"14 Gleichnisse Jesu" Teil 4

 

 

7. Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler

WS-A3253.07

(Luk 17,37; Matth. 24,28)


1. Auslegung: Das Priestertum aller Zeiten ist das Aas

71. Kapitel

Die letzte Zeit vor der Wiederkunft Jesu

[GEJ.09_071,01] Sagte Ich: „Es ist wahrlich zum Staunen, wie unverständig ihr noch seid! Ich habe es euch ja doch schon oft genug angedeutet, warum sich da die irdische Zeit nicht ebenso auf ein Haar – wie ihr das meinet – mit Gewissheit bestimmen lässt, wie dass Ich euch wohl genau auf einen Augenblick vorausbestimmen könnte, wann dieser oder jener Berg und seine Felsenspitzen von einem Blitze zerstört werden! Denn da haben wir es mit einer gerichteten Materie zu tun, die in allem ganz von der Macht Meines Willens abhängt; aber bei den Menschen, die einen freien, sich selbst bestimmenden Willen haben, geht das nicht ebenso, wovon Ich euch den Grund schon gar oft gezeigt habe, und ihr werdet ihn endlich doch einmal einsehen und sollet Mir darum auch nicht gleichfort mit den gleichen Fragen kommen!

[GEJ.09_071,02] So ihr aber das Wann und Wo schon durchaus näher bestimmt haben wollet, da merket, was Ich euch nun sagen werde: Wo ein Aas irgend ist, da sammeln sich auch bald die freien Adler.“ (Luk.17,37)

[GEJ.09_071,03] Sagten die Jünger: „O Herr und Meister, da hast Du schon wieder etwas gesagt, was wir nicht verstehen können! Wer ist das Aas, und wer sind die Adler; und wo wird das Aas sein, und von woher werden die freien Adler kommen?“

[GEJ.09_071,04] Sagte Ich: „Sehet euch nun das faule und glaubenslose Pharisäertum an, und ihr sehet das Aas! Ich und alle, die an Mich glauben, Juden und Heiden, aber sind die Adler, die das Aas bald völlig aufzehren werden. Ebenso ist der Seele Sündennacht ein Aas, um das sich das Licht des Lebens [Adler] auszubreiten anfängt und das Aas, wie der Morgen die Nacht, mit allen ihren Nebeln und Truggebilden vernichtet.

[GEJ.09_071,05] Wie aber das nun vor unseren Augen mit dem faulen und wahrheits- und glaubenslosen Judentume geschieht, das sicher ein gar gewaltiges Aas geworden ist, mit dem es nach etwa fünfzig Erdenjahren zu Ende kommen wird, ebenso wird es in einer späteren Zeit mit der Lehre und Kirche stehen, die Ich nun gründe. Diese wird auch zu einem noch ärgeren Aase werden, als nun das Judentum ist, und es werden denn auch die freien Licht- und Lebensadler von allen Seiten über sie herfallen und sie als ein alle Welt verpesten wollendes Aas mit dem Feuer der wahren Liebe und mit der Macht ihres Wahrheitslichtes verzehren. Und es kann das noch eher geschehen, als da nach Mir, wie Ich nun leiblich unter euch bin, zwei volle Tausende von Erdenjahren verrinnen werden, – was Ich euch auch schon bei anderen Gelegenheiten angedeutet habe.

[GEJ.09_071,06] Ihr aber habt damals gemeint und meinet es auch jetzt, warum das von Gott denn also zugelassen werde. Ich aber habe euch dagegen auch schon oft, wie diesmal, gezeigt, dass Ich die Menschen, denen ein völlig freier Wille zu ihrer Selbstbestimmung gegeben ist, mit Meines Willens Allmacht nicht also halten kann und darf wie alle andere Kreatur, klein und groß, in der ganzen Unendlichkeit; denn täte Ich das, so wäre der Mensch kein Mensch, sondern ein durch Meine Allmacht gerichtetes Tier oder eine Pflanze oder ein Stein. Das werdet ihr nun hoffentlich wohl einsehen und begreifen und Mich um Dinge nicht so leicht mehr fragen, die ohnehin für jeden nur einigermaßen helleren Denker klar am Tage liegen.

[GEJ.09_071,07] Wenn aber nun schon in dieser Zeit, in welcher Ich noch im Fleische auf dieser Erde unter euch wandle und lehre, sich etwelche aufgemacht haben, in Meinem Namen umherziehen und zu ihrem materiellen Vorteile auch Meine Lehre ausbreiten, aber darunter auch ihren eigenen unlauteren Samen mengen, aus dem zwischen dem mageren Weizen auf dem Acker des Lebens und dessen Wahrheit bald viel böses Unkraut emporwachsen wird, – wird es dann in den späteren Zeiten zu verwundern sein, so sich in Meinem Namen noch mehrere falsche und unberufene Lehrer und Propheten erheben und mit gewaltiger Rede, mit dem Schwerte in der Hand, zu den Menschen schreien werden: ,Sehet, hier ist Christus!‘ oder ,Dort ist Er!‘?

[GEJ.09_071,08] So aber ihr und später eure rechten und reinen Nachfolger das hören und sehen werdet, so glaubet solchen Schreiern nicht! Denn an ihren Werken werden sie ebenso leicht zu erkennen sein wie die Bäume an ihren Früchten; denn ein guter Baum bringt auch gute Früchte. Auf Dornhecken wachsen keine Trauben und auf den Disteln keine Feigen.

[GEJ.09_071,09] Worin aber das Reich Gottes besteht, und wie und wo es sich im Menschen selbst nur entfaltet, das habe Ich vor euch ehedem zu den Pharisäern gesagt; und so werdet ihr denn wohl auch einsehen und begreifen, dass denen nicht zu glauben sein wird, die da rufen werden: ,Siehe da, siehe dort!‘ Denn wie der Geist inwendig im Menschen ist und alles Leben, Denken, Fühlen und Wissen und Wollen urstämmlich von ihm ausgeht und alle Fibern durchdringt, also ist auch das Reich Gottes als das wahre Lebensreich des Geistes ja auch nur inwendig im Menschen und nicht irgend auswendig oder außerhalb des Menschen.

[GEJ.09_071,10] Wer das in sich recht auffasst und es der vollen, lebendigen Wahrheit nach begreift, dem wird ein falscher Prophet in Ewigkeit nichts anzuhaben imstande sein; wer aber in seinem Gemüte einer Windfahne oder einem Schilfrohre im Wasser gleicht, der wird freilich schwerlich den ruhevollen und wahrheitshellen Hafen des Lebens finden. Darum seid denn auch ihr keine Windfahnen und Schilfrohre, sondern seid wahre Lebensfelsen, denen Stürme und Wasserwogen nichts anhaben können! – Habt ihr dieses nun wohl begriffen?“

[GEJ.09_071,11] Sagten die Jünger: „Ja, Herr und Meister, nun haben wir Dich wohl wieder begriffen, da Du uns die Sache auch lichtvoll und mit verständlichen Worten erläutert hast; aber wenn Du in oft sehr verhüllten Bildern zu uns sprichst, so können wir nicht darum, so wir sagen: ,Herr, wo da, wie also?‘ Wir danken Dir nun aber auch, wie allzeit, für solche Deine uns erteilte Gnade und bitten Dich, dass Du mit uns auch stets die gleiche Geduld haben mögest!“

[GEJ.09_071,12] Sagte Ich: „So Ich wäre, wie da sind die Menschen, da wäre Mir Meine Geduld mit euch wohl schon zu öfteren Malen zu kurz geworden; aber weil Ich Der bin, als den ihr Mich kennet, und bin voll der höchsten Geduld, Langmut, Liebe und Sanftmut, so werdet ihr euch über Meine Geduld auch nie zu beklagen haben. Seid aber auch also geduldig, sanft- und demütig, wie Ich das von ganzem Herzen bin, und liebet euch als wahre Brüder untereinander, wie auch Ich euch liebe und allzeit geliebt habe, so werdet ihr es dadurch aller Welt zeigen, dass ihr wahrhaft Meine Jünger seid! Keiner von euch dünke sich mehr zu sein denn sein Nebenjünger, denn ihr seid alle gleiche Brüder; nur Ich allein bin euer Herr und Meister und werde das auch sein und verbleiben in alle Ewigkeit, gleichwie zu allen Zeiten dieser Welt. Denn so der Vater mit Seinen Kindern keine Geduld hätte, wer anders sollte da mit ihnen noch Geduld haben?

[GEJ.09_071,13] Wir haben nun schon eine geraume Zeit miteinander fürs Gottesreich gewirtschaftet, und ihr habet auch in solcher Zeit so manche Fehler begangen, und nicht einer von euch ist von Mir noch verstoßen worden, sogar der eine nicht, den Ich euch schon zu öfteren Malen bezeichnet habe, und der bis zur Stunde noch ein Teufel ist, der sich noch nicht gebessert hat. Aber Meine Liebe und Geduld hat ihn noch nicht gerichtet; um wieviel weniger wird sie diejenigen richten, die mit aller Liebe und vollstem Glauben an Mir hängen! Darum könnet ihr auch allzeit Meiner höchsten Liebe und Geduld völlig versichert sein; denn wer in Mir bleibt, in dem bleibe auch Ich.“

2. Auslegung: In den Augen der Weltmenschen ist Jesus das Aas

[RB.02_270,01] Hier fragt Mich die neben Mir weilende Maria, was denn dies bedeute und wer diese vielen schwarzen Wesen seien. – Ich aber sage ihr: „Weißt du denn nicht, wie geschrieben steht: ,Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler!‘ Diese suchen in Mir nicht, was du gesucht hast. Sie wissen zwar, dass Ich hier bin, aber für sie bin Ich nicht, was Ich für dich bin, sondern gerade das Gegenteil! Ich bin ihnen ein Widerchrist, ein Oberster aller Ketzerei; daher suchen sie Mich zu umringen und, so es möglich wäre, gänzlich zu verderben. Ich wäre ihnen also ein wohlschmeckendes Aas für den bösen Magen ihres Grimms und ihrer Herrschwut.

 

14. Kapitel

„Wenn sie euch da sagen: ‚Siehe, Er ist in der Wüste!‘, so gehet nicht hinaus, – ‚Siehe, Er ist in der Kammer!‘, so glaubet es nicht!“ (Matthäus 24,26) – „Wo ein Aas ist, da werden sich sammeln die Adler.“ (Matthäus 24,28). 12. Januar 1844 abends

 

[Ste.01_014,01] Schreibet nur hin, was ihr habt!

[Ste.01_014,02] „Wenn sie euch da sagen: ‚Siehe, Er ist in der Wüste!‘, so gehet nicht hinaus, – ‚Siehe, Er ist in den Kammern!‘, so glaubet es nicht!“ – „Wo ein Aas ist, da werden sich sammeln die Adler.“

[Ste.01_014,03] Ihr habt gerade wieder solche Texte gewählt, die das, was wir für unsere Sache brauchen, als ein offenes Schild gerade auf der Nase tragen. Es wäre wirklich hoch zu verwundern, wenn ihr das sogar mit dem bloßen Verstande nicht auf den ersten Blick recht tüchtig wahrnehmen solltet.

[Ste.01_014,04] Was ist denn eine Wüste? Eine Wüste ist ein Boden, da kein Leben ist. Was ist denn aber eine geistige Wüste? Sicher nichts anderes als ebenfalls ein Feld oder ein Boden, auf welchem Ich nicht wandle und daher auch niemals anzutreffen bin.

[Ste.01_014,05] Wo ist aber dieses Feld oder dieser Boden, auf den so häufig hinausgegangen wird, um allda zu finden die Wahrheit und den Grund des Lebens? – Es ist dieser Boden und dieses Feld nichts anderes als die gesamte Literatur! Und demnach könnte dieser Text auch also heißen:

[Ste.01_014,06] „Wenn man zu euch sagen wird: ‚Siehe, die wahre Weisheit, die lebendige Wahrheit ist in den Büchern; leset sie, und ihr werdet sie finden!‘, da sage Ich dann darauf: ‚Gehet nicht hinaus in diese Wüste; denn da ist weder Weisheit noch die innere, lebendige Wahrheit zu finden!‘, sondern Ich sage: ‚Gehet in die Liebe zu Mir und zu eurem Nächsten, suchet in der Tat Mein Reich, so wird euch alles andere in der höchsten Überfülle hinzu gegeben werden!‘“

[Ste.01_014,07] Ich meine, über diesen Text bedarf es wohl keiner weiteren Erklärung mehr, indem seine Bedeutung nur zu sehr mit den Händen zu greifen ist. So leicht aber der erste Text ist, ebenso leicht ist auch der zweite, demzufolge niemand glauben soll, dass Ich in den Kammern sei, wenn man das von Mir aussagt.

[Ste.01_014,08] Was sind denn diese ‚Kammern‘? – Kammern sind in naturmäßiger Sphäre geheime Gemächer, in denen nicht leichtlich etwas Offenkundiges zum Vorschein kommt. Gewöhnlich sind sie die Werkstätten mehr oder weniger politischer Falschmünzerei. So hat auch ein jeder Mensch ein paar Herzkammern und weiß nie, was in ihnen vorgeht. Nun wüßten wir so ziemlich die naturmäßige Bedeutung einer Kammer. Selbst eine sogenannte Rumpelkammer enthält gewöhnlich Gegenstände, die von der Öffentlichkeit abgesperrt sind; und der Besitzer von einer solchen Rumpelkammer weiß oft selbst kaum, was alles für unnützes Zeug in ihr der Vermoderung und dem Schimmel übergeben ist.

[Ste.01_014,09] Was aber ist nach solchem naturmäßigen Vorbild eine geistige Kammer? Ich brauche euch dafür keine eigene Erklärung zu geben, sondern euch bloß einige solcher Kammern anzuführen, und ihr werdet auf der Stelle auf ein Haar wissen, wie ihr damit daran seid. Diese geistigen Kammern heißen: allerlei Konfessionen, Sekten, klösterliche Vereine, Konklaven, allerlei Mystizismen, Konzilien, Konsistorien. Wir haben genug; denn ihr könnt euch selbst noch eine Menge derlei Vereine, Kongregationen und Brüderschaften hinzudenken. Diese passen alle hierher.

[Ste.01_014,10] Demnach könnte der Text so heißen: „Wenn man euch sagen wird: ‚Das Reich Gottes oder die lebendige Wahrheit oder die reine Lehre Christi ist in dieser oder jener Konfession oder Sekte‘, usw., oder: ‚Das ist die alleinseligmachende Kammer!‘, so glaubet es nicht; denn der Herr ist nur bei denen, die Ihn lieben im Herzen und in Werken!

[Ste.01_014,11] Wo zwei oder drei in Meinem Namen oder in Meiner Liebe (es versteht sich von selbst) tätig beisammen sind, da bin Ich mitten unter ihnen; aber da sicher nicht, wo man sich statt über Mein Wort und Meine Liebe nur über weltliche, militärische und Geldangelegenheiten beratet, – wo diejenigen, die sich Meine Priester nennen, auch Festungsbau, Maschinenwesen und Eisenbahnen projektieren.

[Ste.01_014,12] Auch hier, meine Ich wieder, dass der Text so klar gegeben ist, dass ihn wohl auch jedermann mit den Händen greifen kann, wie er genau für unsere Sache passt, in der es ebenfalls nicht genügt, dass man nur in ihr Geheimnis eingeht wie in eine Kammer, sondern dass man danach tätig ist.

[Ste.01_014,13] Das ist alles richtig. Wir haben aber noch einen dritten Text. Wie werden wir diesen hierherbringen, dass er auch passe für unsere Sache? Das wird noch leichter gehen, als wie mit den zwei früheren!

[Ste.01_014,14] „Wo ein Aas ist, da sammeln sich die Adler.“

[Ste.01_014,15] Wer ist denn das ‚Aas‘ nun auf dieser Welt, vor dem sie sich ihre Nüstern verstopft und es sie ekelt, wenn man von diesem Aase spricht? Dieses Aas habe Ich leider die Ehre Selbst zu sein!

[Ste.01_014,16] Wer sind denn die freilich wohl etwas selten gewordenen ‚Adler‘? – Das sind die wenigen ganzen Liebhaber Dessen, der euch hier dieses kundgibt! Diese wenigen Liebhaber haben ein scharfes Gesicht und eine scharfe Nase; oder sie haben ein tiefes lebendiges Gefühl und demzufolge eine untrügliche Urteilskraft, was zusammengenommen ist der lebendige Glaube.

[Ste.01_014,17] Warum versammeln sich denn die Adler, wo ein Aas ist? Weil ihnen ihr Instinktgefühl sagt: „Da gibt's für uns eine lebendige Kost!“ Darum fliegen sie denn auch hin und sättigen sich zur Übergenüge.

[Ste.01_014,18] Also wissen es auch Meine wahrhaftigen Verehrer und Liebhaber, dass Ich ein wahres Brot des ewigen Lebens bin, und dieses Brot ist Meine Liebe; diese genießen sie in vollen Zügen und ernähren sich dadurch zu einem Leben, das ewig nimmer von ihnen genommen wird.

[Ste.01_014,19] Also weiß es der Hungrige, dass er essen muss vom wahren Brote, wenn er gesättigt werden will. Wird er aber auch satt, so ihr ihm statt des Brotes ein Kochbuch zu lesen geben möchtet?

[Ste.01_014,20] Oder was würde ein Adler in kurzer Zeit für ein Gesicht machen, so ihr ihn fangen und dann einsperren möchtet in eine Rumpelkammer? Wird er sich wohl sättigen an den verschimmelten und vermoderten Gegenständen? Sicher nicht; er wird darin schwach werden und der Tod wird über ihn kommen!

[Ste.01_014,21] Also gehet auch ihr nicht in die Kammern, darinnen wohl ein Aas des Todes, ein Aas Balaams, ein Aas des Heiden- und Götzentums modert, sondern flieget mit den Adlern hinauf in die Höhe, und ihr werdet leicht gewahr, wo das Aas ist, das euch Leben bringt!

[Ste.01_014,22] Die Höhe ist die reine Erkenntnis Meines Wortes, und das Aas ist das lebendige Wort, das der Welt zum Ekel geworden ist, und die Welt es flieht wie die Pest, wo sie dasselbe wittert. Wollt ihr das erfahren, so fangt nur an, mit einem Weltmenschen, Nummer eins, über die Bibel und dann, Nummer zwei, gar über die Möglichkeit eines inneren, lebendigen Wortes aus Mir zu reden, so wird er euch im besten Falle fürs Narrenhaus zeitig finden; oder wenn es etwas schlimmer geht, so wird er euch sogleich als staatsgefährliche Narren publik machen, und es wird bei euch hoch an der Zeit sein, sich aus seiner Sphäre zu begeben.

[Ste.01_014,23] Aus dem aber geht doch etwa klar hervor, wer nun das ‚Aas‘ ist und wer die ‚Adler‘, und was die ‚Kammern‘, und was die ‚Wüste‘!

[Ste.01_014,24] Gehet daher auch ihr weder in die Wüste noch in die Kammern, sondern suchet in der Freiheit eures Geistes das Aas, so werdet ihr das wahre Leben finden!

[Ste.01_014,25] Ich meine, das wird auch wieder klar sein; aber darum dennoch das nächste Mal wieder um eine Zentralsonne weiter!


8. Das Gleichnis vom unfruchtbaren Feigenbaum

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(Luk 13,6 – 9)

[JJ.01_152,16] [Jesus zu Cyrenius:] Aber den Feigenbaum bei den Kindern, den Ich schon zu den Zeiten Abrahams pflanzte in [Jeru-]Salem – einer Stadt, die Ich im Melchisedek mit Meiner eignen Hand erbauet habe –, werde Ich verfluchen, darum er nichts als Blätter trägt!

[JJ.01_152,17] Wahrlich, Mich hat es noch allzeit gehungert! Viele Male ließ Ich den Baum in Salem durch gute Gärtner düngen, und dennoch trug er Mir keine Frucht!

[JJ.01_152,18] Darum aber solle auch, ehe ein Säkulum verrinnen wird, die Stadt, die Meine Hand für Meine Kinder erbauet hat, durch euch Fremdlinge [Römer] fallen; deines Bruders Sohn [Titus = Sohn des Augustus] solle das Schwert gegen [Jeru-]Salem ergreifen!

[RB.01_096,02] Denn es gibt Menschen, die unmittelbar aus Mir hervorgegangen sind, daneben aber auch andere Menschen, die mittelbar von Mir geschaffen worden sind. Die unmittelbar aus Mir Hervorgegangenen sind die eigentlichen Gotteskinder, in deren Herzen denn auch die reine Gottesliebe wohnt und aus ihr heraus die wahre Erkenntnis Gottes. Die mittelbar Geschaffenen aber sind Kinder der Welt, gezeugt vom Satan aus der Hölle. Diese letzteren sind von Mir aber auch berufen zur wahren Erkenntnis und zur wahren reinen Liebe. Ihretwegen habe Ich hauptsächlich das Werk der großen Erlösung vollbracht. Eben dieser Menschen willen aber geschieht nun auch solches in der Welt und wird hier in Meinen Himmeln beraten. Und da meine Ich, dass in deinem Lobe noch etwas hätte angeführt werden können, das gewisserart einen Ausnahmezustand darstellt, bei dem Meine allgemeine Erschaffungs- und Führungsweise der Menschen einige nicht unbedeutende Veränderungen notwendig macht.

[RB.01_096,03] Ich werde dir davon einige Fälle vorstellen, und du wirst dann darüber urteilen. Und so höre:

[RB.01_096,04] Der Besitzer eines Gartens hat eine Menge große und kleine, edle und unedle Fruchtbäume gesetzt. Alle bekamen ein gleich gutes Erdreich, und womöglich die unedlen beinahe noch ein besseres als die edlen. Alle wurden mit großem Fleiße gepflegt, und es zeigte sich, dass manche unedlen viel üppiger wuchsen als die edlen. Ein solcher Wildling fiel wegen seiner Üppigkeit besonders auf, so dass der Gärtner ihm eine volle Hauptaufmerksamkeit zu schenken anfing; er pflegte ihn und erwies ihm alle Liebe. Aber es verstrich ein Jahr ums andere; während alle anderen Bäume Früchte brachten nach ihrer Art, blieb dieser stumm und brachte nichts als Blätter zum Vorschein. Da ward der Gärtner als Herr des Gartens endlich unwillig und sprach zu seinen Knechten: ,Ihr wisset, wie sehr ich diesen Wildling viele Jahre hindurch gepflegt habe, aber er hat mir noch keine Früchte gebracht; daher grabt ihn mit der Wurzel aus, zerhaut ihn in Stücke und werft ihn ins Feuer! Denn mich ärgert nun gewaltig dieser schale Baum! An seine Stelle aber setzet mir eine Weide zum Zeugnis, dass hier ein unfruchtbarer Baum jahrelang meine Liebe und Geduld mißbraucht hat!‘ – Da sagen die Knechte: ,Herr, lasse ihn noch ein Jahr; wir werden ihm einen Hauptast nehmen und werden ihm eine andere Erde geben. Wird er aber auch dann keine Früchte bringen, so soll ihm geschehen nach deinen Worten!‘ Der Herr des Gartens belobt die Geduld der Gärtnerknechte und lässt sie tun nach ihrer guten Meinung. Aber nach einem, nach zwei und endlich sogar nach drei Jahren bringt der Baum noch immer keine Früchte. Er setzt wohl Blüten an, dass man meinen sollte, der Baum werde endlich denn doch einmal mit seiner Frucht des Gärtners Mühe lohnen. Aber siehe, es kommt dennoch keine Frucht zum Vorschein.

[RB.01_096,05] Was meinst du, geliebte Helena, soll nun mit diesem schalen Baume geschehen? Soll Meine Androhung an ihm vollzogen werden oder nicht? Denn ernstlich gesagt, der Baum ist dem Gärtner schon längst über die Maßen zuwider geworden.

[RB.01_096,06] Unter dem ,Baum‘ aber verstehe jene Menschen, die da sind der Welt Kinder und von Mir alle Pflege und Wartung bekommen, aber dennoch außer Blättern und trügerischen Blüten keine Früchte der Liebe, der Demut und des Gehorsams bringen, indem ihr Herz und Sinn in aller Welt und im Wohlleben des Leibes begraben ist. Also sage Mir, was soll mit solchen Menschenbäumen geschehen, die da weder gute noch irgend arge Früchte zum Vorschein bringen, sondern zwischen den guten und schlechten Fruchtbäumen eine Art Schmarotzerbäume bilden, die bloß genießen, aber nie etwas Ersprießliches tun wollen? Wenn sie es auch scheinen, so ist aber doch alles ein Trug, denn ihr Sinn ist, wie ihre Liebe, geile Genuss-Sucht.“


 

9. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter

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(Luk 10,25 –37)


[GEJ.08_063,01] Es befand sich aber unter denen, die mit den etlichen siebzig Jüngern zu Mir nach Bethanien gekommen waren, auch ein Schriftgelehrter. Diesen verdrossen Meine Worte.

[GEJ.08_063,02] Er trat darum zu Mir hin, in der Absicht, Mich zu versuchen, und sagte darum (der Schriftgelehrte): „Meister, ich habe deinen Worten entnommen, dass du in der Schrift wohlbewandert bist und ein rechtes Urteil aussprichst; sage denn nun auch mir, was ich tun soll, um gleich deinen Jüngern selig zu werden!“

[GEJ.08_063,03] Sagte Ich: „Wie stehet es denn im Gesetze Gottes geschrieben, und wie liesest du, was geschrieben ist, als ein Schriftgelehrter?“

[GEJ.08_063,04] Sagte der Schriftgelehrte: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele, aus allen Kräften und aus dem ganzen Gemüte und deinen Nächsten wie dich selbst!“

[GEJ.08_063,05] Sagte darauf Ich zum Schriftgelehrten: „Du hast völlig recht geantwortet. Tue das, so wirst du leben! Denn das Rechte wissen allein gibt und bringt niemandem das ewige Leben. Es ist das Wissen allerdings nötig, weil man ohne dieses als ein Blinder ohne Führer am Wege stünde; aber so der Blinde sehend geworden ist durch die Wissenschaft, aber dann auf dem Wege nicht fortwandeln will, so nützt ihm sein Licht wenig oder nichts. Wer da nicht weiß, was er tun soll und es sonach auch nicht tun kann, der hat auch keine Sünde, so er das Rechte nicht tut; wer aber das Rechte weiß und nicht tut, obgleich er weiß, dass es ein Rechtes ist, der hat die Sünde!

[GEJ.08_063,06] Hierauf sah Mich der Schriftgelehrte groß an und sagte, sich vor Mir gleichsam rechtfertigen wollend: „Meister, ich erkenne, dass du in der Wahrheit wohlerfahren bist, und weiß auch, dass es zum wahren, Gott wohlgefälligen Leben nicht genügt, die Gesetze nur allein zu kennen, sondern danach zu leben und zu handeln! Gott über alles lieben kann man sicher nur dadurch, dass man alle Seine Gebote genau befolgt; aber so man den Nächsten wie sich selbst lieben soll, da muss man zuvor ja doch wissen, wer denn so ganz eigentlich der Nächste ist, den man wie sich selbst lieben soll. Wen soll ich als meinen Nächsten ansehen?“

[GEJ.08_063,07] Darauf sagte Ich: „Das ist wahrlich zum Staunen, dass du als ein Schriftgelehrter nicht weißt, wer dein Nächster ist. Ich will dir ein Geschichtlein erzählen, aus dem soll dir klar werden, wen du als einen Nächsten anzusehen hast.

[GEJ.08_063,08] Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho in Geschäften, fiel auf dem Wege aber unter die Räuber. Diese zogen ihn bis auf die Haut aus, schlugen ihn darauf beinahe zu Tode, gingen mit ihrem Raube davon und ließen den Menschen halbtot liegen.

[GEJ.08_063,09] Es begab sich aber zufällig, dass auch ein Priester aus Jerusalem dieselbe Straße hinabzog. Er sah den Menschen, den die Räuber übel zugerichtet hatten, am Wege liegen, ging aber ganz unbekümmert vorüber. Desgleichen kam bald nach dem Priester auch ein Levite und tat wie der Priester.

[GEJ.08_063,10] Bald darauf kam auch ein Samariter an dieselbe Stelle, und als er den Menschen da liegen sah, da jammerte ihn des Halberschlagenen Not. Er ging zu ihm, verband ihm seine Wunden, goß Öl und Wein hinein, hob ihn auf sein Lasttier und brachte ihn also in eine Herberge und pflegte ihn den Tag und die Nacht hindurch selbst. Als er am nächsten Tage sah, dass es mit dem Verwundeten bei rechter Pflege wohl besser werde, so berief er den Wirt, gab ihm zwei Groschen und sagte zu ihm: ,Da ich dringende Geschäfte habe, so reise ich nun ab; du aber pflege seiner, bis ich in etlichen Tagen wiederkommen werde! Was du mehr brauchen solltest, das werde ich dir dann getreu ersetzen!‘ Dann reiste er ab, und als er nach einigen Tagen wiederkehrte, fand er den Menschen, über den er sich erbarmt hatte, gut gepflegt und soweit geheilt, dass er ihn nach Jerusalem zurückbringen konnte, bezahlte dem Wirte nochmals zwei Groschen und bekleidete den Geheilten noch obendarauf.

[GEJ.08_063,11] Was meinst du nun? Welcher von den dreien war dem wohl der Nächste, der unter die Räuber und Mörder gefallen ist?“

[GEJ.08_063,12] Da sagte der Schriftgelehrte: „Offenbar der, der ihm die Barmherzigkeit erwiesen hat!“

[GEJ.08_063,13] Sagte Ich: „Gut, so gehe du hin und tue desgleichen! Ein jeder Mensch, der in irgend etwas deiner Hilfe bedarf, ist dein Nächster; und so du ihm hilfst, da bist auch du sein Nächster. Und so du ihm geholfen hast, da hast du ihn als deinen Nächsten auch geliebt wie dich selbst; denn die wahre Nächstenliebe besteht eben darin, dass ihr euren Nebenmenschen alles das tuet, was ihr vernünftigerweise wünschen könnet, dass sie im Notfalle auch euch tun möchten. – Weißt du nun, wer dein Nächster ist?“

[GEJ.08_063,14] Hierauf getraute sich der Schriftgelehrte Mich um nichts Weiteres mehr zu fragen, zog sich zurück und sagte zu seinen Gefährten: „Wahrlich, in diesem Galiläer steckt ein mächtiger Wahrheitsgeist! Es lohnt sich der Mühe, ihn zu hören!“

[GEJ.08_063,15] Darauf aber sagte einer von den Jüngern: „Noch mehr aber lohnt sich's der Mühe, also zu leben und zu handeln, wie Er lehrt; denn Er ist der Herr und hat alle Macht in Sich über Leben und Tod. Wer Seine Lehre tut, der wird von Ihm das Leben überkommen!“


104. Kapitel

Worin besteht die eigentliche wahre Nächstenliebe?

 

[GS.02_104,01] Um gründlich zu wissen, worin die eigentliche wahre „Nächstenliebe“ besteht, muss man zuvor wissen und gründlich verstehen, wer so ganz eigentlich ein Nächster ist. Darin liegt der Hauptknoten begraben. Man wird sagen: Woher sollte man das nehmen? Denn der Herr Selbst, als der alleinige Aufsteller der Nächstenliebe, hat da nirgends nähere Bestimmungen gemacht. Als Ihn die Schriftgelehrten fragten, wer der Nächste sei, da zeigte Er ihnen bloß in einem Gleichnisse, wer ein Nächster zum bekannten verunglückten Samaritan war, nämlich ein Samaritan selbst, der ihn in die Herberge brachte und zuvor Öl und Wein in seine Wunden goss.

[GS.02_104,02] Aus dem aber geht hervor, dass nur unter gewissen Umständen die verunglückten Menschen „Nächste“ an ihren Wohltätern haben und sind somit auch umgekehrt die „Nächsten“ zu ihren Wohltätern. Wenn es also nur unter diesen Umständen „Nächste“ gibt, was für Nächste haben dann die gewöhnlichen Menschen, welche weder selbst ein Unglück zu bestehen haben, noch irgend einmal in die Lage kommen, einem Verunglückten beizuspringen? Gibt es denn keinen allgemeineren Text, der die Nächsten näher bezeichnet? Denn bei diesem ist nur die höchste Not und auf der andern Seite eine große Wohlhabenheit, gepaart mit einem guten Herzen, als Nächstentum einander gegenübergestellt.

[GS.02_104,03] Wir wollen daher sehen, ob sich nicht solche ausgedehntere Texte vorfinden. Hier wäre einer, und dieser lautet also:

[GS.02_104,04] „Segnet, die euch fluchen, und tuet Gutes euren Feinden!“ – Das wäre ein Text, aus welchem klar zu ersehen ist, dass der Herr die Nächstenliebe sehr weit ausgedehnt hat, indem Er sogar die Feinde und Flucher nicht ausgenommen hat.

[GS.02_104,05] Ferner lautet ein anderer Text: „Machet euch Freunde mit dem ungerechten Mammon“. Was will der Herr damit anzeigen? Nichts anderes, als dass der Mensch keine Gelegenheit vorübergehen lassen soll, um dem Nächsten Gutes zu tun. Er gestattet sogar, in äußerer Hinsicht genommen, eine offenbare Veruntreuung am Gute eines Reichen, wenn dadurch, freilich nur im höchsten Notfalle, vielen oder wenigstens mehreren Bedürftigen geholfen werden kann.

[GS.02_104,06] Weiter finden wir einen Text, wo der Herr spricht: „Was ihr immer einem aus diesen Armen Gutes tut in Meinem Namen, das habt ihr Mir getan“. – Diesen Satz bestätigt der Herr bei der Darstellung des „jüngsten“ oder geistigen Gerichtes, da Er zu den Auserwählten spricht: „Ich kam nackt, hungrig, durstig, krank, gefangen und ohne Dach und Fach zu euch, und ihr habt Mich aufgenommen, gepflegt, bekleidet, gesättigt und getränkt“ – und desgleichen zu den Verworfenen, wie sie solches nicht getan haben. Die Guten entschuldigen sich, als hätten sie solches nie getan, und die Schlechten, als möchten sie solches wohl getan haben, so Er zu ihnen gekommen wäre. Und der Herr deutet dann deutlich an:

[GS.02_104,07] „Was immer ihr den Armen in Meinem Namen getan oder nicht getan habt, das galt Mir.“ –

[GS.02_104,08] Aus diesem Texte wird die eigentliche Nächstenliebe schon ziemlich klar herausgehoben, und es wird gezeigt, wer demnach die eigentlichen Nächsten sind.

[GS.02_104,09] Wir wollen aber noch einen Text betrachten. Dieser lautet also: „So ihr Gastmähler bereitet, da ladet nicht solche dazu, die es euch mit einem Gegengastmahle vergelten können. Dafür werdet ihr keinen Lohn im Himmel haben, denn solchen habt ihr auf der Welt empfangen. Ladet aber Dürftige, Lahme, Bresthafte, in jeder Hinsicht arme Menschen, die es euch nicht wieder vergelten können, so werdet ihr euren Lohn im Himmel haben. Also leihet auch denen euer Geld, die es euch nicht wieder zurückerstatten können, so werdet ihr damit für den Himmel wuchern. Leihet ihr aber euer Geld denen, die es euch zurückerstatten können samt Interessen, so habt ihr euren Lohn dahin. Wenn ihr Almosen gebet, da tut solches im Stillen, und eure rechte Hand soll nicht wissen, was die linke tut. Und euer Vater im Himmel, der im Verborgenen sieht, wird euch darum segnen und belohnen im Himmel!“

[GS.02_104,10] Ich meine, aus diesen Texten sollte man schon fast mit den Händen greifen, wer vom Herrn aus als der eigentliche Nächste bezeichnet ist. Wir wollen darum sehen, was für ein Sinn dahintersteckt.

[GS.02_104,11] Überall sehen wir vom Herrn aus nur Arme den Wohlhabenden gegenübergestellt. Was folgt daraus? Nichts anderes, als dass die Armen den Wohlhabenden gegenüber als die eigentlichen Nächsten vom Herrn aus bezeichnet und gestellt sind, und nicht Reiche gegen Reiche und Arme gegen Arme. Reiche gegen Reiche können sich nur dann als Nächste betrachten, wenn sie sich zu gleich guten, Gott wohlgefälligen Zwecken vereinen. Arme aber sind sich ebenfalls nur dann als Nächste gegenüberstehend, so sie sich ebenfalls nach Möglichkeit in der Geduld und in der Liebe zum Herrn wie unter sich brüderlich vereinen.

[GS.02_104,12] Der erste Grad der Nächstenliebe bleibt demnach immer zwischen den Wohlhabenden und Armen, und zwischen den Starken und Schwachen, und steht in gleichem Verhältnisse mit dem zwischen Eltern und Kindern.

[GS.02_104,13] Warum aber sollen die Armen gegenüber den Wohlhabenden, die Schwachen gegenüber den Starken, wie die Kinder gegenüber den Eltern als die Allernächsten betrachtet und behandelt werden? Aus keinem andern als aus folgendem ganz einfachen Grunde, weil der Herr, als zu einem jeden Menschen der Allernächste, Sich nach Seinem eigenen Ausspruche vorzugsweise in den Armen und Schwachen wie in den Kindern auf dieser Welt repräsentiert. Denn Er spricht ja Selbst: „Was immer ihr den Armen tut, das habt ihr Mir getan!“ – Werdet ihr Mich schon nicht immer wesenhaft persönlich unter euch haben, so werdet ihr aber dennoch allezeit Arme als gewisserart (wollte der Herr sagen) Meine vollkommenen Repräsentanten unter euch haben.

[GS.02_104,14] Also spricht der Herr auch von einem Kinde: „Wer ein solches Kind in Meinem Namen aufnimmt, der nimmt Mich auf“.

[GS.02_104,15] Aus allem dem geht aber hervor, dass die Menschen gegenseitig sich nach dem Grade mehr oder weniger als „Nächste“ zu betrachten haben, je mehr oder weniger sie erfüllt sind vom Geiste des Herrn. Der Herr aber spendet seinen Geist nicht den Reichen der Welt, sondern allezeit nur den Armen, Schwachen und weltlich Unmündigen. Der Arme ist dadurch schon mehr und mehr vom Geiste des Herrn erfüllt, weil er ein Armer ist, denn die Armut ist ja ein Hauptanteil des Geistes des Herrn.

[GS.02_104,16] Wer arm ist, hat in seiner Armut Ähnlichkeit mit dem Herrn, während der Reiche keine hat. Diese kennt der Herr nicht. Aber die Armen kennt Er. Daher sollen die Armen den Reichen die Nächsten sein, zu denen sie, die Reichen, kommen müssen, wenn sie sich dem Herrn nahen wollen; denn die Reichen können sich unmöglich als die dem Herrn Nächsten betrachten. Der Herr Selbst hat bei der Erzählung vom reichen Prasser die unendliche Kluft zwischen Ihm und ihnen gezeigt. Nur den armen Lazarus stellt Er in den Schoß Abrahams, also als Ihm, dem Herrn, am nächsten.

[GS.02_104,17] So zeigte der Herr auch bei der Gelegenheit des reichen Jünglings, wer zuvor seine Nächsten sein sollten, bevor er wieder kommen möchte zum Herrn und Ihm folgen. Und allenthalben stellt der Herr so die Armen wie die Kinder als Ihm die Nächsten oder auch als Seine förmlichen Repräsentanten dar. Diese soll der Wohlhabende lieben wie sich selbst, nicht aber auch zugleich die seinesgleichen. Denn darum sprach der Herr, dass dieses Gebot der Nächstenliebe dem ersten gleich ist, womit Er nichts anderes sagen wollte als: Was ihr den Armen tuet, das tut ihr Mir!

[GS.02_104,18] Dass sich aber die Reichen nicht gegenseitig als die Nächsten betrachten sollen, erhellt daraus, wie der Herr spricht, dass die Reichen nicht wieder Reiche zu Gaste laden und ihr Geld nicht wieder den Reichen leihen sollen, wie auch daraus, dass Er dem reichen Jünglinge nicht geboten hat, seine Güter an die Reichen, sondern an die Armen zu verteilen.

[GS.02_104,19] Wenn aber irgendein Reicher sagen möchte: Meine Allernächsten sind doch meine Kinder, da sage ich: Mitnichten! Denn der Herr nahm nur ein armes Kind, das am Wege bettelte, auf und sprach: wer ein solches Kind in Meinem Namen aufnimmt, der nimmt Mich auf! Mit Kindern der Reichen hat der Herr nie etwas zu tun gehabt.

[GS.02_104,20] Aus dem Grunde begeht der Reiche, wenn er ängstlich für seine Kinder sorgt, eine gar starke Sünde gegen die Nächstenliebe. Der Reiche sorgt dadurch für seine Kinder am besten, wenn er für eine dem Herrn wohlgefällige Erziehung sorgt und sein Vermögen nicht für seine Kinder spart, sondern es zum allergrößten Teile den Armen zuwendet. Tut er das, so wird der Herr seine Kinder ergreifen und sie führen den besten Weg. Tut er das nicht, so wendet der Herr Sein Angesicht weg von Ihnen, zieht Seine Hände zurück und überlässt schon ihre zarteste Jugend den Händen der Welt, das heißt aber den Händen des Teufels, damit dann aus ihnen Weltkinder, Weltmenschen, was so viel sagen will als selbst Teufel werden.

[GS.02_104,21] Wüsstet ihr, wie bis in den untersten, dritten Grad der Hölle alle die Stammkapitalien und besonders die Fideikommisse [= unveräußerliches und unteilbares Vermögen einer Familie] vom Herrn auf das Erschrecklichste verflucht sind, ihr würdet da vor Schreck und Angst zur Härte eines Diamanten erstarren!

[GS.02_104,22] Daher sollen ja alle Reichen, wo immer sie sein mögen, dieses soviel als möglich beherzigen, ihr Herz soviel als möglich von ihren Reichtümern abwenden und damit, nämlich mit den Reichtümern, soviel als möglich Gutes tun, wollen sie der ewigen Selchküche entgehen. Denn es gibt jenseits eine zweifache Selchanstalt, eine langwierige in düsteren Örtern, von denen aus nur unbegreiflich eingeschmälerte Pfade führen, auf denen es den Wanderern nicht viel besser ergeht wie den Kamelen vor den Nadelöhren. Es gibt aber auch eine ewige Selchanstalt, aus der meines Wissens bis jetzt noch keine Pfade führen. – Das also zur Beherzigung für Reiche wie auch für jedermann, der irgend so viel besitzt, dass er den Armen noch immer etwas tun kann. Daraus aber ist nun dargetan, worin die eigentliche Nächstenliebe besteht. Also auch wird sie hier in der Sonne gelehrt und fortwährend ausgeübt. –


[GEJ.06_206,21] Hierauf wandte er sich zu Mir und sprach: „Meister, du hast recht geantwortet; aber da man schon den Nächsten wie sich selbst lieben soll, so fragt es sich denn, wer so ganz eigentlich mein Nächster ist.“

[GEJ.06_206,22] Sagte Ich: „Zuerst ein jeder Mensch, der irgend möglich deiner Hilfe bedarf, und zum zweiten dann auch jeder Fremde, ob er auch ein Heide wäre vom Ende der Welt her. Ich will euch aber ein Gleichnis geben, nach dem ihr dann urteilen möget, wer ein ganz rechter Nächster zu euch ist.“

[GEJ.06_206,23] Hierauf erzählte Ich ihnen allen das Gleichnis vom barmherzigen Samariter und fragte dann den Fragesteller: „Wer war da des Halberschlagenen Nächster?“

[GEJ.06_206,24] Sagte er: „Der ihm die Wohltat erwies!“

[GEJ.06_206,25] Sagte Ich: „Gut, so gehe hin und tue desgleichen, so wirst du Gott ein höchst angenehmes und wahres Opfer darbringen, das besser sein wird als eure Brand- und Schlachtopfer!“

[GEJ.06_206,26] Hierauf erwiderte keiner der verkleideten Pharisäern mehr etwas; alle andern aber lobten Gott, dass Er dem Menschen solch eine Weisheit gegeben hatte.


38. Predigt - Am 12. Trinitatissonntage

Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter


[PH.01_038] Luk.10,25-37: Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte Jesus und sprach: „Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?“ Jesus aber sprach zu ihm: „Wie stehet im Gesetz geschrieben? Wie liesest du?“ Er antwortete und sprach: „Du sollst Gott, deinen Herrn, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüte, und deinen Nächsten wie dich selbst!“ Er aber sprach zu ihm: „Du hast recht geantwortet; tue das, so wirst du leben!“ Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesu: „Wer ist denn mein Nächster?“ Da antwortete Jesus und sprach: „Es war ein Mensch, der ging von Jerusalem hinab gen Jericho und fiel unter die Mörder. Die zogen ihn aus, schlugen ihn, gingen davon und ließen ihn halbtot liegen. Es begab sich aber ungefähr, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und da er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch ein Levit, da er kam zu der Stätte und sah ihn, ging er vorüber. Ein Samariter aber reiste und kam dahin; und da er ihn sah, jammerte ihn sein, ging zu ihm, verband ihm seine Wunden, goss drein Öl und Wein, hob ihn auf sein Tier, führte ihn in die Herberge und pflegte sein. Des andern Tages reiste er, zog heraus zwei Groschen, gab sie dem Wirte und sprach zu ihm: ,Pflege sein; und so du was mehr wirst dartun, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme‘. Welcher dünkt dich, der unter diesen dreien der Nächste sei gewesen dem, der unter die Mörder gefallen war?“ Er sprach: „Der die Barmherzigkeit an ihm tat.“ Da sprach Jesus zu ihm: „So gehe hin und tue desgleichen!“

10. April 1872

[PH.01_038,01] Diese Verse erzählen euch das Gleichnis vom Samariter. Mit diesem handgreiflichen Bild wollte Ich dem Pharisäer auf seine Frage: „Wer ist mein Nächster?“ zeigen, wer dieser sei, und wie das zweite Liebesgebot – ,Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!‘ – im geistigen Sinn verstanden werden solle.

[PH.01_038,02] Die Menschen machten und machen zu allen Zeiten zwischen Menschen-, Bruder- und Nächstenliebe, die alle in eine Liebe zusammenfließen, einen großen Unterschied, worüber Ich euch vor längerer Zeit ein ausführliches Wort gegeben habe, welches hier eingeschaltet werden könnte, wenn keine andere Erklärung möglich wäre.

[PH.01_038,03] Da man aber in jenen Zeiten, als Ich dieses Gleichnis gab, durch die Unterschiede der Stände oder Kasten, wie auch durch die Ansichten der Menschen weit von dem entfernt war, was Ich unter ,Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!‘ verstanden haben wollte – was auch aus der Antwort des Pharisäers hervorgeht, welcher erst fragen musste: „Wer ist denn eigentlich mein Nächster?“ –, so war es ganz natürlich, dass Ich aus diesen triftigen Gründen ein Beispiel aufstellen musste, um zu zeigen, wer eigentlich der Nächste jedes Menschen sei. Es besteht in allen künftigen Zeiten über den Begriff ,Nächster‘ und über die Ausübung der Liebe zum Nächsten kein Zweifel mehr, denn mit einem Wohlwollen allein, oder mit frommen Wünschen ist dem Nächsten, der Menschheit und Mir am wenigsten geholfen.

[PH.01_038,04] Soviel schon über dieses zweite Liebesgebot geschrieben und geredet wurde, so haben doch die wenigsten Menschen eigentlich verstanden, was die Nächstenliebe und wer der Nächste ist.

[PH.01_038,05] Der allgemeine Schluss ist gleich gemacht: „Die ganze Menschheit ist mein Nächster, und durch das Gesetz, dass ich den Nächsten lieben soll wie mich selbst, ist auch der Maßstab der Liebe bestimmt!“

[PH.01_038,06] Ganz recht, sage Ich; aber jetzt kommt es darauf an: „Inwiefern ist die Menschheit oder jeder Mensch mein Nächster, und was heißt: sich selbst – aber wohlgemerkt – im gerechten Maß lieben?“

[PH.01_038,07] In diesen beiden Begriffen liegt der Schlüssel zu Meinem Reich, weshalb Ich unter allen erdenklichen Geboten gerade dieses Gebot der Nächstenliebe zum zweiten Hauptgebot nicht allein für eure Erde, sondern für alle Welten und selbst für das große Geisterreich gemacht habe.

[PH.01_038,08] Es ist vor allem deshalb das Gebot der Liebe, weil es ohne Liebe keine Wärme, ohne Wärme kein Leben, ohne Leben keine Schöpfung – was immer für eine denkbare – gibt. Die Liebe ist der erste Trieb, welcher zur Tätigkeit anspornt; die Tätigkeit erzeugt entsprechend Wärme. Die Wärme – Ausdruck für Bewegung, Vibrieren – zeigt sich als Leben, und Leben ist Entstehen, Bestehen und Vergehen, als sichtbares Zeichen des Lebens oder der Schöpfung in ihrer ganzen Ausdehnung.

[PH.01_038,09] Die Liebe adelt alle Wesen, die sie fühlen und gegen andere ausüben. Ohne Liebe gäbe es keinen geistigen Maßstab der Handlungen, und ohne Liebe bestände weder Ich, noch etwas Geschaffenes, das ein Bleibendes werden könnte.

[PH.01_038,10] Nun, wie die Liebe in Mir Meine Geister, die lebenden Wesen und selbst die Materie schuf und sie alle mit gleicher Glut umfängt, sie ernährt, erhält und leitet, zum größtmöglichen, geistigen Ziel, zum Inbegriff der höchsten Liebe, – ebenso soll auch der Mensch seine Umgebung, die Welt, in welcher er leben muss, mit gleicher Liebe umfassen. Alles Geschaffene, aus Liebe und durch Meine göttliche Liebe erzeugt, soll steter Beweis sein, dass Ich ein liebender Vater erst dann bin, wenn Meine erschaffenen Wesen, Meine Nächsten, ihre Pflicht, ihre Mission so erfüllen, wie Ich sie Mir gedacht habe, und wie Ich sie aus freiem Antrieb und nicht durch Zwang ausgeführt haben möchte. Der freie Wille adelt das Geschöpf, im Gegensatz zu dem durch den Instinkt geführten Wesen, das so handeln muss und nicht anders kann.

[PH.01_038,11] Diese über alles sich ausbreitende Liebe soll der Maßstab für die Menschenliebe sein, welche in jedes Menschen Brust ihren Wohnort aufschlagen und als bleibendes Denkmal einer höheren Abkunft auch alle Gedanken, Worte und Taten auf sie beziehen soll. Diese Liebe soll aber auch, wie die Meine, keinen andern Zweck kennen als den, alles zum Besten seiner Mitmenschen und seiner mitlebenden Wesen zu tun, wobei man natürlich dem Nächsten das von ihm Gewünschte nicht immer gewähren darf, sondern ihm auch manches versagen muss, so das Gewähren vielleicht Schaden statt Nutzen bringen würde.

[PH.01_038,12] Betrachtet Mich! Ich liebe euch Menschen alle, liebe euch mit einer Liebe, die ihr nicht begreifen, nicht fassen und nicht erwidern könnt, und doch sage Ich nicht zu allen Bitten, mit denen ihr Mich überhäuft: „Ja!“, sondern meistens das Gegenteil: „Nein!“ Und warum? Weil ihr oft Dinge wünscht, die euch geistig schädlich wären! Und wenn diese Verweigerung dann Leiden und Kämpfe, Unglücks- und Trauerfälle über euch und die Eurigen bringt, so ist sie doch nur Ausfluss der Liebe, der Liebe eures himmlischen Vaters, der euretwegen alles erschaffen, euretwegen so manches erduldet hat und euch stets Undank, Verhöhnung, Verleugnung mit Segen vergilt.

[PH.01_038,13] Hier seht ihr, wie die Liebe aufgefasst werden muss, wenn sie nicht Böses, sondern Gutes bewirken soll. So müsst auch ihr eure Menschen- oder Nächstenliebe auffassen! Wie ein Vater auf Erden seinen unmündigen Kindern nicht alles gewährt, was sie in ihrem Unverstand von ihm verlangen, sondern immer den höheren Erziehungszweck im Auge behält, ebenso sollt auch ihr nur dann eurem Nächsten Gutes tun, wenn ihr überzeugt seid, dass gemäß eurer Einsicht nicht etwa ein Laster genährt oder euer Nächster im Nichtstun bestärkt, statt zur Arbeit gewöhnt wird.

[PH.01_038,14] Dies ist die Liebe, mit welcher Ich aus Meiner Weisheit heraus Meine Welten regiere. Ebenso sollt auch ihr mit euren Verstandeskräften den Trieb des Wohltuns bezähmen und regeln, damit nicht das entgegengesetzte Resultat die Folge eures, wenngleich edelsten Willens ist.

[PH.01_038,15] Der zweite zu erwägende Punkt ist: „Ihr sollt den Nächsten lieben wie euch selbst!“

[PH.01_038,16] Nun, auch hier sind so viele Begriffe möglich, wie es geistige Stufen der menschlichen Natur gibt, die von der Verleugnung einer Selbstliebe bis zum höchsten Egoismus steigen kann, – und so entsteht die Frage:

[PH.01_038,17] „Wann ist meine Selbstliebe die gerechte, die mir und andern nützliche?“

[PH.01_038,18] Nur nach Beantwortung dieser Frage weiß man, welche Liebe und wie sie anderen erwiesen werden soll! Ihr seht, dass, genau genommen, die Worte ,Liebe‘ und ,sich selbst‘ ganz andere Begriffe ergeben als bei deren oberflächlicher Betrachtung.

[PH.01_038,19] Die Bedeutung der Selbstliebe muss erst klar vor euren Augen stehen; ihr müsst wissen, wie und was ihr an euch lieben sollt, um dann nach dieser Erkenntnis eure Liebe auf andere übertragen oder die Liebe, mit welcher ihr andere behandeln sollt, genau beurteilen zu können.

[PH.01_038,20] Es ist in jeden Menschen der Trieb gelegt, sein Leben zu erhalten, es zu verlängern und so angenehm wie möglich zu gestalten. Dieser nötige Erhaltungstrieb für die äußere Hülle oder Umkleidung des geistigseelischen Menschen musste tief in ihn gelegt und eingepflanzt werden, damit er nicht bei den geringsten Misshelligkeiten während seiner irdischen Lebensbahn auf den Gedanken kommt, diesen hindernden Trieb zu unterdrücken und sich seines Körpers noch vor der Reife des inneren Menschen zu entledigen.

[PH.01_038,21] Dieser Erhaltungstrieb ist so mächtig und nötig, dass nur Menschen, welche auf alles Geistige verzichten, keinen Glauben und keine Religion im wahrsten Sinn haben oder durch verkehrte Weltansichten oder geistige Störungen in ihrem Lebensorganismus geschwächt sind, dahin kommen können, die so tief eingewurzelte Liebe zum Leben zu zerstören und ihrem Dasein von sich aus früher ein Ende zu machen, als es im Plane Meiner göttlichen, überall gültigen Gesetze bestimmt war.

[PH.01_038,22] Solche Selbstmörderseelen werden im Jenseits einen mit weit schwierigeren Umständen verknüpften Weg zur Ausreife zurückzulegen haben, weil sie unreif aus dieser Welt gegangen und ebenfalls unreif in eine andere eingetreten sind.

[PH.01_038,23] Die zweite Art der Selbstliebe ist eine höhere, nämlich der Erhaltungs- und Vervollkommnungstrieb des Geistigen. Der Mensch sucht sein geistiges Ich soviel als möglich Dem gleich zu machen, der diesen Funken göttlichen Bewusstseins in ihn gelegt, ihn damit weit über die Materie erhoben und an die Grenze zweier Weiten gestellt hat, so dass er der körperlichen Hülle nach der Materie und dem Geist nach der Geisterwelt angehört.

[PH.01_038,24] Sowohl im materiellen wie im geistigen Wesen des Menschen kann ein Mangel oder ein Überfluss an Selbstliebe vorhanden sein.

[PH.01_038,25] Der Mangel an materieller Selbstliebe gibt sich durch Lebensüberdruss kund, wobei der körperliche Erhaltungstrieb so gering wird, dass der Mensch oft wegen geringfügiger Unannehmlichkeiten des irdischen Lebens sein Körperleben vernichtet. Dieser Zustand wird häufig durch eine verkehrte Erziehung, durch Nichtglauben an einen Gott oder an ein Fortleben der Seele, oder durch geistige Störungen hervorgerufen.

[PH.01_038,26] Diesem Extrem des Mangels an Selbstliebe steht dann wieder ein Übermaß an Eigenliebe gegenüber. Der Mensch, sein leibliches Wohl als Höchstes achtend, will nur dem fröhnen, was der schmutzigste Egoismus ist. Er ergreift alle Mittel, um seinen Zweck zu erreichen. Es gibt für ihn nichts als sein eigenes Ich, und er ist, jedes Band der Nächstenliebe verleugnend, stets nur allein sein Nächster. Diese Menschen stehen auf der untersten geistigen Stufe; denn sie entziehen sich aller Kämpfe und aller Aufopferungen. Sie wollen nur Genuss, und zwar nur für sich allein, und alle Mittel – erlaubte oder unerlaubte, gesetzliche oder ungesetzliche, göttliche oder teuflische – werden ergriffen, wenn sie nur zu ihrem angestrebten Ziel gelangen. Solche Eigenliebe schließt alle Nächstenliebe gänzlich aus.

[PH.01_038,27] Eine Eigenliebe kann auch bestehen, wenn der Mensch nur seiner selbst willen seinen inneren Menschen so ausbilden, so vervollkommnen will, dass ihm selbst sein Körper zur Last wird und er sich desselben sobald wie möglich entledigt fühlen möchte.

[PH.01_038,28] Hier habt ihr die beiden Extreme: Mangel und Überfluss an Selbstliebe, sei es im materiellen, sei es im geistigen Wesen des Menschen. Wenn aber eine Mittelstraße eingehalten werden soll, wo weder dem einen noch dem andern Extrem zu nahe gekommen werden darf, so fragt es sich, wie es mit der Nächstenliebe steht, die sich doch nach der Selbstliebe regeln soll.

[PH.01_038,29] Auch hier gilt das gleiche, was Ich schon im Anfang erklärte: Die gemäßigte, durch den Verstand geleitete Liebe, die das eigentliche, geistige Ziel des Menschen und das Ziel seiner irdischen Laufbahn stets im Auge hat, diese Liebe soll die Eigenliebe in solche Bahnen lenken, dass der Körper nicht unter dem Einfluss des Geistes und der Geist nicht unter dem des Körpers leide oder gar verkümmere. Der Mensch soll stets bedenken, dass ihm auch sein Körper als ein Gut anvertraut wurde, und wie er einst von seiner Seele wird Rechenschaft geben müssen, so wird auch die Frage an ihn ergehen: „Hast du deinen Körper zu dem Zweck gebraucht, zu dem er bestimmt war, oder hast du ihn missbraucht?“ So wird die Rechenschaft, die der Mensch über seinen Geist und die ihm anvertrauten Talente abzulegen hat, mit derjenigen, die er über das materielle Leben zu geben hat, zusammenfallen.

[PH.01_038,30] Beides, Geist und Körper so zu gebrauchen, so zu erziehen und derselben so Meister zu werden, dass alle Handlungen nur im Hinblick auf Mich, den Geber, geschehen und so den Stempel der Göttlichkeit tragen. Diese Art zu denken, zu handeln und zu wirken soll auch der Maßstab dafür sein, wie ihr dem Nächsten eure Liebe angedeihen lassen sollt! Diese Liebe soll dem Nächsten alles Gute gewähren, insoweit es Meinen eigenen, sittlichen Grundsätzen entspricht.

[PH.01_038,31] Der Mensch muss vorerst an sich selbst erkennen, was er zu leisten imstande ist, um auch die Leistungsfähigkeit anderer zu bemessen. Er muss vorerst bei sich das Gute und Schlechte unterscheiden lernen. Er muss lernen, was dem Geist und was dem Körper nützt oder schadet, ehe er aus blinder Liebe anderen angedeihen lässt, was sie nur zum Ruin und nicht zum höheren Ziel führt.

[PH.01_038,32] Daher regelt vorher eure Eigenliebe! Haltet darin gerechtes Maß und Gewicht, und es wird euch die rechte Selbstliebe am besten zur Nächstenliebe führen! Denn nur da, wo klare Ansichten herrschen, können auch vollgültige Taten das Resultat sein; sonst tappt ihr im Finstern herum, verkennt oder missbraucht eure Liebe zum Schaden anderer. Überall in der ganzen Welt sind die Extreme schädlich und führen zu nichts: im Lieben wie im Hassen, im Geben wie im Verweigern, im Reden wie im Schweigen.

[PH.01_038,33] Daher seid bei jeder Handlung eurer höheren Bestimmung eingedenk und vergesst dabei nicht, dass ihr Menschen und keine Götter seid, und dass zu große wie auch zu geringe Liebe für sich selbst ebenso zu schlechten Resultaten führt, wie zu hoch oder zu niedrig gespannte Begriffe von Nächstenliebe dem Nebenmenschen eher schaden als nützen können.

[PH.01_038,34] Erkennt zuerst eure eigenen Schwächen, um nachsichtig gegen die anderer zu sein! Prüft, ob die Gewährung einer Bitte bei euch Gutes oder Schlechtes hervorbringen möchte, und regelt danach eure Liebesgaben, eure Aufopferungen gegen euern Nächsten! Nirgends kann soviel Schaden gestiftet werden, als mit dem wörtlich genommenen Begriff der Nächstenliebe.

[PH.01_038,35] Seht, Ich bin euer Nächster und tue alles, damit ihr Meine Nächsten, Meine Brüder und Schwestern, ja, Meine Kinder werdet; und doch bin Ich trotz aller Liebe und Weisheit nicht so willfährig, den Menschen alles zu geben, was sie oft in ihrer Unmündigkeit von Mir verlangen, weil Ich als Geist, und zwar als höchster Geist, am besten weiß, was Meinen Kindern, Meinen geistigen Brüdern und Schwestern am zuträglichsten ist, und weil Ich sie erziehen und nicht verziehen will!

[PH.01_038,36] Daher nehmt euch ein Beispiel an Mir, wie Ich Meine ganze Schöpfung zusammenhalte und ihre Teile gemeinschaftlich zum großen Ziel der Erlösung aus der Materie führe, und ihr werdet gewiss den rechten Weg zwischen Geben und Nehmen, zwischen Gewähren und Verweigern finden! Dann wird das zweite große Liebesgebot erst den eigentlichen geistigen Ausdruck nicht allein im Wort, sondern auch in der Tat finden, wenn ihr euern Nächsten das tut, was ihr – wärt ihr in der Lage und in den Verhältnissen eures Nebenmenschen – als geistige Wesen für euch selbst für das beste halten würdet.

[PH.01_038,37] Stets das Geistige hoch, ja höher als alles andere haltend, müsst ihr darin den Anfangs- und Ausgangspunkt aller eurer Handlungen suchen, damit sie mit Meinen großen Schöpfungsgedanken übereinstimmend, euch veredeln und adeln und ihr Mich dadurch als euern liebevollsten Vater stets mehr verklärt und als das erkennt, was Ich allen sein möchte, nämlich euer geistiger Führer, Leiter und Vater. Amen.


[GEJ.02_076,08] Sagt Judas Ischariot: „Ja, das verstehe ich wohl, sehe aber auch zugleich ein, dass solches unmöglich zu bewerkstelligen ist; denn es ist dem Menschen unmöglich, alle Selbstliebe fahren zu lassen! Er muss doch essen und trinken und sich um eine Wohnung und Kleidung umsehen, – und das geschieht denn auch aus einer geringen Art von Selbstliebe! Man nimmt sich ein liebes Weib und will dieses allein für sich haben, und wehe dem, der es wagte, seines Nächsten Weib zu begehren! Das wird aber etwa doch auch eine Art Selbstliebe sein!?

[GEJ.02_076,09] Wenn ich einen wohlbearbeiteten Grund habe, und es kommt die Zeit der Ernte, werde ich wohl nun aus lauter Selbstverachtung und gänzlichem Mangel an Selbstliebe zu meinen Nachbarn hingehen und sagen: ,Meine Freunde, gehet hin und erntet, was auf meinen Feldern gewachsen ist; denn ich habe als der Geringste unter euch, als euer aller Knecht ohne allen Wert vor euch, nur für euch gearbeitet!‘ Ich meine, da sollte die so hochgestellte Selbstverleugnung und Selbstverachtung doch irgend einige bestimmte Grenzen haben, ohne welche es sogar unmöglich wäre, Deine Lehre den Menschen zu verkünden, weil man dadurch offenbarst anzeigete, dass man seine Brüder für dümmer und blinder hielte als sich selbst! Denn sich im Geiste für vorzüglicher halten als seine Brüder, da wird doch etwa auch ein wenig von einem Hochmut dabei sein! Wenn aber so, da sehen wir uns die Menschheit in hundert Jahren an, und wir werden sie gleich dem Ochsen auf der Weide Gras fressen sehen, und von einer Sprache wird keine Spur mehr zu finden sein und ebensowenig von irgendeinem Wohnhause oder gar von einer Stadt! – Wie weit darf also des Menschen Eigenliebe gehen?“


77. Kapitel

[GEJ.02_077,01] Sage Ich: „Ganz gut, Ich will dir denn ein Maß geben, nach welchem du und ein jeder wissen soll, wie er mit der Eigenliebe stehen soll, wie mit der Liebe zum Nächsten und wie mit der Liebe zu Gott.

[GEJ.02_077,02] Nimm die Zahl 666, die in guten und schlechten Verhältnissen entweder einen vollendeten Menschen oder einen vollendeten Teufel bezeichnet!

[GEJ.02_077,03] Teile du die Liebe im Menschen gerade in 666 Teile; davon gib Gott 600, dem Nächsten 60 und dir selbst 6! Willst du aber ein vollendeter Teufel sein, dann gib Gott sechs, dem Nächsten sechzig und dir selbst sechshundert!

[GEJ.02_077,04] Siehe, die rechtschaffenen Dienstleute und Knechte und Mägde sind es, die die Felder ihrer Herrschaft bearbeiten. Nach deiner Ansicht sollen sie denn nun auch die Ernte nehmen, weil sie durch ihren Fleiß und ihre Mühe geworden ist; aber sie tun diese in die Scheuern und Scheunen ihrer Herrschaft und haben eine große Freude daran, so sie zu ihrer Herrschaft sagen können: ,Herr, alle deine Scheuern und Scheunen sind bereits voll, und noch ist die Hälfte auf dem Felde! Was sollen wir da tun?‘ Und ihre Freude wird größer, so der Herr zu ihnen sagt: ,Ich lobe euren großen und uneigennützigen Fleiß und Eifer; gehet und bringet Bauleute her, auf dass sie mir Vorratskammern in kürzester Zeit erbauen und ich des Feldes Segen aufbewahre für Jahre, die vielleicht weniger gesegnet sein möchten, denn dieses da war, an allen Früchten!‘ Sieh, nichts gehört den Dienstleuten, sie haben keine Scheuer, keine Scheunen und keine Vorratskammern, und doch arbeiten sie um einen geringen Lohn, als gelte es für ihre Scheuer, Scheunen und Vorratskammern; denn sie wissen es, dass sie nicht Not zu leiden brauchen, wenn der Herr alle Vorratskammern voll hat.

[GEJ.02_077,05] Und siehe, im Tun eines rechtschaffenen Dienstboten liegt das ganze Verhältnis jedes wahren Menschen zu sich, zum Nächsten und zu Gott. Der wahre Dienstbote sorgt für sich 6fach, für seine Dienstgefährten, damit sie ihm wohlwollen, 60fach und für seinen Dienstherrn 600fach und sorgt dadurch, ohne es zu wollen, dennoch 666fach für sich; denn die Nebendiener werden ihrem Gefährten, bei dem sie die wenigste Selbstliebe merken, am meisten wohlwollen, und der Dienstherr wird ihn bald über alle setzen. Aber einen Diener, der nur für seinen Sack sorgt, bei der Arbeit gern der letzte ist und da seine Hände nur an die leichteste Arbeit legt, den werden seine Gefährten mit scheelen Augen ansehen, und sein Dienstherr wird es wohl merken, dass der selbstsüchtige Diener ein fauler Knecht ist. Er wird ihn daher nie über seine Dienerschaft setzen, sondern ihm vermindern den Lohn und ihn setzen zuunterst am Speisetische. Und wird sich dieser selbstsüchtige, faule Knecht nicht bessern, so wird er mit schlechten Zeugnissen aus dem Dienste getan werden und also schwerlich je wieder einen Dienst erhalten. So er aber einen einzigen Freund noch hat, dem gegenüber er sich uneigennützig bewiesen hatte, so kann dieser ihn in seine Wohnung aufnehmen, wofür ihn der Herr nicht schmähen wird. – Verstehst du das?

[GEJ.02_077,06] Ein jeder Mensch hat und muss einen gewissen Grad von Eigenliebe haben, ansonst er nicht leben könnte, – aber, wie gezeigt, nur den möglich geringsten Grad; ein Grad darüber hebt schon das rein menschliche Verhältnis auf, und es ist die Sache in der göttlichen Ordnungswaage also auf ein Haar abgewogen! – Nun sind dir die Grenzlinien gezeigt, und wir wollen sehen, wie du diese tatsächlich befolgen wirst!“

[GEJ.02_077,07] Sagt Judas: „Dazu gehört viel tiefste Weisheit, um beurteilen zu können, ob man das genaue Maß mit der Eigenliebe getroffen hat! Wie kann der kurzsichtige Mensch das beurteilen?“

[GEJ.02_077,08] Sage Ich: „Er tue mit redlichem Willen das, was er tun kann; das Abgängige wird schon von Gott aus hinzugetan werden. Für weniger aber als sechs Teile für sich darf man wohl bei keinem Menschen irgendeine Sorge tragen! Am allerwenigsten für Menschen deiner Art!“

[GEJ.02_077,09] Hier verstummt Judas und geht nachdenkend vom Tische, um sich eine Lagerstätte für die schon stark hereingebrochene Nacht zu bereiten.

[GEJ.02_077,10] Nun aber tritt erst der Knabe Josoe auf und sagt: „Aber hat mich dieses Menschen Dummheit doch schon über all die Maßen geärgert! Ein Jünger ist er und noch so dumm wie eine Nachteule am hellen Tage. Ich habe alles gleich verstanden, was Du, o Herr, zu ihm geredet hast; er aber verstand nichts, indem er immer fragte und allerlei Einwürfe machte, und nun am Ende des Endes noch so dumm davonging, als wenn Du, o Herr, ihm kein Silbenswörtlein gesagt hättest! Wenn ein Kind fragt, so ist das verzeihlich; aber wenn so ein alter Mensch, der auf der andern Seite doch wieder weiser sein will denn seine Nebenmenschen, auch noch fragt – und das ersichtlich nicht gut-, sondern böswillig –, so muss man sich ja doch ärgern! Ich will noch dreimal sterben, wenn dieser Mensch sich auf dieser Welt je bessern wird! Er ist allem Anscheine nach ein Geizhals und rechnet, wie er, wenn er das vermöchte, was Du, o Herr, vermagst, sich in kürzester Zeit zu ganzen Bergen von Gold und Silber aufschwingen könnte! Und ich, so wahr ich Josoe heiße, will alles darum geben, was ich habe, und alles erleiden, was nur je ein Mensch erleiden kann, wenn dieser Mensch je eine Besserung ergreifen wird!“

[GEJ.02_077,11] Sage Ich: „Mein lieber Josoe, lass das nur gut sein; denn wir brauchen allerlei Handlanger bei der Erbauung eines neuen Himmels und einer neuen Erde, und da ist eben Judas auch einer, den wir brauchen können! –


Fortsetzung "14 Gleichnisse Jesu" Teil 5