwerdung Gottes abgeschlossen wird. Erst das Durchleiden des schmerzhaften Kreuzestodes stellt Gott vollständig auf die Ebene des Menschen: Er hat damit jeden Vorgang durchlaufen, den auch wir durchlaufen müssen und ist damit ebenfalls wahrer Mensch. Durch diese tiefste Herablassung ist nun eine – geistige – Brücke über die Kluft zwischen Gott und Mensch gebaut worden, die von uns Menschen beschritten und überwunden werden kann. Gott ist in Jesus so tief wie nur irgendwie möglich herabgestiegen, um uns Menschen zu sich (letztlich in die Sphären des Himmels) empor zu holen.

 

Wir wollen aber uns nicht in den Deutungen der Kreuzesbotschaft verlieren. Wir sind und bleiben zunächst einmal Menschen dieser Erde, die zweifelsohne eine Sehnsucht nach Vollendung haben, aber zu viel von der himmlischen Perspektive noch nicht erkennen dürfen, um unseren Weg hier unten noch weiter gehen zu können. So belässt es auch die Neuoffenbarung bei Andeutungen und Ausschnitten eines geistigen Lebens in der Herrlichkeit des Himmels, damit wir uns nicht versteigen.

 

Kommen wir zurück zum Sterben und zur Kreuzeserfahrung Jesu. Swedenborg sieht das Kreuz Jesu als seine letzte Versuchung:

 

Das Leiden am Kreuz war die letzte Versuchung, die der Herr als der größte Prophet auf sich nahm; und es war das Mittel zur Verherrlichung seines Menschlichen, das heißt zur Vereinigung mit dem Göttlichen seines Vaters.“ (WCR 116)

 

Neben zahlreichen Versuchungen, die der Herr während seines Erdenlebens durchmachen musste und von denen das Neue Testament nur wenige nennt, war das Kreuz Jesu somit die letzte große Herausforderung, der er sich stellen musste, um damit die Grundlage zur Erlösung zu schaffen. Es diente für ihn selbst zur Verherrlichung seines menschlichen Wesens, m.a.W. zur Vergöttlichung des Menschen Jesus von Nazareth und damit zum Aufstieg in eine andere Seinsebene. Alles, was der geschaffenen Welt angehörte, hat Jesus somit in einem schmerzvollen Prozess aufgegeben und hinter sich gelassen, um sich dann auf das Neue und Rein-Göttliche einzulassen. Die letzten Worte Jesu am Kreuz „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“ (Lk 23,46) sind dann sicherlich auch – nach erfolgtem Ringen und Kämpfen – der Hinweis, dass die Seele in diesem Augenblick der endgültigen Loslösung fühlen darf, dass „auf der anderen Seite“ ein liebender Gott auf uns wartet und uns auffängt.

 

Wenn Jesus als Mensch diesen Weg bewusst vorausgegangen ist, dann auch deswegen, um uns zu zeigen, dass wir ihm gerade auch in dieser Hinsicht nachfolgen dürfen. Es ist die große und erlösende Erfahrung zugleich, die jedem Sterbenden zuteil wird, dass nach der Aufgabe des Ichs und damit nach der Loslösung aus der Verhaftung im Ego der himmlische Vater da ist und das Leben zur Vollendung führt und bringt.

 

5.  Ausblick


Als letzten Gedanken möchten wir noch eine Meditation anfügen, die uns Menschen, denen das Sterben noch bevorsteht, die Angst nehmen und uns auf den großen Moment behutsam und liebevoll vorbereiten möchte:


Geh nur beruhigt,
dort wartet schon der Engel am Tor.

Geh nur beruhigt,
die Wege drüben sind leicht zu gehen,
weich ist das Gras unter den Füßen,
und klar ist die Luft wie nirgends sonst.

Geh nur beruhigt,
dort wartet schon der Engel am Tor.

Geh nur beruhigt,
drüben ist Liebe und Vergebung der Sünden.
Wunden heilen und Narben verblassen.
Wirf alle Lasten ab,
mach dich leicht.

Geh nur beruhigt,
die Tür steht weit offen,
du wirst schon erwartet.

Geh nur beruhigt,
sag „Vater, ich komme heim!“
Lass los, was du hältst.

Mach dich wehrlos und offen für das Wunder
von Auferstehung und Verwandlung.
Streck deine Hände aus.

Sieh!

Dort kommt Er dir entgegen.5

 

(Mit Genehmigung des Verfassers, 1/012)

 

Fußnoten:
1 Paul, Wie kann ich mit meiner Trauer leben? S.27.
2 Vgl.Hoff (Hg), Wann ist der Mensch tot? S.157f.
3 Jakoby, Geheimnis Sterben. S.25.
4 Bieneck (Hg), Ich habe ins Jenseits geblickt. S.38.
5 Text von Ute Latendorf, http://www.trauer-fundgrube.de/Allgemein/Texte/texte.html.

Literatur:
. Andreas Bienek u.a. (Hg.), Ich habe ins Jenseits geblickt. Nahtoderfahrungen Betroffener und Wege, sie zu verstehen (Neukirchen ³2007).
. Johannes Hoff, Jürgen in der Schmitten (Hg.), Wann ist der Mensch tot? Organverpflanzung und „Hirntod“-Kriterium (Reinbeck 1995).
. Bernhard Jakoby, Geheimnis Sterben. Was wir heute über den Sterbeprozess wissen (Reinbeck 2007).
. Chris Paul, Wie kann ich mit meiner Trauer leben? (Gütersloh 2000).

Neuoffenbarungsschriften:
BM …………………………………………… Bischof Martin
GEJ ………………………………………….. Großes Evangelium Johannes
HH …………………………………………… Himmel und Hölle (Swedenborg)
HiG …………………………………………... Himmelsgaben
JJ …………………………………………….  Jugend Jesu
JS ……………………………………………. Jenseits der Schwelle
WCR …………………………………………. Wahre christliche Religion (Swedenborg)